Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

gewöhnlich anwendet. Dieser Kniff besteht darin, daß man ihm seine Sache als von der des Gebildeten himmelweit unterschieden darstellt. Die Wenigsten haben eine klare Ahnung davon, daß sie, die einzeln, versprengt, auf dem Schlachtfelde nach Errungenschaften des Sieges forschen, tausend Andere dem Feinde bloßstellen, der die Abwesenheit ihrer Häupter wohl kennt.

Trotz dieser geistigen Verschiedenheit sah man Josseph seit jenem denkwürdigen Sabbatabende, wo er Madlena vor seinem Hause begegnet war, sich viel inniger und vertraulicher dem Lehrer aus dem Ghetto anschließen; er ließ sich mit ihm öfter, als früher, in religiöse Gespräche ein und fand an dessen Aufklärung nicht mehr so viel auszusetzen, als in früheren Tagen. Dieser Seele schien es ein Bedürfniß geworden, auf die Gedanken einer andern zu horchen; auszuspähen, ob nicht ein entfallenes Wort, eine lose hingeworfene Bemerkung seinem Leiden zu Hülfe kämen, ob nicht eine Perle zu Boden fiele, die er dann aufheben und triumphirend als Schmuck seiner guten Sache verwenden könnte.

Josseph war jedes Mal zugegen, wenn Julius Arnsteiner seinem Kinde Unterricht aus der Thora ertheilte. Es waren dies seine freudigsten, aber auch zugleich seine schrecklichsten Stunden. Fluch und Segen, Verwirrung und Aufklärung, Trost und Angst strömten ihm gleichmäßig aus den Lebenswellen des heiligen Buches zu. Wie auch anders!

gewöhnlich anwendet. Dieser Kniff besteht darin, daß man ihm seine Sache als von der des Gebildeten himmelweit unterschieden darstellt. Die Wenigsten haben eine klare Ahnung davon, daß sie, die einzeln, versprengt, auf dem Schlachtfelde nach Errungenschaften des Sieges forschen, tausend Andere dem Feinde bloßstellen, der die Abwesenheit ihrer Häupter wohl kennt.

Trotz dieser geistigen Verschiedenheit sah man Josseph seit jenem denkwürdigen Sabbatabende, wo er Madlena vor seinem Hause begegnet war, sich viel inniger und vertraulicher dem Lehrer aus dem Ghetto anschließen; er ließ sich mit ihm öfter, als früher, in religiöse Gespräche ein und fand an dessen Aufklärung nicht mehr so viel auszusetzen, als in früheren Tagen. Dieser Seele schien es ein Bedürfniß geworden, auf die Gedanken einer andern zu horchen; auszuspähen, ob nicht ein entfallenes Wort, eine lose hingeworfene Bemerkung seinem Leiden zu Hülfe kämen, ob nicht eine Perle zu Boden fiele, die er dann aufheben und triumphirend als Schmuck seiner guten Sache verwenden könnte.

Josseph war jedes Mal zugegen, wenn Julius Arnsteiner seinem Kinde Unterricht aus der Thora ertheilte. Es waren dies seine freudigsten, aber auch zugleich seine schrecklichsten Stunden. Fluch und Segen, Verwirrung und Aufklärung, Trost und Angst strömten ihm gleichmäßig aus den Lebenswellen des heiligen Buches zu. Wie auch anders!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="7">
        <p><pb facs="#f0105"/>
gewöhnlich anwendet. Dieser Kniff besteht darin, daß man ihm seine                Sache als von der des Gebildeten himmelweit unterschieden darstellt. Die Wenigsten                haben eine klare Ahnung davon, daß sie, die einzeln, versprengt, auf dem                Schlachtfelde nach Errungenschaften des Sieges forschen, tausend Andere dem Feinde                bloßstellen, der die Abwesenheit ihrer Häupter wohl kennt.</p><lb/>
        <p>Trotz dieser geistigen Verschiedenheit sah man Josseph seit jenem denkwürdigen                Sabbatabende, wo er Madlena vor seinem Hause begegnet war, sich viel inniger und                vertraulicher dem Lehrer aus dem Ghetto anschließen; er ließ sich mit ihm öfter, als                früher, in religiöse Gespräche ein und fand an dessen Aufklärung nicht mehr so viel                auszusetzen, als in früheren Tagen. Dieser Seele schien es ein Bedürfniß geworden,                auf die Gedanken einer andern zu horchen; auszuspähen, ob nicht ein entfallenes Wort,                eine lose hingeworfene Bemerkung seinem Leiden zu Hülfe kämen, ob nicht eine Perle zu                Boden fiele, die er dann aufheben und triumphirend als Schmuck seiner guten Sache                verwenden könnte.</p><lb/>
        <p>Josseph war jedes Mal zugegen, wenn Julius Arnsteiner seinem Kinde Unterricht aus der                Thora ertheilte. Es waren dies seine freudigsten, aber auch zugleich seine                schrecklichsten Stunden. Fluch und Segen, Verwirrung und Aufklärung, Trost und Angst                strömten ihm gleichmäßig aus den Lebenswellen des heiligen Buches zu. Wie auch                anders!</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0105] gewöhnlich anwendet. Dieser Kniff besteht darin, daß man ihm seine Sache als von der des Gebildeten himmelweit unterschieden darstellt. Die Wenigsten haben eine klare Ahnung davon, daß sie, die einzeln, versprengt, auf dem Schlachtfelde nach Errungenschaften des Sieges forschen, tausend Andere dem Feinde bloßstellen, der die Abwesenheit ihrer Häupter wohl kennt. Trotz dieser geistigen Verschiedenheit sah man Josseph seit jenem denkwürdigen Sabbatabende, wo er Madlena vor seinem Hause begegnet war, sich viel inniger und vertraulicher dem Lehrer aus dem Ghetto anschließen; er ließ sich mit ihm öfter, als früher, in religiöse Gespräche ein und fand an dessen Aufklärung nicht mehr so viel auszusetzen, als in früheren Tagen. Dieser Seele schien es ein Bedürfniß geworden, auf die Gedanken einer andern zu horchen; auszuspähen, ob nicht ein entfallenes Wort, eine lose hingeworfene Bemerkung seinem Leiden zu Hülfe kämen, ob nicht eine Perle zu Boden fiele, die er dann aufheben und triumphirend als Schmuck seiner guten Sache verwenden könnte. Josseph war jedes Mal zugegen, wenn Julius Arnsteiner seinem Kinde Unterricht aus der Thora ertheilte. Es waren dies seine freudigsten, aber auch zugleich seine schrecklichsten Stunden. Fluch und Segen, Verwirrung und Aufklärung, Trost und Angst strömten ihm gleichmäßig aus den Lebenswellen des heiligen Buches zu. Wie auch anders!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:25:39Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/105
Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/105>, abgerufen am 04.12.2024.