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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

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Zehnter Gesang.
Aber enthüll, Sionitinn, der qualbelasteten Hölle
Tiefen nicht weiter. Ein anderer Schauplaz, voll heiliger Wehmut,
Voll Anbetung, und jenes Todes, der unsern versüßt hat,
Voll von göttlicher Huld, der Schauplaz eröfnet vor dir sich!
Jesus wandte sein Auge vom Meere des Todes, und sahe
Auf die Schaaren, die ihn, von allen Seiten, umringten,
Standen, knieten, dachten, verstummten, beteten, weinten:
Und ein mächtig Gefühl der ewigen Liebe durchschauert
Jesum Christum. ... Der Blick des Gottversöners verweilte
Bey den Seelen am längsten, die keine sterbliche Hütte
Noch betreten, noch nicht den Staub geheiliget hatten.
Denn izt nahte sich einer der festlichen Augenblicke,
Die, auf Einmal, die Erde mit vielen edleren Seelen
Segnen, und die, mit daurender Macht, Jahrhunderte bilden.
Zwar nicht immer strömte der Ruf von dem, so sie thaten,
Mit den Jahrhunderten fort; allein die mächtige Wirkung
Jhres Beyspiels, welches an ihnen der lernende Freund sah,
Wieder dem Enkel es zeigte, verflicht, in die Thaten der Nachwelt
Zwar ins Geheim, doch gewiß sich! Es bleibt, vom gesunknen Wurfe,
So, auf der Fläche der Wasser, ein ausgebreiteter Kreislauf.
Aber eh noch die Seelen, des festlichen Augenblicks Kinder,
Von den Engeln zu ihrer Geburt ins sterbliche Leben
Weggeführt wurden, begann der edelsten eine, die Zweisel
Jhrer Gedanken bey sich zu entwickeln. Ein Schimmer vom Lichte.
Das sie, in ihrer Verweilung auf Erden, heiligen sollte,
Senkte sich sanft in sie nieder. So dachte der Ewigkeit Erbinn:
Jmmer
II. Band. J
Zehnter Geſang.
Aber enthuͤll, Sionitinn, der qualbelaſteten Hoͤlle
Tiefen nicht weiter. Ein anderer Schauplaz, voll heiliger Wehmut,
Voll Anbetung, und jenes Todes, der unſern verſuͤßt hat,
Voll von goͤttlicher Huld, der Schauplaz eroͤfnet vor dir ſich!
Jeſus wandte ſein Auge vom Meere des Todes, und ſahe
Auf die Schaaren, die ihn, von allen Seiten, umringten,
Standen, knieten, dachten, verſtummten, beteten, weinten:
Und ein maͤchtig Gefuͤhl der ewigen Liebe durchſchauert
Jeſum Chriſtum. … Der Blick des Gottverſoͤners verweilte
Bey den Seelen am laͤngſten, die keine ſterbliche Huͤtte
Noch betreten, noch nicht den Staub geheiliget hatten.
Denn izt nahte ſich einer der feſtlichen Augenblicke,
Die, auf Einmal, die Erde mit vielen edleren Seelen
Segnen, und die, mit daurender Macht, Jahrhunderte bilden.
Zwar nicht immer ſtroͤmte der Ruf von dem, ſo ſie thaten,
Mit den Jahrhunderten fort; allein die maͤchtige Wirkung
Jhres Beyſpiels, welches an ihnen der lernende Freund ſah,
Wieder dem Enkel es zeigte, verflicht, in die Thaten der Nachwelt
Zwar ins Geheim, doch gewiß ſich! Es bleibt, vom geſunknen Wurfe,
So, auf der Flaͤche der Waſſer, ein ausgebreiteter Kreislauf.
Aber eh noch die Seelen, des feſtlichen Augenblicks Kinder,
Von den Engeln zu ihrer Geburt ins ſterbliche Leben
Weggefuͤhrt wurden, begann der edelſten eine, die Zweiſel
Jhrer Gedanken bey ſich zu entwickeln. Ein Schimmer vom Lichte.
Das ſie, in ihrer Verweilung auf Erden, heiligen ſollte,
Senkte ſich ſanft in ſie nieder. So dachte der Ewigkeit Erbinn:
Jmmer
II. Band. J
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[129/0159] Zehnter Geſang. Aber enthuͤll, Sionitinn, der qualbelaſteten Hoͤlle Tiefen nicht weiter. Ein anderer Schauplaz, voll heiliger Wehmut, Voll Anbetung, und jenes Todes, der unſern verſuͤßt hat, Voll von goͤttlicher Huld, der Schauplaz eroͤfnet vor dir ſich! Jeſus wandte ſein Auge vom Meere des Todes, und ſahe Auf die Schaaren, die ihn, von allen Seiten, umringten, Standen, knieten, dachten, verſtummten, beteten, weinten: Und ein maͤchtig Gefuͤhl der ewigen Liebe durchſchauert Jeſum Chriſtum. … Der Blick des Gottverſoͤners verweilte Bey den Seelen am laͤngſten, die keine ſterbliche Huͤtte Noch betreten, noch nicht den Staub geheiliget hatten. Denn izt nahte ſich einer der feſtlichen Augenblicke, Die, auf Einmal, die Erde mit vielen edleren Seelen Segnen, und die, mit daurender Macht, Jahrhunderte bilden. Zwar nicht immer ſtroͤmte der Ruf von dem, ſo ſie thaten, Mit den Jahrhunderten fort; allein die maͤchtige Wirkung Jhres Beyſpiels, welches an ihnen der lernende Freund ſah, Wieder dem Enkel es zeigte, verflicht, in die Thaten der Nachwelt Zwar ins Geheim, doch gewiß ſich! Es bleibt, vom geſunknen Wurfe, So, auf der Flaͤche der Waſſer, ein ausgebreiteter Kreislauf. Aber eh noch die Seelen, des feſtlichen Augenblicks Kinder, Von den Engeln zu ihrer Geburt ins ſterbliche Leben Weggefuͤhrt wurden, begann der edelſten eine, die Zweiſel Jhrer Gedanken bey ſich zu entwickeln. Ein Schimmer vom Lichte. Das ſie, in ihrer Verweilung auf Erden, heiligen ſollte, Senkte ſich ſanft in ſie nieder. So dachte der Ewigkeit Erbinn: Jmmer II. Band. J

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/159>, abgerufen am 21.11.2024.