Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Funfzehnter Gesang.
Als von der niedrigsten Hütte der Würger hinauf zu dem Thron stieg!
Ach, Ein Schlag des Verderbers! alsdann Ein Seufzer! der Tod dann!
Hörerinn ihres Gesangs war nicht die Erde; die Sterne
Waren Hörer! Orion und du, des Richtenden Wage!
Die vernahmen sie nur. Da schloß ein gewälzter Felsen
Dumpferschütternd sein Grab! da stieg mit des sinkenden Felsen
Dumpfem Schall gen Himmel Staub. Da ruhte der Todte.
Schneller eiltet ihr fort, ihr Sterne Gottes. Der Todte
Schlief nicht lange. Mit Herrlichkeit, Halleluja, erwacht' er!
Halleluja, mit Herrlichkeit! Einige Schritte nur wart ihr,
Du Orion, und du, des Richtenden Wage, gestiegen,
Als er erstand! O feyerts in allen Himmeln, ihr Zeugen,
Daß er erstand! Und die auf dem einsamen Grab' hier blutet,
War auch Zeuginn, und Zeuge, der ihr den Dolch in das Herz stößt.
Wähnest du, Sterbliche, daß der Schlaf der Verwesenden ewig,
Daß auf immer daure der Schlummer im Schoosse der Erde?

Tabitha sah zur Prophetinn hinauf, und verstummte zu fragen.
Jrr' und wundernd hielt sie sich an dem Rahmen des Teppichs!
Aufstehn wollte sie, wollt' hingehn zur Prophetinn; vermochts nicht!
Und Debora stützete sich auf die Harfe. So sprach sie:
Lerne! Denn viel mußt du von der Auferstehung der Todten
Lernen! Du brauchst viel Trost des Todes, denn, Tabitha, zweymal
Jst dir zu sterben gesetzt. Der Erstgebohrne der Todten
War, und ist dereinst der Entschlafnen allmächtiger Wecker.
Nur mit leiser Klage, daß du zu der Erde zurückkehrst,
Und mit süssem Erwarten der zweyten Schöpfung aus Staube,
Mußt du nieder dich legen, und sterben. Den schreckt nicht des Grabes
Offne
O 2

Funfzehnter Geſang.
Als von der niedrigſten Huͤtte der Wuͤrger hinauf zu dem Thron ſtieg!
Ach, Ein Schlag des Verderbers! alsdann Ein Seufzer! der Tod dann!
Hoͤrerinn ihres Geſangs war nicht die Erde; die Sterne
Waren Hoͤrer! Orion und du, des Richtenden Wage!
Die vernahmen ſie nur. Da ſchloß ein gewaͤlzter Felſen
Dumpferſchuͤtternd ſein Grab! da ſtieg mit des ſinkenden Felſen
Dumpfem Schall gen Himmel Staub. Da ruhte der Todte.
Schneller eiltet ihr fort, ihr Sterne Gottes. Der Todte
Schlief nicht lange. Mit Herrlichkeit, Halleluja, erwacht’ er!
Halleluja, mit Herrlichkeit! Einige Schritte nur wart ihr,
Du Orion, und du, des Richtenden Wage, geſtiegen,
Als er erſtand! O feyerts in allen Himmeln, ihr Zeugen,
Daß er erſtand! Und die auf dem einſamen Grab’ hier blutet,
War auch Zeuginn, und Zeuge, der ihr den Dolch in das Herz ſtoͤßt.
Waͤhneſt du, Sterbliche, daß der Schlaf der Verweſenden ewig,
Daß auf immer daure der Schlummer im Schooſſe der Erde?

