Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 2. Leipzig, 1798.Sind dir nicht nah und fern die Guten hold und freund? Schmäht dich der Pöbel nicht? Sind Schurken dir nicht feind? Und drängt nicht manches Herz, das nirgends hal- ten kann, Sich liebend an dich an? Ermanne dich, mein Geist! Entraffe dich der Nacht, Die eisern dich umhüllt. Der Schwermuth Trauer- tracht Lass jenem, dem der Born der Hoffnung gar ver- rann -- Du aber, sey ein Mann! Nicht würdig deines Grams ist diese Spanne Zeit. Nicht deines Schmachtens werth ist die Vergäng- lichkeit! Wen Erdenlust entzückt, wen Erdengram verzehrt, Ist Hohngelächter werth! Im Strom der Jahre schmilzt des Busens hoher Schnee; Zu gelbem Krokos welkt des Halses Lilie; Der Lippen Rosenkelch wird ein verschrumpftes Blatt; Des Auges Blitz wird matt. Sind dir nicht nah und fern die Guten hold und freund? Schmäht dich der Pöbel nicht? Sind Schurken dir nicht feind? Und drängt nicht manches Herz, das nirgends hal- ten kann, Sich liebend an dich an? Ermanne dich, mein Geist! Entraffe dich der Nacht, Die eisern dich umhüllt. Der Schwermuth Trauer- tracht Lass jenem, dem der Born der Hoffnung gar ver- rann — Du aber, sey ein Mann! Nicht würdig deines Grams ist diese Spanne Zeit. Nicht deines Schmachtens werth ist die Vergäng- lichkeit! Wen Erdenlust entzückt, wen Erdengram verzehrt, Ist Hohngelächter werth! Im Strom der Jahre schmilzt des Busens hoher Schnee; Zu gelbem Krokos welkt des Halses Lilie; Der Lippen Rosenkelch wird ein verschrumpftes Blatt; Des Auges Blitz wird matt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <l> <pb facs="#f0337" n="317"/> </l> <lg n="7"> <l>Sind dir nicht nah und fern die Guten hold</l><lb/> <l>und freund?</l><lb/> <l>Schmäht dich der Pöbel nicht? Sind Schurken dir</l><lb/> <l>nicht feind?</l><lb/> <l>Und drängt nicht manches Herz, das nirgends hal-</l><lb/> <l>ten kann,</l><lb/> <l>Sich liebend an dich an?</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Ermanne dich, mein Geist! Entraffe dich der</l><lb/> <l>Nacht,</l><lb/> <l>Die eisern dich umhüllt. Der Schwermuth Trauer-</l><lb/> <l>tracht</l><lb/> <l>Lass jenem, dem der Born der Hoffnung gar ver-</l><lb/> <l>rann —</l><lb/> <l>Du aber, sey ein Mann!</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l>Nicht würdig deines Grams ist diese Spanne</l><lb/> <l>Zeit.</l><lb/> <l>Nicht deines Schmachtens werth ist die Vergäng-</l><lb/> <l>lichkeit!</l><lb/> <l>Wen Erdenlust entzückt, wen Erdengram verzehrt,</l><lb/> <l>Ist Hohngelächter werth!</l> </lg><lb/> <lg n="10"> <l>Im Strom der Jahre schmilzt des Busens hoher</l><lb/> <l>Schnee;</l><lb/> <l>Zu gelbem Krokos welkt des Halses Lilie;</l><lb/> <l>Der Lippen Rosenkelch wird ein verschrumpftes Blatt;</l><lb/> <l>Des Auges Blitz wird matt.</l> </lg><lb/> <l> </l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [317/0337]
Sind dir nicht nah und fern die Guten hold
und freund?
Schmäht dich der Pöbel nicht? Sind Schurken dir
nicht feind?
Und drängt nicht manches Herz, das nirgends hal-
ten kann,
Sich liebend an dich an?
Ermanne dich, mein Geist! Entraffe dich der
Nacht,
Die eisern dich umhüllt. Der Schwermuth Trauer-
tracht
Lass jenem, dem der Born der Hoffnung gar ver-
rann —
Du aber, sey ein Mann!
Nicht würdig deines Grams ist diese Spanne
Zeit.
Nicht deines Schmachtens werth ist die Vergäng-
lichkeit!
Wen Erdenlust entzückt, wen Erdengram verzehrt,
Ist Hohngelächter werth!
Im Strom der Jahre schmilzt des Busens hoher
Schnee;
Zu gelbem Krokos welkt des Halses Lilie;
Der Lippen Rosenkelch wird ein verschrumpftes Blatt;
Des Auges Blitz wird matt.
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