Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

Haß aus, und glaubte, es könnte lhnen nie auf
Erden wol gehen; über die grausame Behand-
lung des Kerkermeisters beklagte er sich mit heu-
lender Stimme, und hatte eine solche Furcht vor
ihm, daß er sich, sobald er seiner ansichtig ward,
unter einen alten Tisch verbarg *). Er endete
endlich im Jahr 1778 sein kummervolles Leben,
im zwei und siebenzigsten Jahre seines Alters,
nachdem er zwei und zwanzig Jahre in dieser
Behausung des Elends zugebracht hatte. --

Ueber seine Geschichte war ein solches Dun-
kel verbreitet, daß es mir unmöglich blieb, sie
aufzuklären. War er unschuldig, so mag uns
der frohe Gedanke trösten, "die Unschuld
wird an Gottes Morgen nach einem sanf-
ten Schlaf erstehn"; war er schuldig,
so
konnte eine solche Strafe nie dem Verbrechen,
was er beging, angemessen sein, dann war es
immer Wolthat, ihm das Leben zu nehmen,

*) Il n'y a point de meilleure amie que la Vertu, car
elle ne nous abandonne jamais.
Diese Zeilen gab
er mir, da ich ihn verließ, zum Andenken, und
man sieht daraus, daß seine Lebensgeister noch
nicht ganz zerrüttet waren, und er sich sein Ge-
fängniß erst so zu Gemüte gezogen hatte, daß er
in diesen traurigen Zustand verfallen war.

Haß aus, und glaubte, es koͤnnte lhnen nie auf
Erden wol gehen; uͤber die grauſame Behand-
lung des Kerkermeiſters beklagte er ſich mit heu-
lender Stimme, und hatte eine ſolche Furcht vor
ihm, daß er ſich, ſobald er ſeiner anſichtig ward,
unter einen alten Tiſch verbarg *). Er endete
endlich im Jahr 1778 ſein kummervolles Leben,
im zwei und ſiebenzigſten Jahre ſeines Alters,
nachdem er zwei und zwanzig Jahre in dieſer
Behauſung des Elends zugebracht hatte. —

Ueber ſeine Geſchichte war ein ſolches Dun-
kel verbreitet, daß es mir unmoͤglich blieb, ſie
aufzuklaͤren. War er unſchuldig, ſo mag uns
der frohe Gedanke troͤſten, „die Unſchuld
wird an Gottes Morgen nach einem ſanf-
ten Schlaf erſtehn‟; war er ſchuldig,
ſo
konnte eine ſolche Strafe nie dem Verbrechen,
was er beging, angemeſſen ſein, dann war es
immer Wolthat, ihm das Leben zu nehmen,

*) Il n’y a point de meilleure amie que la Vertu, car
elle ne nous abandonne jamais.
Dieſe Zeilen gab
er mir, da ich ihn verließ, zum Andenken, und
man ſieht daraus, daß ſeine Lebensgeiſter noch
nicht ganz zerruͤttet waren, und er ſich ſein Ge-
faͤngniß erſt ſo zu Gemuͤte gezogen hatte, daß er
in dieſen traurigen Zuſtand verfallen war.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0274" n="266"/>
Haß aus, und glaubte, es ko&#x0364;nnte lhnen nie auf<lb/>
Erden wol gehen; u&#x0364;ber die grau&#x017F;ame Behand-<lb/>
lung des Kerkermei&#x017F;ters beklagte er &#x017F;ich mit heu-<lb/>
lender Stimme, und hatte eine &#x017F;olche Furcht vor<lb/>
ihm, daß er &#x017F;ich, &#x017F;obald er &#x017F;einer an&#x017F;ichtig ward,<lb/>
unter einen alten Ti&#x017F;ch verbarg <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">Il n&#x2019;y a point de meilleure amie que la Vertu, car<lb/>
elle ne nous abandonne jamais.</hi> Die&#x017F;e Zeilen gab<lb/>
er mir, da ich ihn verließ, zum Andenken, und<lb/>
man &#x017F;ieht daraus, daß &#x017F;eine Lebensgei&#x017F;ter noch<lb/>
nicht ganz zerru&#x0364;ttet waren, und er &#x017F;ich &#x017F;ein Ge-<lb/>
fa&#x0364;ngniß er&#x017F;t &#x017F;o zu Gemu&#x0364;te gezogen hatte, daß er<lb/>
in die&#x017F;en traurigen Zu&#x017F;tand verfallen war.</note>. Er endete<lb/>
endlich im Jahr 1778 &#x017F;ein kummervolles Leben,<lb/>
im zwei und &#x017F;iebenzig&#x017F;ten Jahre &#x017F;eines Alters,<lb/>
nachdem er <hi rendition="#fr">zwei und zwanzig Jahre</hi> in die&#x017F;er<lb/>
Behau&#x017F;ung des Elends zugebracht hatte. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Ueber &#x017F;eine Ge&#x017F;chichte war ein &#x017F;olches Dun-<lb/>
kel verbreitet, daß es mir unmo&#x0364;glich blieb, &#x017F;ie<lb/>
aufzukla&#x0364;ren. <hi rendition="#fr">War er un&#x017F;chuldig,</hi> &#x017F;o mag uns<lb/>
der frohe Gedanke tro&#x0364;&#x017F;ten, <hi rendition="#fr">&#x201E;die Un&#x017F;chuld<lb/>
wird an Gottes Morgen nach einem &#x017F;anf-<lb/>
ten Schlaf er&#x017F;tehn&#x201F;; war er &#x017F;chuldig,</hi> &#x017F;o<lb/>
konnte eine &#x017F;olche Strafe nie dem Verbrechen,<lb/>
was er beging, angeme&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ein, dann war es<lb/>
immer Wolthat, ihm das Leben zu nehmen,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[266/0274] Haß aus, und glaubte, es koͤnnte lhnen nie auf Erden wol gehen; uͤber die grauſame Behand- lung des Kerkermeiſters beklagte er ſich mit heu- lender Stimme, und hatte eine ſolche Furcht vor ihm, daß er ſich, ſobald er ſeiner anſichtig ward, unter einen alten Tiſch verbarg *). Er endete endlich im Jahr 1778 ſein kummervolles Leben, im zwei und ſiebenzigſten Jahre ſeines Alters, nachdem er zwei und zwanzig Jahre in dieſer Behauſung des Elends zugebracht hatte. — Ueber ſeine Geſchichte war ein ſolches Dun- kel verbreitet, daß es mir unmoͤglich blieb, ſie aufzuklaͤren. War er unſchuldig, ſo mag uns der frohe Gedanke troͤſten, „die Unſchuld wird an Gottes Morgen nach einem ſanf- ten Schlaf erſtehn‟; war er ſchuldig, ſo konnte eine ſolche Strafe nie dem Verbrechen, was er beging, angemeſſen ſein, dann war es immer Wolthat, ihm das Leben zu nehmen, *) Il n’y a point de meilleure amie que la Vertu, car elle ne nous abandonne jamais. Dieſe Zeilen gab er mir, da ich ihn verließ, zum Andenken, und man ſieht daraus, daß ſeine Lebensgeiſter noch nicht ganz zerruͤttet waren, und er ſich ſein Ge- faͤngniß erſt ſo zu Gemuͤte gezogen hatte, daß er in dieſen traurigen Zuſtand verfallen war.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/274
Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/274>, abgerufen am 22.11.2024.