[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.
Sah
Sah
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="7"> <l> <pb facs="#f0183" n="171"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Fuͤnfter Geſang.</hi> </fw> </l><lb/> <l>Schreckende Bilder voruͤber. Er ſah die verworfenen Seelen,</l><lb/> <l>Die dem Tage der Schoͤpfung, dem Seyn zur Ewigkeit, fluchten.</l><lb/> <l>Hoͤrte das dumpfe Geheul des wiedertoͤnenden Abgrunds;</l><lb/> <l>Donnernde Stroͤme von Felſen herab in die Tiefe geſchleudert,</l><lb/> <l>Auf den donnernden Stroͤmen, der Angſt gefluͤgelte Stimme;</l><lb/> <l>Sanftere Fluͤſſe, die taͤuſchend die Seelen zur Ruh einluden,</l><lb/> <l>Zum Entſchlummern ins Nichts. Dann wuchs der Betrogenen Jam̃ern;</l><lb/> <l>Dann, in einen unendlichen Seufzer der alten Verzweiflung</l><lb/> <l>Ausgegoſſen, empoͤrte die Stimme des Menſchengeſchlechts ſich,</l><lb/> <l>Klagte den Schoͤpfer der Schoͤpfung, der war, und ſeyn wird, des Daſeyns</l><lb/> <l>Und der Ewigkeit an. .. Jhr Elend fuͤhlte der Gottmenſch!</l><lb/> <l>Lange ſchon hatt auf ihn hin, von einem veroͤdeten Felſen,</l><lb/> <l>Adramelech geſchaut. Jtzt ſtieg er den Felſen herunter,</l><lb/> <l>Blickt auf die Erde. Da ſah er vor ſich, in ſeinem Blute,</l><lb/> <l>Einen Moͤrder, der ſich erwuͤrgte. Der Ton der Verzweiflung,</l><lb/> <l>Jammernde Seufzer der wiederkehrenden Menſchlichkeit fuͤllten</l><lb/> <l>Jeden Huͤgel umher. Von dieſer Stimme begleitet,</l><lb/> <l>Nahte ſich Adramelech, und ſtand, des Meßias zu ſpotten.</l><lb/> <l>Mit vernichtendem Stolz im hohen Auge geruͤſtet,</l><lb/> <l>Und im Meere verruchter Gedanken, ganz in ſich, verloren,</l><lb/> <l>Stand er, und feurte ſich an, die Gedanken toͤnen zu laſſen,</l><lb/> <l>Wie ein Strom ſich ergießt, wie die Donnerwolke daher rauſcht.</l><lb/> <l>Aber es wandte der hohe Meßias ſein Antlitz, und ſah ihn</l><lb/> <l>Mit der Mine des Weltgerichts an. Der Wuͤtende fuͤhlte,</l><lb/> <l>Wer ihn anſah, und bebt’ in ſein Nichts ohnmaͤchtig zuruͤcke.</l><lb/> <l>Mitten in einem verruchten, hoch aufgethuͤrmten Gedanken,</l><lb/> <l>Blieb er gedankenlos ſtehn. Nur dieſe Leerheit empfand er.<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Sah</fw><lb/></l> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [171/0183]
Fuͤnfter Geſang.
Schreckende Bilder voruͤber. Er ſah die verworfenen Seelen,
Die dem Tage der Schoͤpfung, dem Seyn zur Ewigkeit, fluchten.
Hoͤrte das dumpfe Geheul des wiedertoͤnenden Abgrunds;
Donnernde Stroͤme von Felſen herab in die Tiefe geſchleudert,
Auf den donnernden Stroͤmen, der Angſt gefluͤgelte Stimme;
Sanftere Fluͤſſe, die taͤuſchend die Seelen zur Ruh einluden,
Zum Entſchlummern ins Nichts. Dann wuchs der Betrogenen Jam̃ern;
Dann, in einen unendlichen Seufzer der alten Verzweiflung
Ausgegoſſen, empoͤrte die Stimme des Menſchengeſchlechts ſich,
Klagte den Schoͤpfer der Schoͤpfung, der war, und ſeyn wird, des Daſeyns
Und der Ewigkeit an. .. Jhr Elend fuͤhlte der Gottmenſch!
Lange ſchon hatt auf ihn hin, von einem veroͤdeten Felſen,
Adramelech geſchaut. Jtzt ſtieg er den Felſen herunter,
Blickt auf die Erde. Da ſah er vor ſich, in ſeinem Blute,
Einen Moͤrder, der ſich erwuͤrgte. Der Ton der Verzweiflung,
Jammernde Seufzer der wiederkehrenden Menſchlichkeit fuͤllten
Jeden Huͤgel umher. Von dieſer Stimme begleitet,
Nahte ſich Adramelech, und ſtand, des Meßias zu ſpotten.
Mit vernichtendem Stolz im hohen Auge geruͤſtet,
Und im Meere verruchter Gedanken, ganz in ſich, verloren,
Stand er, und feurte ſich an, die Gedanken toͤnen zu laſſen,
Wie ein Strom ſich ergießt, wie die Donnerwolke daher rauſcht.
Aber es wandte der hohe Meßias ſein Antlitz, und ſah ihn
Mit der Mine des Weltgerichts an. Der Wuͤtende fuͤhlte,
Wer ihn anſah, und bebt’ in ſein Nichts ohnmaͤchtig zuruͤcke.
Mitten in einem verruchten, hoch aufgethuͤrmten Gedanken,
Blieb er gedankenlos ſtehn. Nur dieſe Leerheit empfand er.
Sah
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |