Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.zählte, er sey in dem Gange eine große Strecke fortgewan- zaͤhlte, er sey in dem Gange eine große Strecke fortgewan- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0018" n="14"/> zaͤhlte, er sey in dem Gange eine große Strecke fortgewan-<lb/> delt, weil er in der Ferne mancherlei Geraͤusch gehoͤrt,<lb/> das aus der Stadt uͤber ihm herunter toͤnte. Endlich ver-<lb/> nahm er das Geschrei der Suchenden, und kehrte um.<lb/> Auch ein Seiltaͤnzer, der vor Kurzem <hi rendition="#g">auf dem Mark-<lb/> te</hi> Pfaͤhle einschlug, um sein Seil daran zu befestigen,<lb/> fand denselben Gang, in dem noch alte Waffen rosteten. —<lb/> Das famoͤse Heidelberger Faß ist eine elende Merkwuͤrdig-<lb/> keit, die nicht einmal durch ihr Alterthum interessiert; denn<lb/> das alte Faß ist auseinander gefallen, und Kurfuͤrst Karl<lb/> Theodor hat sich durch Erbauung eines <hi rendition="#g">neuen</hi> — nicht<lb/> verewigt. Jndessen rathe ich doch jedem Reisenden, in<lb/> den Keller zu gehen; denn er findet etwas, das er nicht<lb/> sucht, und das ihn wie mich ergoͤtzen wird. Es ist nehm-<lb/> lich die hoͤlzerne Bildsaͤule eines ehemaligen Hofnarren,<lb/><hi rendition="#g">Clemens</hi> genannt. Ja, das ist eine wahre Hofnar-<lb/> ren- Physiognomie: in diesem Jndividuum erkennt man<lb/> auf den ersten Blick die <hi rendition="#g">Gattung.</hi> Nicht sowohl <hi rendition="#g">Witz</hi><lb/> (dem man keine Wahrheit verzeiht), als <hi rendition="#g">Jovialitaͤt</hi><lb/> (der man nichts uͤbel nimmt) lebt und spricht in und aus<lb/> diesem Gesichte. Jn dem Munde dieses Wohlgenaͤhrten<lb/> wird Alles zum Scherz, wohl zum <hi rendition="#g">treffenden,</hi> aber<lb/> nie zum <hi rendition="#g">bittern</hi> Scherz. Ja wahrhaftig, ich moͤchte<lb/> einen solchen Narren um mich haben, und ich verdenke<lb/> es allen gekroͤnten Haͤuptern, daß sie die nuͤtzliche Mode<lb/> haben abkommen lassen. Die Bildsaͤule des ehrlichen Cle-<lb/> mens scheint ihrem Untergange ziemlich nahe. Es waͤre<lb/> in der That Schade darum. <hi rendition="#g">Mir</hi> hat seine bloße Phy-<lb/> siognomie einen heitern Augenblick gewaͤhrt, und ich moͤch-<lb/> te ihn weit lieber ins Leben zuruͤckrufen, als die beruͤhm-<lb/> te Dame Morata aus Ferrara, deren Denkmahl Sie in<lb/> der Peterskirche finden. Sie starb im neun und zwanzig-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [14/0018]
zaͤhlte, er sey in dem Gange eine große Strecke fortgewan-
delt, weil er in der Ferne mancherlei Geraͤusch gehoͤrt,
das aus der Stadt uͤber ihm herunter toͤnte. Endlich ver-
nahm er das Geschrei der Suchenden, und kehrte um.
Auch ein Seiltaͤnzer, der vor Kurzem auf dem Mark-
te Pfaͤhle einschlug, um sein Seil daran zu befestigen,
fand denselben Gang, in dem noch alte Waffen rosteten. —
Das famoͤse Heidelberger Faß ist eine elende Merkwuͤrdig-
keit, die nicht einmal durch ihr Alterthum interessiert; denn
das alte Faß ist auseinander gefallen, und Kurfuͤrst Karl
Theodor hat sich durch Erbauung eines neuen — nicht
verewigt. Jndessen rathe ich doch jedem Reisenden, in
den Keller zu gehen; denn er findet etwas, das er nicht
sucht, und das ihn wie mich ergoͤtzen wird. Es ist nehm-
lich die hoͤlzerne Bildsaͤule eines ehemaligen Hofnarren,
Clemens genannt. Ja, das ist eine wahre Hofnar-
ren- Physiognomie: in diesem Jndividuum erkennt man
auf den ersten Blick die Gattung. Nicht sowohl Witz
(dem man keine Wahrheit verzeiht), als Jovialitaͤt
(der man nichts uͤbel nimmt) lebt und spricht in und aus
diesem Gesichte. Jn dem Munde dieses Wohlgenaͤhrten
wird Alles zum Scherz, wohl zum treffenden, aber
nie zum bittern Scherz. Ja wahrhaftig, ich moͤchte
einen solchen Narren um mich haben, und ich verdenke
es allen gekroͤnten Haͤuptern, daß sie die nuͤtzliche Mode
haben abkommen lassen. Die Bildsaͤule des ehrlichen Cle-
mens scheint ihrem Untergange ziemlich nahe. Es waͤre
in der That Schade darum. Mir hat seine bloße Phy-
siognomie einen heitern Augenblick gewaͤhrt, und ich moͤch-
te ihn weit lieber ins Leben zuruͤckrufen, als die beruͤhm-
te Dame Morata aus Ferrara, deren Denkmahl Sie in
der Peterskirche finden. Sie starb im neun und zwanzig-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDie "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |