Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechzehnter Gesang.
Der den Blutigen führte ... Dem stillen Verläumder, daß diesem
Jeder schlangenzüngige Lästrer der Höll' entgegen
Zische! Stürzet ihn, Engel, hinab in die unterste Hölle!

Eilend kam ein Cherub herab aus der Ruhstat Gottes;
Und wie die wehenden Locken ihm flogen, die Wangen ihm glühten,
Sank er, vor Jesus Christus, dem Weltbeheirscher, zur Erde.
Mitler, der Stern, dessen Hüter ich bin, erhebt zu dem Ziele
Seiner Wandlung sich bald. Des hohen Sternes Bewohner
Haben schon Vorempfindung von ihrem Schwunge zum Urlicht;
Aber sie halten den Durst, aus seinen Strömen zu schöpfen,
Kaum noch aus. Zwar ist ihr Gefühl der Seligen Gottes;
Dennoch ist es Begnadung, wenn du sie früher hinaufführst!
Darf ich Gethsemane rühren und seine Palmen; so zittern
Wankender meine Pole, so sinken die Pfeiler der Tiefen
Eh, und mit ihnen hinab die Paradiese des Sternes.
Rühre Gethsemane, Ch'rub und seine Palmen. Der Engel
Eilte dahin, das Gestirn, daß es fruher ende, zu rühren.
Kermath kam sein Engel entgegen, und lächelt' ihm Liebe,
Sagte: Du warst für die Menschen, mit denen du lebtest, zu edel,
Guter Kermath. Das wars, daß sie dich verkannten, und haßten.
Trockne sie nun die Zähren, die du, mit innigem Schmerze,
Wegen dieser Verkennung in deiner Einsamkeit weintest.
Komm, den Lohn zu empfahn, den diese Güte des Herzens,
Diese Geduld dir erwarb. Blick auf! (er wies nach dem Sterne)
Dort wirst du auf der ersten Stufe der Seligkeit stehen!
Aber du steigst, die Ewigkeit durch, von Stufe zu Stufe,
Jmmer von Helle zu Licht, von Freude zu Wonne!.. Sie schwebten
Mit

Sechzehnter Geſang.
Der den Blutigen fuͤhrte … Dem ſtillen Verlaͤumder, daß dieſem
Jeder ſchlangenzuͤngige Laͤſtrer der Hoͤll’ entgegen
Ziſche! Stuͤrzet ihn, Engel, hinab in die unterſte Hoͤlle!

Eilend kam ein Cherub herab aus der Ruhſtat Gottes;
Und wie die wehenden Locken ihm flogen, die Wangen ihm gluͤhten,
Sank er, vor Jeſus Chriſtus, dem Weltbeheirſcher, zur Erde.
Mitler, der Stern, deſſen Huͤter ich bin, erhebt zu dem Ziele
Seiner Wandlung ſich bald. Des hohen Sternes Bewohner
Haben ſchon Vorempfindung von ihrem Schwunge zum Urlicht;
Aber ſie halten den Durſt, aus ſeinen Stroͤmen zu ſchoͤpfen,
Kaum noch aus. Zwar iſt ihr Gefuͤhl der Seligen Gottes;
Dennoch iſt es Begnadung, wenn du ſie fruͤher hinauffuͤhrſt!
Darf ich Gethſemane ruͤhren und ſeine Palmen; ſo zittern
Wankender meine Pole, ſo ſinken die Pfeiler der Tiefen
Eh, und mit ihnen hinab die Paradieſe des Sternes.
Ruͤhre Gethſemane, Ch’rub und ſeine Palmen. Der Engel
Eilte dahin, das Geſtirn, daß es fruher ende, zu ruͤhren.
Kermath kam ſein Engel entgegen, und laͤchelt’ ihm Liebe,
Sagte: Du warſt fuͤr die Menſchen, mit denen du lebteſt, zu edel,
Guter Kermath. Das wars, daß ſie dich verkannten, und haßten.
Trockne ſie nun die Zaͤhren, die du, mit innigem Schmerze,
Wegen dieſer Verkennung in deiner Einſamkeit weinteſt.
Komm, den Lohn zu empfahn, den dieſe Guͤte des Herzens,
Dieſe Geduld dir erwarb. Blick auf! (er wies nach dem Sterne)
Dort wirſt du auf der erſten Stufe der Seligkeit ſtehen!
Aber du ſteigſt, die Ewigkeit durch, von Stufe zu Stufe,
Jmmer von Helle zu Licht, von Freude zu Wonne!.. Sie ſchwebten
Mit
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="9">
              <pb facs="#f0031" n="31"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Sechzehnter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
              <l>Der den Blutigen fu&#x0364;hrte &#x2026; Dem &#x017F;tillen Verla&#x0364;umder, daß die&#x017F;em</l><lb/>
              <l>Jeder &#x017F;chlangenzu&#x0364;ngige La&#x0364;&#x017F;trer der Ho&#x0364;ll&#x2019; entgegen</l><lb/>
              <l>Zi&#x017F;che! Stu&#x0364;rzet ihn, Engel, hinab in die unter&#x017F;te Ho&#x0364;lle!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="10">
              <l>Eilend kam ein Cherub herab aus der Ruh&#x017F;tat Gottes;</l><lb/>
              <l>Und wie die wehenden Locken ihm flogen, die Wangen ihm glu&#x0364;hten,</l><lb/>
              <l>Sank er, vor Je&#x017F;us Chri&#x017F;tus, dem Weltbeheir&#x017F;cher, zur Erde.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="11">
              <l>Mitler, der Stern, de&#x017F;&#x017F;en Hu&#x0364;ter ich bin, erhebt zu dem Ziele</l><lb/>
              <l>Seiner Wandlung &#x017F;ich bald. Des hohen Sternes Bewohner</l><lb/>
              <l>Haben &#x017F;chon Vorempfindung von ihrem Schwunge zum Urlicht;</l><lb/>
              <l>Aber &#x017F;ie halten den Dur&#x017F;t, aus &#x017F;einen Stro&#x0364;men zu &#x017F;cho&#x0364;pfen,</l><lb/>
              <l>Kaum noch aus. Zwar i&#x017F;t ihr Gefu&#x0364;hl der Seligen Gottes;</l><lb/>
              <l>Dennoch i&#x017F;t es Begnadung, wenn du &#x017F;ie fru&#x0364;her hinauffu&#x0364;hr&#x017F;t!</l><lb/>
              <l>Darf ich Geth&#x017F;emane ru&#x0364;hren und &#x017F;eine Palmen; &#x017F;o zittern</l><lb/>
              <l>Wankender meine Pole, &#x017F;o &#x017F;inken die Pfeiler der Tiefen</l><lb/>
              <l>Eh, und mit ihnen hinab die Paradie&#x017F;e des Sternes.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="12">
              <l>Ru&#x0364;hre Geth&#x017F;emane, Ch&#x2019;rub und &#x017F;eine Palmen. Der Engel</l><lb/>
              <l>Eilte dahin, das Ge&#x017F;tirn, daß es fruher ende, zu ru&#x0364;hren.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="13">
              <l>Kermath kam &#x017F;ein Engel entgegen, und la&#x0364;chelt&#x2019; ihm Liebe,</l><lb/>
              <l>Sagte: Du war&#x017F;t fu&#x0364;r die Men&#x017F;chen, mit denen du lebte&#x017F;t, zu edel,</l><lb/>
              <l>Guter Kermath. Das wars, daß &#x017F;ie dich verkannten, und haßten.</l><lb/>
              <l>Trockne &#x017F;ie nun die Za&#x0364;hren, die du, mit innigem Schmerze,</l><lb/>
              <l>Wegen die&#x017F;er Verkennung in deiner Ein&#x017F;amkeit weinte&#x017F;t.</l><lb/>
              <l>Komm, den Lohn zu empfahn, den die&#x017F;e Gu&#x0364;te des Herzens,</l><lb/>
              <l>Die&#x017F;e Geduld dir erwarb. Blick auf! (er wies nach dem Sterne)</l><lb/>
              <l>Dort wir&#x017F;t du auf der er&#x017F;ten Stufe der Seligkeit &#x017F;tehen!</l><lb/>
              <l>Aber du &#x017F;teig&#x017F;t, die Ewigkeit durch, von Stufe zu Stufe,</l><lb/>
              <l>Jmmer von Helle zu Licht, von Freude zu Wonne!.. Sie &#x017F;chwebten</l><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Mit</fw><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0031] Sechzehnter Geſang. Der den Blutigen fuͤhrte … Dem ſtillen Verlaͤumder, daß dieſem Jeder ſchlangenzuͤngige Laͤſtrer der Hoͤll’ entgegen Ziſche! Stuͤrzet ihn, Engel, hinab in die unterſte Hoͤlle! Eilend kam ein Cherub herab aus der Ruhſtat Gottes; Und wie die wehenden Locken ihm flogen, die Wangen ihm gluͤhten, Sank er, vor Jeſus Chriſtus, dem Weltbeheirſcher, zur Erde. Mitler, der Stern, deſſen Huͤter ich bin, erhebt zu dem Ziele Seiner Wandlung ſich bald. Des hohen Sternes Bewohner Haben ſchon Vorempfindung von ihrem Schwunge zum Urlicht; Aber ſie halten den Durſt, aus ſeinen Stroͤmen zu ſchoͤpfen, Kaum noch aus. Zwar iſt ihr Gefuͤhl der Seligen Gottes; Dennoch iſt es Begnadung, wenn du ſie fruͤher hinauffuͤhrſt! Darf ich Gethſemane ruͤhren und ſeine Palmen; ſo zittern Wankender meine Pole, ſo ſinken die Pfeiler der Tiefen Eh, und mit ihnen hinab die Paradieſe des Sternes. Ruͤhre Gethſemane, Ch’rub und ſeine Palmen. Der Engel Eilte dahin, das Geſtirn, daß es fruher ende, zu ruͤhren. Kermath kam ſein Engel entgegen, und laͤchelt’ ihm Liebe, Sagte: Du warſt fuͤr die Menſchen, mit denen du lebteſt, zu edel, Guter Kermath. Das wars, daß ſie dich verkannten, und haßten. Trockne ſie nun die Zaͤhren, die du, mit innigem Schmerze, Wegen dieſer Verkennung in deiner Einſamkeit weinteſt. Komm, den Lohn zu empfahn, den dieſe Guͤte des Herzens, Dieſe Geduld dir erwarb. Blick auf! (er wies nach dem Sterne) Dort wirſt du auf der erſten Stufe der Seligkeit ſtehen! Aber du ſteigſt, die Ewigkeit durch, von Stufe zu Stufe, Jmmer von Helle zu Licht, von Freude zu Wonne!.. Sie ſchwebten Mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/31
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 4. Halle, 1773, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias04_1773/31>, abgerufen am 26.11.2024.