Tabitha ſah zur Prophetinn hinauf, und verſtummte zu fragen.
Jrr’ und wundernd hielt ſie ſich an dem Rahmen des Teppichs!
Aufſtehn wollte ſie, wollt’ hingehn zur Prophetinn; vermochts nicht!
Und Debora ſtuͤtzete ſich auf die Harfe. So ſprach ſie:
Lerne! Denn viel mußt du von der Auferſtehung der Todten
Lernen! Du brauchſt viel Troſt des Todes, denn, Tabitha, zweymal
Jſt dir zu ſterben geſetzt. Der Erſtgebohrne der Todten
War, und iſt dereinſt der Entſchlafnen allmaͤchtiger Wecker.
Nur mit leiſer Klage, daß du zu der Erde zuruͤckkehrſt,
Und mit ſuͤſſem Erwarten der zweyten Schoͤpfung aus Staube,
Mußt du nieder dich legen, und ſterben. Den ſchreckt nicht des Grabes
Offne
O 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="32">
            <pb facs="#f0227" n="211"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Funfzehnter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
            <l>Als von der niedrig&#x017F;ten Hu&#x0364;tte der Wu&#x0364;rger hinauf zu dem Thron &#x017F;tieg!</l><lb/>
            <l>Ach, Ein Schlag des Verderbers! alsdann Ein Seufzer! der Tod dann!</l><lb/>
            <l>Ho&#x0364;rerinn ihres Ge&#x017F;angs war nicht die Erde; die Sterne</l><lb/>
            <l>Waren Ho&#x0364;rer! Orion und du, des Richtenden Wage!</l><lb/>
            <l>Die vernahmen &#x017F;ie nur. Da &#x017F;chloß ein gewa&#x0364;lzter Fel&#x017F;en</l><lb/>
            <l>Dumpfer&#x017F;chu&#x0364;tternd &#x017F;ein Grab! da &#x017F;tieg mit des &#x017F;inkenden Fel&#x017F;en</l><lb/>
            <l>Dumpfem Schall gen Himmel Staub. Da ruhte der Todte.</l><lb/>
            <l>Schneller eiltet ihr fort, ihr Sterne Gottes. Der Todte</l><lb/>
            <l>Schlief nicht lange. Mit Herrlichkeit, Halleluja, erwacht&#x2019; er!</l><lb/>
            <l>Halleluja, mit Herrlichkeit! Einige Schritte nur wart ihr,</l><lb/>
            <l>Du Orion, und du, des Richtenden Wage, ge&#x017F;tiegen,</l><lb/>
            <l>Als er er&#x017F;tand! O feyerts in allen Himmeln, ihr Zeugen,</l><lb/>
            <l>Daß er er&#x017F;tand! Und die auf dem ein&#x017F;amen Grab&#x2019; hier blutet,</l><lb/>
            <l>War auch Zeuginn, und Zeuge, der ihr den Dolch in das Herz &#x017F;to&#x0364;ßt.</l><lb/>
            <l>Wa&#x0364;hne&#x017F;t du, Sterbliche, daß der Schlaf der Verwe&#x017F;enden ewig,</l><lb/>
            <l>Daß auf immer daure der Schlummer im Schoo&#x017F;&#x017F;e der Erde?</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="33">
            <l>Tabitha &#x017F;ah zur Prophetinn hinauf, und ver&#x017F;tummte zu fragen.</l><lb/>
            <l>Jrr&#x2019; und wundernd hielt &#x017F;ie &#x017F;ich an dem Rahmen des Teppichs!</l><lb/>
            <l>Auf&#x017F;tehn wollte &#x017F;ie, wollt&#x2019; hingehn zur Prophetinn; vermochts nicht!</l><lb/>
            <l>Und Debora &#x017F;tu&#x0364;tzete &#x017F;ich auf die Harfe. So &#x017F;prach &#x017F;ie:</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="34">
            <l>Lerne! Denn viel mußt du von der Aufer&#x017F;tehung der Todten</l><lb/>
            <l>Lernen! Du brauch&#x017F;t viel Tro&#x017F;t des Todes, denn, Tabitha, zweymal</l><lb/>
            <l>J&#x017F;t dir zu &#x017F;terben ge&#x017F;etzt. Der Er&#x017F;tgebohrne der Todten</l><lb/>
            <l>War, und i&#x017F;t derein&#x017F;t der Ent&#x017F;chlafnen allma&#x0364;chtiger Wecker.</l><lb/>
            <l>Nur mit lei&#x017F;er Klage, daß du zu der Erde zuru&#x0364;ckkehr&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>Und mit &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;em Erwarten der zweyten Scho&#x0364;pfung aus Staube,</l><lb/>
            <l>Mußt du nieder dich legen, und &#x017F;terben. Den &#x017F;chreckt nicht des Grabes</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">O 2</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">Offne</fw><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[211/0227] Funfzehnter Geſang. Als von der niedrigſten Huͤtte der Wuͤrger hinauf zu dem Thron ſtieg! Ach, Ein Schlag des Verderbers! alsdann Ein Seufzer! der Tod dann! Hoͤrerinn ihres Geſangs war nicht die Erde; die Sterne Waren Hoͤrer! Orion und du, des Richtenden Wage! Die vernahmen ſie nur. Da ſchloß ein gewaͤlzter Felſen Dumpferſchuͤtternd ſein Grab! da ſtieg mit des ſinkenden Felſen Dumpfem Schall gen Himmel Staub. Da ruhte der Todte. Schneller eiltet ihr fort, ihr Sterne Gottes. Der Todte Schlief nicht lange. Mit Herrlichkeit, Halleluja, erwacht’ er! Halleluja, mit Herrlichkeit! Einige Schritte nur wart ihr, Du Orion, und du, des Richtenden Wage, geſtiegen, Als er erſtand! O feyerts in allen Himmeln, ihr Zeugen, Daß er erſtand! Und die auf dem einſamen Grab’ hier blutet, War auch Zeuginn, und Zeuge, der ihr den Dolch in das Herz ſtoͤßt. Waͤhneſt du, Sterbliche, daß der Schlaf der Verweſenden ewig, Daß auf immer daure der Schlummer im Schooſſe der Erde? Tabitha ſah zur Prophetinn hinauf, und verſtummte zu fragen. Jrr’ und wundernd hielt ſie ſich an dem Rahmen des Teppichs! Aufſtehn wollte ſie, wollt’ hingehn zur Prophetinn; vermochts nicht! Und Debora ſtuͤtzete ſich auf die Harfe. So ſprach ſie: Lerne! Denn viel mußt du von der Auferſtehung der Todten Lernen! Du brauchſt viel Troſt des Todes, denn, Tabitha, zweymal Jſt dir zu ſterben geſetzt. Der Erſtgebohrne der Todten War, und iſt dereinſt der Entſchlafnen allmaͤchtiger Wecker. Nur mit leiſer Klage, daß du zu der Erde zuruͤckkehrſt, Und mit ſuͤſſem Erwarten der zweyten Schoͤpfung aus Staube, Mußt du nieder dich legen, und ſterben. Den ſchreckt nicht des Grabes Offne O 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/227
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/227>, abgerufen am 21.11.2024.