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Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Lösung eines Lebensräthsels: Lies das da und sag mir dann, wie ich's verstehen soll?

Parzik las, dann spie er giftig aus, pfiff gellend, daß es schauervoll durch Josseph's Seele drang.

Da hast du's, sagte er, da hast du's. Kein Kaiser kann schneller bedient werden, wie du, und bist doch ein Jude. Kaum hast du gefragt, und jetzt antwortet man dir schon.

Josseph sah ihn verblüfft an.

Parzik schien mit seinen Augen die Thür, darauf die verhängnißvollen Worte standen, gleichsam durchbohren zu wollen; ein unheimliches Feuer ergoß sich daraus über sein ganzes Wesen, und wie er so dastand neben dem zagenden, ungewissen Dorfjuden, kam er diesem größer, fast über sich selbst hinausgehoben vor.

Fangt ihr wieder an? redete der Bauer, der Minuten lang seine Blicke von den Schriftzügen nicht abwandte, als hätte er eine Figur aus Fleisch und Blut vor sich, gegen die er die Faust ballen konnte. Fangt ihr schon wieder an? Kein Wunder wär's; sie machen ihnen den guten Hafer so wohlfeil, daß die Pferde nicht mehr wissen, sollen sie sich an den Wagen spannen lassen oder ins freie Feld hinauslaufen? Aber wart' nur, du übermüthiger Gaul! Kommt wieder einmal so ein Herr, wie der vor siebenzig Jahren, über dich, so sperrt er dich wieder in den Stall. Ich sag's ja immer, sie lassen den Hafer zu hoch wachsen und geben ihnen nicht Stroh genug zu essen.

Lösung eines Lebensräthsels: Lies das da und sag mir dann, wie ich's verstehen soll?

Parzik las, dann spie er giftig aus, pfiff gellend, daß es schauervoll durch Josseph's Seele drang.

Da hast du's, sagte er, da hast du's. Kein Kaiser kann schneller bedient werden, wie du, und bist doch ein Jude. Kaum hast du gefragt, und jetzt antwortet man dir schon.

Josseph sah ihn verblüfft an.

Parzik schien mit seinen Augen die Thür, darauf die verhängnißvollen Worte standen, gleichsam durchbohren zu wollen; ein unheimliches Feuer ergoß sich daraus über sein ganzes Wesen, und wie er so dastand neben dem zagenden, ungewissen Dorfjuden, kam er diesem größer, fast über sich selbst hinausgehoben vor.

Fangt ihr wieder an? redete der Bauer, der Minuten lang seine Blicke von den Schriftzügen nicht abwandte, als hätte er eine Figur aus Fleisch und Blut vor sich, gegen die er die Faust ballen konnte. Fangt ihr schon wieder an? Kein Wunder wär's; sie machen ihnen den guten Hafer so wohlfeil, daß die Pferde nicht mehr wissen, sollen sie sich an den Wagen spannen lassen oder ins freie Feld hinauslaufen? Aber wart' nur, du übermüthiger Gaul! Kommt wieder einmal so ein Herr, wie der vor siebenzig Jahren, über dich, so sperrt er dich wieder in den Stall. Ich sag's ja immer, sie lassen den Hafer zu hoch wachsen und geben ihnen nicht Stroh genug zu essen.

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[0067] Lösung eines Lebensräthsels: Lies das da und sag mir dann, wie ich's verstehen soll? Parzik las, dann spie er giftig aus, pfiff gellend, daß es schauervoll durch Josseph's Seele drang. Da hast du's, sagte er, da hast du's. Kein Kaiser kann schneller bedient werden, wie du, und bist doch ein Jude. Kaum hast du gefragt, und jetzt antwortet man dir schon. Josseph sah ihn verblüfft an. Parzik schien mit seinen Augen die Thür, darauf die verhängnißvollen Worte standen, gleichsam durchbohren zu wollen; ein unheimliches Feuer ergoß sich daraus über sein ganzes Wesen, und wie er so dastand neben dem zagenden, ungewissen Dorfjuden, kam er diesem größer, fast über sich selbst hinausgehoben vor. Fangt ihr wieder an? redete der Bauer, der Minuten lang seine Blicke von den Schriftzügen nicht abwandte, als hätte er eine Figur aus Fleisch und Blut vor sich, gegen die er die Faust ballen konnte. Fangt ihr schon wieder an? Kein Wunder wär's; sie machen ihnen den guten Hafer so wohlfeil, daß die Pferde nicht mehr wissen, sollen sie sich an den Wagen spannen lassen oder ins freie Feld hinauslaufen? Aber wart' nur, du übermüthiger Gaul! Kommt wieder einmal so ein Herr, wie der vor siebenzig Jahren, über dich, so sperrt er dich wieder in den Stall. Ich sag's ja immer, sie lassen den Hafer zu hoch wachsen und geben ihnen nicht Stroh genug zu essen.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/67>, abgerufen am 18.05.2024.