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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.

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plötzlich die Schleppe und dann das Hemde, und schlug
alles über den Kopf zusammen. Was Henker machst du
da? rief ich ihr zu. -- Papa, ich drapire mich.

Sie. Das ist denn doch nur kindliche Unbefangenheit.

Er. So ist es jetzt. Unsere Mädchen und jungen
Weiber haben für alles die Entschuldigung: sie stellen
Griechinnen vor, oder Statüen, oder sie dra-
piren
sich. Auch wollen sie jetzt nichts anders tragen,
als ganz seine Mousselin ohne alle Appretur.

Sie. Ja die Steife ist leider ganz aus der Mo-
de! und es war doch so hübsch, wenn Flor oder Zeug,
wohlgesteift, sich aufrecht hielten wie Papier. Jch habe
eine Muhme, welche vormals alle Damen am Hofe steif-
te,
und jetzt, bei ihrem großen Steiftalente hat sie kei-
nen Bissen Brod.

Er. Natürlich, denn die heutige Damenkleidung muß
vor allen Dingen einer nassen Leinwand gleichen, weil
sich das besser anschmiegt. Jch will es noch erleben, daß
sie ihre Toilette nicht mehr mit dem Baden anfangen,
sondern endigen werden. Ganz geputzt werden sie in
die Badewanne springen. Die Köpfe waschen sie oh-
nehin schon, statt sie zu frisiren, und dabei bleibt es ge-
wiß nicht.

Sie. Ja ja, der Kopf wird das übrige nachholen.
Es ist aber auch keine Kunst sich ins Wasser zu werfen,
wenn man nichts als ein Hemd auf dem Leibe hat.

Er. Welche Folgen das haben wird! keine Wä-
scherinnen mehr.

Sie. Es ist schrecklich! fürchterlich! Jch habe selbst
zwei Töchter, die Wäscherinnen sind.

Er. Und ich einen Sohn, der Friseur ist. Sie kön-
nen sich vorstellen, was bei den Titusköpfen heraus-

ploͤtzlich die Schleppe und dann das Hemde, und schlug
alles uͤber den Kopf zusammen. Was Henker machst du
da? rief ich ihr zu. — Papa, ich drapire mich.

Sie. Das ist denn doch nur kindliche Unbefangenheit.

Er. So ist es jetzt. Unsere Maͤdchen und jungen
Weiber haben fuͤr alles die Entschuldigung: sie stellen
Griechinnen vor, oder Statuͤen, oder sie dra-
piren
sich. Auch wollen sie jetzt nichts anders tragen,
als ganz seine Mousselin ohne alle Appretur.

Sie. Ja die Steife ist leider ganz aus der Mo-
de! und es war doch so huͤbsch, wenn Flor oder Zeug,
wohlgesteift, sich aufrecht hielten wie Papier. Jch habe
eine Muhme, welche vormals alle Damen am Hofe steif-
te,
und jetzt, bei ihrem großen Steiftalente hat sie kei-
nen Bissen Brod.

Er. Natuͤrlich, denn die heutige Damenkleidung muß
vor allen Dingen einer nassen Leinwand gleichen, weil
sich das besser anschmiegt. Jch will es noch erleben, daß
sie ihre Toilette nicht mehr mit dem Baden anfangen,
sondern endigen werden. Ganz geputzt werden sie in
die Badewanne springen. Die Koͤpfe waschen sie oh-
nehin schon, statt sie zu frisiren, und dabei bleibt es ge-
wiß nicht.

Sie. Ja ja, der Kopf wird das uͤbrige nachholen.
Es ist aber auch keine Kunst sich ins Wasser zu werfen,
wenn man nichts als ein Hemd auf dem Leibe hat.

Er. Welche Folgen das haben wird! keine Waͤ-
scherinnen mehr.

Sie. Es ist schrecklich! fuͤrchterlich! Jch habe selbst
zwei Toͤchter, die Waͤscherinnen sind.

Er. Und ich einen Sohn, der Friseur ist. Sie koͤn-
nen sich vorstellen, was bei den Tituskoͤpfen heraus-

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[179/0183] ploͤtzlich die Schleppe und dann das Hemde, und schlug alles uͤber den Kopf zusammen. Was Henker machst du da? rief ich ihr zu. — Papa, ich drapire mich. Sie. Das ist denn doch nur kindliche Unbefangenheit. Er. So ist es jetzt. Unsere Maͤdchen und jungen Weiber haben fuͤr alles die Entschuldigung: sie stellen Griechinnen vor, oder Statuͤen, oder sie dra- piren sich. Auch wollen sie jetzt nichts anders tragen, als ganz seine Mousselin ohne alle Appretur. Sie. Ja die Steife ist leider ganz aus der Mo- de! und es war doch so huͤbsch, wenn Flor oder Zeug, wohlgesteift, sich aufrecht hielten wie Papier. Jch habe eine Muhme, welche vormals alle Damen am Hofe steif- te, und jetzt, bei ihrem großen Steiftalente hat sie kei- nen Bissen Brod. Er. Natuͤrlich, denn die heutige Damenkleidung muß vor allen Dingen einer nassen Leinwand gleichen, weil sich das besser anschmiegt. Jch will es noch erleben, daß sie ihre Toilette nicht mehr mit dem Baden anfangen, sondern endigen werden. Ganz geputzt werden sie in die Badewanne springen. Die Koͤpfe waschen sie oh- nehin schon, statt sie zu frisiren, und dabei bleibt es ge- wiß nicht. Sie. Ja ja, der Kopf wird das uͤbrige nachholen. Es ist aber auch keine Kunst sich ins Wasser zu werfen, wenn man nichts als ein Hemd auf dem Leibe hat. Er. Welche Folgen das haben wird! keine Waͤ- scherinnen mehr. Sie. Es ist schrecklich! fuͤrchterlich! Jch habe selbst zwei Toͤchter, die Waͤscherinnen sind. Er. Und ich einen Sohn, der Friseur ist. Sie koͤn- nen sich vorstellen, was bei den Tituskoͤpfen heraus-

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/183>, abgerufen am 21.11.2024.