Und nun ist sie gekommen! Seyd mir, o Schlafende Gottes, Seyd mir in euern Grüften gesegnet! Jhr werdet erwachen!... Ach, wie fühl ich der Sterblichkeit Loos! Auch ich bin geboren, Daß ich sterbe! Der du den Arm des Richters empor hältst, Und mein Gebein von Erde mit deinen Schrecken erschütterst, Laß die Stunde der Angst mit schnellerm Fluge vorbeygehn! Vater! es ist dir alles möglich. Ach, laß sie vorbeygehn! Ganz von deinem Grimme, von deinen Schrecken gefüllet, Hast du, mit ausgebreiteter Hand, den Kelch der Leiden Ueber mich ausgegossen. Jch bin ganz einsam, von allen, Die ich liebe, den Engeln, von den noch geliebteren Menschen, Meinen Brüdern, von dir, von dir, mein Vater, verlassen! Schau, wo du richtest, ins Elend herab! Jehovah! wer sind wir? Adams Kinder, und ich! Laß ab, die Schrecken des Todes Ueber mich auszugießen!.. Doch nicht mein Wille geschehe! Vater dein Wille geschehe!.. Mein starr geheftetes Auge Schaut in die Mitternacht aus, kann nicht mehr weinen. Mein Arm bebt, Starrt nach Hülfe gen Himmel empor. Jch sink auf die Erde: Sie ist Grabmal. Es ruft, durch alle Tiefen der Seele, Laut ein Gedanke dem andern: Jch sey vom Vater verworfen! Ach, da der Tod noch nicht war! Da noch die Stille des Vaters Ruht auf dem Sohne! Da Adam gemacht ward, unsterblich zu leben! Doch mein Gebein von Erde trägt auch die Gottheit! Jch leide! Jch bin ewig, wie du! Es gescheh, o Vater, dein Wille! Also sprach er, und richtete sich von seinem Gebet auf, Stützt auf seine Rechte sich nieder, und schaut in die Nacht hin. Und da giengen vor seinen Gedanken des ewigen Todes
Schre-
Der Meßias.
Und nun iſt ſie gekommen! Seyd mir, o Schlafende Gottes, Seyd mir in euern Gruͤften geſegnet! Jhr werdet erwachen!… Ach, wie fuͤhl ich der Sterblichkeit Loos! Auch ich bin geboren, Daß ich ſterbe! Der du den Arm des Richters empor haͤltſt, Und mein Gebein von Erde mit deinen Schrecken erſchuͤtterſt, Laß die Stunde der Angſt mit ſchnellerm Fluge vorbeygehn! Vater! es iſt dir alles moͤglich. Ach, laß ſie vorbeygehn! Ganz von deinem Grimme, von deinen Schrecken gefuͤllet, Haſt du, mit ausgebreiteter Hand, den Kelch der Leiden Ueber mich ausgegoſſen. Jch bin ganz einſam, von allen, Die ich liebe, den Engeln, von den noch geliebteren Menſchen, Meinen Bruͤdern, von dir, von dir, mein Vater, verlaſſen! Schau, wo du richteſt, ins Elend herab! Jehovah! wer ſind wir? Adams Kinder, und ich! Laß ab, die Schrecken des Todes Ueber mich auszugießen!.. Doch nicht mein Wille geſchehe! Vater dein Wille geſchehe!.. Mein ſtarr geheftetes Auge Schaut in die Mitternacht aus, kann nicht mehr weinen. Mein Arm bebt, Starrt nach Huͤlfe gen Himmel empor. Jch ſink auf die Erde: Sie iſt Grabmal. Es ruft, durch alle Tiefen der Seele, Laut ein Gedanke dem andern: Jch ſey vom Vater verworfen! Ach, da der Tod noch nicht war! Da noch die Stille des Vaters Ruht auf dem Sohne! Da Adam gemacht ward, unſterblich zu leben! Doch mein Gebein von Erde traͤgt auch die Gottheit! Jch leide! Jch bin ewig, wie du! Es geſcheh, o Vater, dein Wille! Alſo ſprach er, und richtete ſich von ſeinem Gebet auf, Stuͤtzt auf ſeine Rechte ſich nieder, und ſchaut in die Nacht hin. Und da giengen vor ſeinen Gedanken des ewigen Todes
Schre-
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Der Meßias.
Und nun iſt ſie gekommen! Seyd mir, o Schlafende Gottes,
Seyd mir in euern Gruͤften geſegnet! Jhr werdet erwachen!…
Ach, wie fuͤhl ich der Sterblichkeit Loos! Auch ich bin geboren,
Daß ich ſterbe! Der du den Arm des Richters empor haͤltſt,
Und mein Gebein von Erde mit deinen Schrecken erſchuͤtterſt,
Laß die Stunde der Angſt mit ſchnellerm Fluge vorbeygehn!
Vater! es iſt dir alles moͤglich. Ach, laß ſie vorbeygehn!
Ganz von deinem Grimme, von deinen Schrecken gefuͤllet,
Haſt du, mit ausgebreiteter Hand, den Kelch der Leiden
Ueber mich ausgegoſſen. Jch bin ganz einſam, von allen,
Die ich liebe, den Engeln, von den noch geliebteren Menſchen,
Meinen Bruͤdern, von dir, von dir, mein Vater, verlaſſen!
Schau, wo du richteſt, ins Elend herab! Jehovah! wer ſind wir?
Adams Kinder, und ich! Laß ab, die Schrecken des Todes
Ueber mich auszugießen!.. Doch nicht mein Wille geſchehe!
Vater dein Wille geſchehe!.. Mein ſtarr geheftetes Auge
Schaut in die Mitternacht aus, kann nicht mehr weinen. Mein Arm bebt,
Starrt nach Huͤlfe gen Himmel empor. Jch ſink auf die Erde:
Sie iſt Grabmal. Es ruft, durch alle Tiefen der Seele,
Laut ein Gedanke dem andern: Jch ſey vom Vater verworfen!
Ach, da der Tod noch nicht war! Da noch die Stille des Vaters
Ruht auf dem Sohne! Da Adam gemacht ward, unſterblich zu leben!
Doch mein Gebein von Erde traͤgt auch die Gottheit! Jch leide!
Jch bin ewig, wie du! Es geſcheh, o Vater, dein Wille!
Alſo ſprach er, und richtete ſich von ſeinem Gebet auf,
Stuͤtzt auf ſeine Rechte ſich nieder, und ſchaut in die Nacht hin.
Und da giengen vor ſeinen Gedanken des ewigen Todes
Schre-
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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias01_1751/182>, abgerufen am 16.07.2024.
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