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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

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anstatt ihn durch die Beraubung seiner Seeien-
kräfte doppelt zu morden, und Furien in seinem
Herzen hervor zu lokken, die ihn unaufhörlich
zerfleischen musten, bis der saftlose Körper end-
lich, da ihm Glied für Glied abgelößt, Faser
für Faser zerrissen worden, in Klumpen fiel,
und die lezten Zukkungen ihn dreimal in die
Höhe, und dreimal zurük warfen. Und dis
elende Leben im Kerker, unter der Peitsche
des Kerkermeisters -- unter eiternden Schmer-
zen, unter den innern Krämpfen der Seele,
muste er zwei und zwanzig Jahre verleben --
welch' eine lange Zeit! wie viel Monate, Wochen
und Stunden! Nur ein Viertel dieser Zeit, und
wer verlöre nicht den Gebrauch jener Kräfte, die
uns die Gottheit einbließ? wer verzweifelte nicht
an Gott und Vorsehung, und haschte mit gieri-
ger Freude ein Werkzeug, sich selbst zu zer-
nichten? --

O Gerechter! dunkel sind die Wege, die
du mit den Menschenkindern wandelst, wer ver-
mag sie zu ergründen? wer kann auftreten, und
dich fragen, warum thust du das? warum lässest
du die Unschuld im Staube sich krümmen? --
Aber uns ward auch die Verheissung, daß du

anſtatt ihn durch die Beraubung ſeiner Seeien-
kraͤfte doppelt zu morden, und Furien in ſeinem
Herzen hervor zu lokken, die ihn unaufhoͤrlich
zerfleiſchen muſten, bis der ſaftloſe Koͤrper end-
lich, da ihm Glied fuͤr Glied abgeloͤßt, Faſer
fuͤr Faſer zerriſſen worden, in Klumpen fiel,
und die lezten Zukkungen ihn dreimal in die
Hoͤhe, und dreimal zuruͤk warfen. Und dis
elende Leben im Kerker, unter der Peitſche
des Kerkermeiſters — unter eiternden Schmer-
zen, unter den innern Kraͤmpfen der Seele,
muſte er zwei und zwanzig Jahre verleben —
welch’ eine lange Zeit! wie viel Monate, Wochen
und Stunden! Nur ein Viertel dieſer Zeit, und
wer verloͤre nicht den Gebrauch jener Kraͤfte, die
uns die Gottheit einbließ? wer verzweifelte nicht
an Gott und Vorſehung, und haſchte mit gieri-
ger Freude ein Werkzeug, ſich ſelbſt zu zer-
nichten? —

O Gerechter! dunkel ſind die Wege, die
du mit den Menſchenkindern wandelſt, wer ver-
mag ſie zu ergruͤnden? wer kann auftreten, und
dich fragen, warum thuſt du das? warum laͤſſeſt
du die Unſchuld im Staube ſich kruͤmmen? —
Aber uns ward auch die Verheiſſung, daß du

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[267/0275] anſtatt ihn durch die Beraubung ſeiner Seeien- kraͤfte doppelt zu morden, und Furien in ſeinem Herzen hervor zu lokken, die ihn unaufhoͤrlich zerfleiſchen muſten, bis der ſaftloſe Koͤrper end- lich, da ihm Glied fuͤr Glied abgeloͤßt, Faſer fuͤr Faſer zerriſſen worden, in Klumpen fiel, und die lezten Zukkungen ihn dreimal in die Hoͤhe, und dreimal zuruͤk warfen. Und dis elende Leben im Kerker, unter der Peitſche des Kerkermeiſters — unter eiternden Schmer- zen, unter den innern Kraͤmpfen der Seele, muſte er zwei und zwanzig Jahre verleben — welch’ eine lange Zeit! wie viel Monate, Wochen und Stunden! Nur ein Viertel dieſer Zeit, und wer verloͤre nicht den Gebrauch jener Kraͤfte, die uns die Gottheit einbließ? wer verzweifelte nicht an Gott und Vorſehung, und haſchte mit gieri- ger Freude ein Werkzeug, ſich ſelbſt zu zer- nichten? — O Gerechter! dunkel ſind die Wege, die du mit den Menſchenkindern wandelſt, wer ver- mag ſie zu ergruͤnden? wer kann auftreten, und dich fragen, warum thuſt du das? warum laͤſſeſt du die Unſchuld im Staube ſich kruͤmmen? — Aber uns ward auch die Verheiſſung, daß du

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Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/275>, abgerufen am 22.11.2024.