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Klostermann, Rudolf: Das geistige Eigenthum an Schriften, Kunstwerken und Erfindungen. Bd. 1. Berlin, 1867.

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Unvollkommenheit des Rechtsschutzes.
sultate vieljähriger Forschungen und Entdeckungsreisen in dem
tropischen Amerika bekannt. Während aber das umfangreiche
und gelehrte Reisewerk selbst nur eine geringe Verbreitung
finden konnte, bereicherten die darin mitgetheilten geographi-
schen und naturwissenschaftlichen Thatsachen eine grosse An-
zahl von Lehr- und Handbüchern, die ungestraft aus dieser
Quelle schöpfen durften. Lavoisier, Davy und Berzelius er-
hielten ein Verlagsrecht für ihre Werke, jedoch nicht für die
darin begründeten Gesetze der Chemie; und während diese
Gesetze in zahlreichen neueren chemischen Handbüchern wie-
derholt und zusammengetragen sind, werden die Bücher, in
denen sie zuerst veröffentlicht wurden, nur noch von Wenigen
gelesen.

Allerdings waren jene Gelehrten weit entfernt, die Ver-
breitung der von ihnen entdeckten Thatsachen zu hindern.
Sie würden dies aber auch niemals vermocht haben, denn die
Kenntniss wissenschaftlicher Thatsachen und Gesetze fordert
mit zwingender Nothwendigkeit zu ihrer weiteren Mittheilung
auf. Wollte die Gesetzgebung versuchen, die Mittheilung sol-
cher neuen Thatsachen zu Gunsten des Entdeckers zu mono-
polisiren, so würde sie nichts weniger unternehmen müssen,
als jede wissenschaftliche Erörterung überhaupt zum Stillstand
zu bringen. Denn wie würde der Naturforscher, welcher von
der Spectralanalyse Kenntniss genommen hat, die Gesetze der
Lichtbrechung oder die Lehre von den einfachen Körpern er-
örtern können, ohne jene neuen Entdeckungen mitzutheilen.
Er würde, selbst wenn er sie nicht für richtig annähme, doch
ausser Stande sein, sie zu widerlegen, ohne sie zuvor mitzu-
theilen. Ein Monopol der Mittheilung von Thatsachen würde
also gleichbedeutend sein mit der Aufhebung aller wissenschaft-
lichen Thätigkeit überhaupt. Es würde zugleich eine uner-
trägliche Beschränkung der freien geistigen Bewegung enthal-
ten, denn das muss als ein unbedingtes Postulat der persön-
lichen Freiheit bezeichnet werden, dass Jeder berechtigt ist,
den Inhalt seines Wissens in beliebiger, wenn nur selbststän-
diger Form Andern mitzutheilen. Daher hat selbst derjenige
Zweig unsrer Literatur, welcher die gewerbsmässige Mitthei-
lung neuer Thatsachen zum Gegenstande hat -- ich meine die
Zeitungsliteratur -- die Regel angenommen, dass die gegen-
seitige Entlehnung von Thatsachen selbst in unveränderter

Unvollkommenheit des Rechtsschutzes.
sultate vieljähriger Forschungen und Entdeckungsreisen in dem
tropischen Amerika bekannt. Während aber das umfangreiche
und gelehrte Reisewerk selbst nur eine geringe Verbreitung
finden konnte, bereicherten die darin mitgetheilten geographi-
schen und naturwissenschaftlichen Thatsachen eine grosse An-
zahl von Lehr- und Handbüchern, die ungestraft aus dieser
Quelle schöpfen durften. Lavoisier, Davy und Berzelius er-
hielten ein Verlagsrecht für ihre Werke, jedoch nicht für die
darin begründeten Gesetze der Chemie; und während diese
Gesetze in zahlreichen neueren chemischen Handbüchern wie-
derholt und zusammengetragen sind, werden die Bücher, in
denen sie zuerst veröffentlicht wurden, nur noch von Wenigen
gelesen.

