[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 1. Halle, 1751.
Jesus sah ihn erbarmungsvoll an, und sprach zu Johannes: Wische dem Knaben die Zähren vom Antlitz; ich hab ihn viel edler Und rechtschaffner, als viele von seinen Vätern, erfunden. Also sagt er, und blieb mit Johannes allein in den Gräbern. Unterdeß gieng Satan, mit Dampf und Wolken umhüllet, Durchs Thal Josaphat, über das todte Meer finster hinüber. Von da kam er zum wolkichten Carmel, vom Carmel gen Himmel. Hier durchirrt er mit grimmigem Blicke den göttlichen Weltbau, Daß er noch durch so viele Jahrhunderte, seit der Erschaffung, Jn der ersten von Gott ihm gegebnen Herrlichkeit glänzte. Gleichwohl ahmt er ihm nach, und änderte seine Gestalten Durch ätherisches Glänzen, damit nicht die Morgensterne Ueberall, wo er den irrenden Fuß ins Weltgebäu setzte, Ueber
Jeſus ſah ihn erbarmungsvoll an, und ſprach zu Johannes: Wiſche dem Knaben die Zaͤhren vom Antlitz; ich hab ihn viel edler Und rechtſchaffner, als viele von ſeinen Vaͤtern, erfunden. Alſo ſagt er, und blieb mit Johannes allein in den Graͤbern. Unterdeß gieng Satan, mit Dampf und Wolken umhuͤllet, Durchs Thal Joſaphat, uͤber das todte Meer finſter hinuͤber. Von da kam er zum wolkichten Carmel, vom Carmel gen Himmel. Hier durchirrt er mit grimmigem Blicke den goͤttlichen Weltbau, Daß er noch durch ſo viele Jahrhunderte, ſeit der Erſchaffung, Jn der erſten von Gott ihm gegebnen Herrlichkeit glaͤnzte. Gleichwohl ahmt er ihm nach, und aͤnderte ſeine Geſtalten Durch aͤtheriſches Glaͤnzen, damit nicht die Morgenſterne Ueberall, wo er den irrenden Fuß ins Weltgebaͤu ſetzte, Ueber
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="10"> <l> <pb facs="#f0054" n="42"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Meßias.</hi> </fw> </l><lb/> <l>Hier, wo mein jugendlich Blut vor den Graͤbern der Todten erſtarret?</l><lb/> <l>Komm doch, du goͤttlicher Mann, in meines Vaters Behauſung.</l><lb/> <l>Dich ſoll hier meine verlaſſene Mutter mit Demuth bedienen.</l><lb/> <l>Milch und Honig, die lieblichſten Fruͤchte von unſeren Baͤumen,</l><lb/> <l>Sollſt du genießen; die Wolle der juͤngſten Laͤmmer in Auen</l><lb/> <l>Soll dich bedecken. Jch ſelber will dich, o Gottes Prophete,</l><lb/> <l>Koͤmmt die Sommerszeit, unter die Schatten der Baͤume begleiten,</l><lb/> <l>Die mein Vater im Garten mir gab. Mein lieber Benoni!</l><lb/> <l>Ach Benoni, mein Bruder! dich laß ich im Grabe zuruͤcke.</l><lb/> <l>Ach nun wirſt du mit mir die Blumen kuͤnftig nicht traͤnken!</l><lb/> <l>Niemals wirſt du am kuͤhlenden Abend mich bruͤderlich wecken!</l><lb/> <l>Ach Benoni! ach Gottes Prophet, da liegt er im Staube!</l> </lg><lb/> <lg n="11"> <l>Jeſus ſah ihn erbarmungsvoll an, und ſprach zu Johannes:</l><lb/> <l>Wiſche dem Knaben die Zaͤhren vom Antlitz; ich hab ihn viel edler</l><lb/> <l>Und rechtſchaffner, als viele von ſeinen Vaͤtern, erfunden.</l><lb/> <l>Alſo ſagt er, und blieb mit Johannes allein in den Graͤbern.</l> </lg><lb/> <lg n="12"> <l>Unterdeß gieng Satan, mit Dampf und Wolken umhuͤllet,</l><lb/> <l>Durchs Thal Joſaphat, uͤber das todte Meer finſter hinuͤber.</l><lb/> <l>Von da kam er zum wolkichten Carmel, vom Carmel gen Himmel.</l><lb/> <l>Hier durchirrt er mit grimmigem Blicke den goͤttlichen Weltbau,</l><lb/> <l>Daß er noch durch ſo viele Jahrhunderte, ſeit der Erſchaffung,</l><lb/> <l>Jn der erſten von Gott ihm gegebnen Herrlichkeit glaͤnzte.</l><lb/> <l>Gleichwohl ahmt er ihm nach, und aͤnderte ſeine Geſtalten</l><lb/> <l>Durch aͤtheriſches Glaͤnzen, damit nicht die Morgenſterne</l><lb/> <l>Ueberall, wo er den irrenden Fuß ins Weltgebaͤu ſetzte,<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Ueber</fw><lb/></l> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [42/0054]
Der Meßias.
Hier, wo mein jugendlich Blut vor den Graͤbern der Todten erſtarret?
Komm doch, du goͤttlicher Mann, in meines Vaters Behauſung.
Dich ſoll hier meine verlaſſene Mutter mit Demuth bedienen.
Milch und Honig, die lieblichſten Fruͤchte von unſeren Baͤumen,
Sollſt du genießen; die Wolle der juͤngſten Laͤmmer in Auen
Soll dich bedecken. Jch ſelber will dich, o Gottes Prophete,
Koͤmmt die Sommerszeit, unter die Schatten der Baͤume begleiten,
Die mein Vater im Garten mir gab. Mein lieber Benoni!
Ach Benoni, mein Bruder! dich laß ich im Grabe zuruͤcke.
Ach nun wirſt du mit mir die Blumen kuͤnftig nicht traͤnken!
Niemals wirſt du am kuͤhlenden Abend mich bruͤderlich wecken!
Ach Benoni! ach Gottes Prophet, da liegt er im Staube!
Jeſus ſah ihn erbarmungsvoll an, und ſprach zu Johannes:
Wiſche dem Knaben die Zaͤhren vom Antlitz; ich hab ihn viel edler
Und rechtſchaffner, als viele von ſeinen Vaͤtern, erfunden.
Alſo ſagt er, und blieb mit Johannes allein in den Graͤbern.
Unterdeß gieng Satan, mit Dampf und Wolken umhuͤllet,
Durchs Thal Joſaphat, uͤber das todte Meer finſter hinuͤber.
Von da kam er zum wolkichten Carmel, vom Carmel gen Himmel.
Hier durchirrt er mit grimmigem Blicke den goͤttlichen Weltbau,
Daß er noch durch ſo viele Jahrhunderte, ſeit der Erſchaffung,
Jn der erſten von Gott ihm gegebnen Herrlichkeit glaͤnzte.
Gleichwohl ahmt er ihm nach, und aͤnderte ſeine Geſtalten
Durch aͤtheriſches Glaͤnzen, damit nicht die Morgenſterne
Ueberall, wo er den irrenden Fuß ins Weltgebaͤu ſetzte,
Ueber
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |