Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite
14. Madlena.

Wie einen aus siegreichem Kampfe Hervorgegangenen im Augenblicke, wo ihm unser Dankeswort entgegenschallt, der Gedanke fast zu Boden drückt, wie viele Leichen in die kühle Erde sich legen mußten, damit er hoch aufgerichtet und herrlich geschmückt unter den Lebenden einherschreite, fast übermüthig mit dem Leben prunkend, das er Anderen genommen, so war's unserem Josseph, als er mit dem reinen Entschlusse, heute wirklich "fertig" zu werden, den Weg zur Heimath ging.

Wenn die Mutter indeß gestorben? Wer hatte dann ihren letzten Athem belauscht, die Hand auf ihr stummes Herz gelegt, ob es noch schlage? Er nicht, aber auch sie nicht. Wie er nur so lange zögern könne, fiel ihm ein, warum er nicht wie ein Vogel fliege, ihr die Kunde zu bringen, daß sie hintreten dürfe an das Bett der Mutter, sich ausweinen dürfe über dem stille stehenden Herzen derjenigen, der sie seit zehn Jahren so nahe und doch so ferne gestanden.

Fast athemlos kam er an den ersten Feldern seines Dorfes an. Es war heißer Mittag, und die Sonne brannte lothrecht vom Himmel herab. Auf den Aeckern stand die Natur still, kein Lufthauch bewegte das goldene Saatenmeer, kein Bauer ward auf dem weiten Umkreise sichtbar, so weit auch das Auge reichte. Er

14. Madlena.

Wie einen aus siegreichem Kampfe Hervorgegangenen im Augenblicke, wo ihm unser Dankeswort entgegenschallt, der Gedanke fast zu Boden drückt, wie viele Leichen in die kühle Erde sich legen mußten, damit er hoch aufgerichtet und herrlich geschmückt unter den Lebenden einherschreite, fast übermüthig mit dem Leben prunkend, das er Anderen genommen, so war's unserem Josseph, als er mit dem reinen Entschlusse, heute wirklich „fertig“ zu werden, den Weg zur Heimath ging.

Wenn die Mutter indeß gestorben? Wer hatte dann ihren letzten Athem belauscht, die Hand auf ihr stummes Herz gelegt, ob es noch schlage? Er nicht, aber auch sie nicht. Wie er nur so lange zögern könne, fiel ihm ein, warum er nicht wie ein Vogel fliege, ihr die Kunde zu bringen, daß sie hintreten dürfe an das Bett der Mutter, sich ausweinen dürfe über dem stille stehenden Herzen derjenigen, der sie seit zehn Jahren so nahe und doch so ferne gestanden.

Fast athemlos kam er an den ersten Feldern seines Dorfes an. Es war heißer Mittag, und die Sonne brannte lothrecht vom Himmel herab. Auf den Aeckern stand die Natur still, kein Lufthauch bewegte das goldene Saatenmeer, kein Bauer ward auf dem weiten Umkreise sichtbar, so weit auch das Auge reichte. Er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0196"/>
      <div type="chapter" n="14">
        <head>14. Madlena.</head>
        <p>Wie einen aus siegreichem Kampfe Hervorgegangenen im Augenblicke, wo ihm unser                Dankeswort entgegenschallt, der Gedanke fast zu Boden drückt, wie viele Leichen in                die kühle Erde sich legen mußten, damit er hoch aufgerichtet und herrlich geschmückt                unter den Lebenden einherschreite, fast übermüthig mit dem Leben prunkend, das er                Anderen genommen, so war's unserem Josseph, als er mit dem reinen Entschlusse, heute                wirklich &#x201E;fertig&#x201C; zu werden, den Weg zur Heimath ging.</p><lb/>
        <p>Wenn die Mutter indeß gestorben? Wer hatte dann ihren letzten Athem belauscht, die                Hand auf ihr stummes Herz gelegt, ob es noch schlage? Er nicht, aber auch sie nicht.                Wie er nur so lange zögern könne, fiel ihm ein, warum er nicht wie ein Vogel fliege,                ihr die Kunde zu bringen, daß sie hintreten dürfe an das Bett der Mutter, sich                ausweinen dürfe über dem stille stehenden Herzen derjenigen, der sie seit zehn Jahren                so nahe und doch so ferne gestanden.</p><lb/>
        <p>Fast athemlos kam er an den ersten Feldern seines Dorfes an. Es war heißer Mittag,                und die Sonne brannte lothrecht vom Himmel herab. Auf den Aeckern stand die Natur                still, kein Lufthauch bewegte das goldene Saatenmeer, kein Bauer ward auf dem weiten                Umkreise sichtbar, so weit auch das Auge reichte. Er<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0196] 14. Madlena. Wie einen aus siegreichem Kampfe Hervorgegangenen im Augenblicke, wo ihm unser Dankeswort entgegenschallt, der Gedanke fast zu Boden drückt, wie viele Leichen in die kühle Erde sich legen mußten, damit er hoch aufgerichtet und herrlich geschmückt unter den Lebenden einherschreite, fast übermüthig mit dem Leben prunkend, das er Anderen genommen, so war's unserem Josseph, als er mit dem reinen Entschlusse, heute wirklich „fertig“ zu werden, den Weg zur Heimath ging. Wenn die Mutter indeß gestorben? Wer hatte dann ihren letzten Athem belauscht, die Hand auf ihr stummes Herz gelegt, ob es noch schlage? Er nicht, aber auch sie nicht. Wie er nur so lange zögern könne, fiel ihm ein, warum er nicht wie ein Vogel fliege, ihr die Kunde zu bringen, daß sie hintreten dürfe an das Bett der Mutter, sich ausweinen dürfe über dem stille stehenden Herzen derjenigen, der sie seit zehn Jahren so nahe und doch so ferne gestanden. Fast athemlos kam er an den ersten Feldern seines Dorfes an. Es war heißer Mittag, und die Sonne brannte lothrecht vom Himmel herab. Auf den Aeckern stand die Natur still, kein Lufthauch bewegte das goldene Saatenmeer, kein Bauer ward auf dem weiten Umkreise sichtbar, so weit auch das Auge reichte. Er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:25:39Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/196
Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/196>, abgerufen am 22.05.2024.