Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Vierzehnter Gesang.
Ach, wir hofften auf ihn, und hielten ihn für den Messias!
Jsrael, hofften wir, sollt er erlösen! Und über das alles
Brach der dritte der Tage schon an, seit dieses geschehn ist.

Und Matthias begann: Auch haben die Weiber der Unsern
Uns erschreckt. Heut gingen sie in der Frühe zum Grabe.
Seinen Leichnam fanden sie nicht. Sie kamen mit Zittern,
Hatten Gesichte der Engel gesehn, die sagten, Er lebe!
Ach, wir vermochten uns nicht zu freuen! Einige gingen
Auch zu dem Grab', und fanden es offen, und ohne den Todten!
Jetzo kamen sie unter umschattende Palmen. Der Wandrer
Sah sie mit der Erhabenheit an, die Größe der Seele,
Und nicht Stolz ist, und sprach mit der mächtigen Stimme der Wahrheit:
Jhr Unweisen! und langsamen, harten Herzen zu glauben,
Dem zu glauben, was euch die Propheten verkündiget haben!
Mußte nicht dieß der Messias leiden? und, nach der Vollendung
Seiner Leiden, erst dann zu seiner Herrlichkeit eingehn?
Mit Erstaunen sahn sie sich an; mit bebender Ehrfurcht,
Jhn! ... Gern hätten sie ihn, doch nur Augenblicke, verlassen,
Und von ihm mit einander gesprochen. Jhr trübes Auge
Wurde Licht, und begegnete sich mit feurigen Fragen:
O, wer ist er, wer ist, der unsre Seele mit Ehrfurcht
Und mit Staunen erfüllt? ... Doch hatt' er nur angefangen
Ueber sie durch die Gewalt der siegenden Wahrheit zu herrschen.
Wie ein Sturm, der beginnt, mit gehaltner Stärke noch wehet,
Noch den kühleren Wald nicht ganz füllt; Stille ruhet
Noch in seinen Thalen, noch liegen blässere Schatten,
Ganz ist die Sonne noch nicht von des Sturmes Wolken umnachtet!
Also
L 3

Vierzehnter Geſang.
Ach, wir hofften auf ihn, und hielten ihn fuͤr den Meſſias!
Jſrael, hofften wir, ſollt er erloͤſen! Und uͤber das alles
Brach der dritte der Tage ſchon an, ſeit dieſes geſchehn iſt.