Allerdings waren jene Gelehrten weit entfernt, die Ver-
breitung der von ihnen entdeckten Thatsachen zu hindern.
Sie würden dies aber auch niemals vermocht haben, denn die
Kenntniss wissenschaftlicher Thatsachen und Gesetze fordert
mit zwingender Nothwendigkeit zu ihrer weiteren Mittheilung
auf. Wollte die Gesetzgebung versuchen, die Mittheilung sol-
cher neuen Thatsachen zu Gunsten des Entdeckers zu mono-
polisiren, so würde sie nichts weniger unternehmen müssen,
als jede wissenschaftliche Erörterung überhaupt zum Stillstand
zu bringen. Denn wie würde der Naturforscher, welcher von
der Spectralanalyse Kenntniss genommen hat, die Gesetze der
Lichtbrechung oder die Lehre von den einfachen Körpern er-
örtern können, ohne jene neuen Entdeckungen mitzutheilen.
Er würde, selbst wenn er sie nicht für richtig annähme, doch
ausser Stande sein, sie zu widerlegen, ohne sie zuvor mitzu-
theilen. Ein Monopol der Mittheilung von Thatsachen würde
also gleichbedeutend sein mit der Aufhebung aller wissenschaft-
lichen Thätigkeit überhaupt. Es würde zugleich eine uner-
trägliche Beschränkung der freien geistigen Bewegung enthal-
ten, denn das muss als ein unbedingtes Postulat der persön-
lichen Freiheit bezeichnet werden, dass Jeder berechtigt ist,
den Inhalt seines Wissens in beliebiger, wenn nur selbststän-
diger Form Andern mitzutheilen. Daher hat selbst derjenige
Zweig unsrer Literatur, welcher die gewerbsmässige Mitthei-
lung neuer Thatsachen zum Gegenstande hat — ich meine die
Zeitungsliteratur — die Regel angenommen, dass die gegen-
seitige Entlehnung von Thatsachen selbst in unveränderter

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[19/0035] Unvollkommenheit des Rechtsschutzes. sultate vieljähriger Forschungen und Entdeckungsreisen in dem tropischen Amerika bekannt. Während aber das umfangreiche und gelehrte Reisewerk selbst nur eine geringe Verbreitung finden konnte, bereicherten die darin mitgetheilten geographi- schen und naturwissenschaftlichen Thatsachen eine grosse An- zahl von Lehr- und Handbüchern, die ungestraft aus dieser Quelle schöpfen durften. Lavoisier, Davy und Berzelius er- hielten ein Verlagsrecht für ihre Werke, jedoch nicht für die darin begründeten Gesetze der Chemie; und während diese Gesetze in zahlreichen neueren chemischen Handbüchern wie- derholt und zusammengetragen sind, werden die Bücher, in denen sie zuerst veröffentlicht wurden, nur noch von Wenigen gelesen. Allerdings waren jene Gelehrten weit entfernt, die Ver- breitung der von ihnen entdeckten Thatsachen zu hindern. Sie würden dies aber auch niemals vermocht haben, denn die Kenntniss wissenschaftlicher Thatsachen und Gesetze fordert mit zwingender Nothwendigkeit zu ihrer weiteren Mittheilung auf. Wollte die Gesetzgebung versuchen, die Mittheilung sol- cher neuen Thatsachen zu Gunsten des Entdeckers zu mono- polisiren, so würde sie nichts weniger unternehmen müssen, als jede wissenschaftliche Erörterung überhaupt zum Stillstand zu bringen. Denn wie würde der Naturforscher, welcher von der Spectralanalyse Kenntniss genommen hat, die Gesetze der Lichtbrechung oder die Lehre von den einfachen Körpern er- örtern können, ohne jene neuen Entdeckungen mitzutheilen. Er würde, selbst wenn er sie nicht für richtig annähme, doch ausser Stande sein, sie zu widerlegen, ohne sie zuvor mitzu- theilen. Ein Monopol der Mittheilung von Thatsachen würde also gleichbedeutend sein mit der Aufhebung aller wissenschaft- lichen Thätigkeit überhaupt. Es würde zugleich eine uner- trägliche Beschränkung der freien geistigen Bewegung enthal- ten, denn das muss als ein unbedingtes Postulat der persön- lichen Freiheit bezeichnet werden, dass Jeder berechtigt ist, den Inhalt seines Wissens in beliebiger, wenn nur selbststän- diger Form Andern mitzutheilen. Daher hat selbst derjenige Zweig unsrer Literatur, welcher die gewerbsmässige Mitthei- lung neuer Thatsachen zum Gegenstande hat — ich meine die Zeitungsliteratur — die Regel angenommen, dass die gegen- seitige Entlehnung von Thatsachen selbst in unveränderter

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Zitationshilfe: Klostermann, Rudolf: Das geistige Eigenthum an Schriften, Kunstwerken und Erfindungen. Bd. 1. Berlin, 1867, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klostermann_eigenthum01_1867/35>, abgerufen am 21.11.2024.