Und Matthias begann: Auch haben die Weiber der Unſern
Uns erſchreckt. Heut gingen ſie in der Fruͤhe zum Grabe.
Seinen Leichnam fanden ſie nicht. Sie kamen mit Zittern,
Hatten Geſichte der Engel geſehn, die ſagten, Er lebe!
Ach, wir vermochten uns nicht zu freuen! Einige gingen
Auch zu dem Grab’, und fanden es offen, und ohne den Todten!
Jetzo kamen ſie unter umſchattende Palmen. Der Wandrer
Sah ſie mit der Erhabenheit an, die Groͤße der Seele,
Und nicht Stolz iſt, und ſprach mit der maͤchtigen Stimme der Wahrheit:
Jhr Unweiſen! und langſamen, harten Herzen zu glauben,
Dem zu glauben, was euch die Propheten verkuͤndiget haben!
Mußte nicht dieß der Meſſias leiden? und, nach der Vollendung
Seiner Leiden, erſt dann zu ſeiner Herrlichkeit eingehn?
Mit Erſtaunen ſahn ſie ſich an; mit bebender Ehrfurcht,
Jhn! … Gern haͤtten ſie ihn, doch nur Augenblicke, verlaſſen,
Und von ihm mit einander geſprochen. Jhr truͤbes Auge
Wurde Licht, und begegnete ſich mit feurigen Fragen:
O, wer iſt er, wer iſt, der unſre Seele mit Ehrfurcht
Und mit Staunen erfuͤllt? … Doch hatt’ er nur angefangen
Ueber ſie durch die Gewalt der ſiegenden Wahrheit zu herrſchen.
Wie ein Sturm, der beginnt, mit gehaltner Staͤrke noch wehet,
Noch den kuͤhleren Wald nicht ganz fuͤllt; Stille ruhet
Noch in ſeinen Thalen, noch liegen blaͤſſere Schatten,
Ganz iſt die Sonne noch nicht von des Sturmes Wolken umnachtet!
Alſo
L 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="69">
            <pb facs="#f0181" n="165"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vierzehnter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
            <l>Ach, wir hofften auf ihn, und hielten ihn fu&#x0364;r den Me&#x017F;&#x017F;ias!</l><lb/>
            <l>J&#x017F;rael, hofften wir, &#x017F;ollt er erlo&#x0364;&#x017F;en! Und u&#x0364;ber das alles</l><lb/>
            <l>Brach der dritte der Tage &#x017F;chon an, &#x017F;eit die&#x017F;es ge&#x017F;chehn i&#x017F;t.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="70">
            <l>Und Matthias begann: Auch haben die Weiber der Un&#x017F;ern</l><lb/>
            <l>Uns er&#x017F;chreckt. Heut gingen &#x017F;ie in der Fru&#x0364;he zum Grabe.</l><lb/>
            <l>Seinen Leichnam fanden &#x017F;ie nicht. Sie kamen mit Zittern,</l><lb/>
            <l>Hatten Ge&#x017F;ichte der Engel ge&#x017F;ehn, die &#x017F;agten, Er lebe!</l><lb/>
            <l>Ach, wir vermochten uns nicht zu freuen! Einige gingen</l><lb/>
            <l>Auch zu dem Grab&#x2019;, und fanden es offen, und ohne den Todten!</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="71">
            <l>Jetzo kamen &#x017F;ie unter um&#x017F;chattende Palmen. Der Wandrer</l><lb/>
            <l>Sah &#x017F;ie mit der Erhabenheit an, die Gro&#x0364;ße der Seele,</l><lb/>
            <l>Und nicht Stolz i&#x017F;t, und &#x017F;prach mit der ma&#x0364;chtigen Stimme der Wahrheit:</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="72">
            <l>Jhr Unwei&#x017F;en! und lang&#x017F;amen, harten Herzen zu glauben,</l><lb/>
            <l>Dem zu glauben, was euch die Propheten verku&#x0364;ndiget haben!</l><lb/>
            <l>Mußte nicht dieß der Me&#x017F;&#x017F;ias leiden? und, nach der Vollendung</l><lb/>
            <l>Seiner Leiden, er&#x017F;t dann zu &#x017F;einer Herrlichkeit eingehn?</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="73">
            <l>Mit Er&#x017F;taunen &#x017F;ahn &#x017F;ie &#x017F;ich an; mit bebender Ehrfurcht,</l><lb/>
            <l>Jhn! &#x2026; Gern ha&#x0364;tten &#x017F;ie ihn, doch nur Augenblicke, verla&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
            <l>Und von ihm mit einander ge&#x017F;prochen. Jhr tru&#x0364;bes Auge</l><lb/>
            <l>Wurde Licht, und begegnete &#x017F;ich mit feurigen Fragen:</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="74">
            <l>O, wer i&#x017F;t er, wer i&#x017F;t, der un&#x017F;re Seele mit Ehrfurcht</l><lb/>
            <l>Und mit Staunen erfu&#x0364;llt? &#x2026; Doch hatt&#x2019; er nur angefangen</l><lb/>
            <l>Ueber &#x017F;ie durch die Gewalt der &#x017F;iegenden Wahrheit zu herr&#x017F;chen.</l><lb/>
            <l>Wie ein Sturm, der beginnt, mit gehaltner Sta&#x0364;rke noch wehet,</l><lb/>
            <l>Noch den ku&#x0364;hleren Wald nicht ganz fu&#x0364;llt; Stille ruhet</l><lb/>
            <l>Noch in &#x017F;einen Thalen, noch liegen bla&#x0364;&#x017F;&#x017F;ere Schatten,</l><lb/>
            <l>Ganz i&#x017F;t die Sonne noch nicht von des Sturmes Wolken umnachtet!</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">L 3</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">Al&#x017F;o</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0181] Vierzehnter Geſang. Ach, wir hofften auf ihn, und hielten ihn fuͤr den Meſſias! Jſrael, hofften wir, ſollt er erloͤſen! Und uͤber das alles Brach der dritte der Tage ſchon an, ſeit dieſes geſchehn iſt. Und Matthias begann: Auch haben die Weiber der Unſern Uns erſchreckt. Heut gingen ſie in der Fruͤhe zum Grabe. Seinen Leichnam fanden ſie nicht. Sie kamen mit Zittern, Hatten Geſichte der Engel geſehn, die ſagten, Er lebe! Ach, wir vermochten uns nicht zu freuen! Einige gingen Auch zu dem Grab’, und fanden es offen, und ohne den Todten! Jetzo kamen ſie unter umſchattende Palmen. Der Wandrer Sah ſie mit der Erhabenheit an, die Groͤße der Seele, Und nicht Stolz iſt, und ſprach mit der maͤchtigen Stimme der Wahrheit: Jhr Unweiſen! und langſamen, harten Herzen zu glauben, Dem zu glauben, was euch die Propheten verkuͤndiget haben! Mußte nicht dieß der Meſſias leiden? und, nach der Vollendung Seiner Leiden, erſt dann zu ſeiner Herrlichkeit eingehn? Mit Erſtaunen ſahn ſie ſich an; mit bebender Ehrfurcht, Jhn! … Gern haͤtten ſie ihn, doch nur Augenblicke, verlaſſen, Und von ihm mit einander geſprochen. Jhr truͤbes Auge Wurde Licht, und begegnete ſich mit feurigen Fragen: O, wer iſt er, wer iſt, der unſre Seele mit Ehrfurcht Und mit Staunen erfuͤllt? … Doch hatt’ er nur angefangen Ueber ſie durch die Gewalt der ſiegenden Wahrheit zu herrſchen. Wie ein Sturm, der beginnt, mit gehaltner Staͤrke noch wehet, Noch den kuͤhleren Wald nicht ganz fuͤllt; Stille ruhet Noch in ſeinen Thalen, noch liegen blaͤſſere Schatten, Ganz iſt die Sonne noch nicht von des Sturmes Wolken umnachtet! Alſo L 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/181
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/181>, abgerufen am 21.11.2024.