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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.

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ich hier allen Eltern, die ihre Söhne nach Paris schi-
cken, allen Hofmeistern, die ihre Zöglinge dahin führen,
einen sehr leicht ausführbaren Rath geben; man lasse
nemlich die Jünglinge gleich am Tage nach ihrer An-
kunft das physikalische und pathologische Kabinet des
Professor Bertrand besuchen, welches gleichfalls im Pa-
lais royal, Nr. 23. neben dem Caffe de foi zu finden
ist. Hier sind auf das lebendigste alle die schrecklichsten
Folgen der Liederlichkeit in Wachs nachgebildet; mit ei-
ner Schauder erregenden Wahrheit ist alles dargestellt,
und derjenige Jüngling, der, wenn er von dieser Schau-
bühne des höchsten und eckelhaftesten menschlichen Elen-
des hinweg, unter die Arcaden des Palais royal tritt,
dennoch den Lockungen schnöder Wollust nicht zu wider-
stehen vermag, an dem war schon nichts mehr zu ver-
derben, ehe er noch nach Paris kam. Jeder einzelne,
von der Lustseuche ergriffene Theil des Körpers, und je-
de Gradation dieses höllischen Uebels ist kunstreich nach-
gebildet, und am Ende dieser Furiengallerie liegt in Le-
bensgröße ein Jüngling auf dem Todtenbette, aus dessen
erloschenen Augen und verzerrten Zügen, Schmerz,
Schaam, Reue und Verzweiflung sprechen. -- Mich
deucht, das Gouvernement sollte dem wackern Bertrand
eine Stelle unter der Ehrenlegion anweisen. Ob der
heilsame Eindruck, den seine trefflich ausgeführte Jdee
hervorbringt, bei Jünglingen lange dauern werde, das
ist freilich eine andere Frage; denn das Laster herrscht
über die Gegenwart, und die Tugend nur über die
Zukunft, darum ist jenes mächtiger als diese; jenes
giebt Genuß, diese nur Hoffnung; aber dennoch
halte ich für unbezweifelt, daß ein Gang in dieses Ka-
binet gewiß schon manchen Jüngling vom Rande des

ich hier allen Eltern, die ihre Soͤhne nach Paris schi-
cken, allen Hofmeistern, die ihre Zoͤglinge dahin fuͤhren,
einen sehr leicht ausfuͤhrbaren Rath geben; man lasse
nemlich die Juͤnglinge gleich am Tage nach ihrer An-
kunft das physikalische und pathologische Kabinet des
Professor Bertrand besuchen, welches gleichfalls im Pa-
lais royal, Nr. 23. neben dem Caffé de foi zu finden
ist. Hier sind auf das lebendigste alle die schrecklichsten
Folgen der Liederlichkeit in Wachs nachgebildet; mit ei-
ner Schauder erregenden Wahrheit ist alles dargestellt,
und derjenige Juͤngling, der, wenn er von dieser Schau-
buͤhne des hoͤchsten und eckelhaftesten menschlichen Elen-
des hinweg, unter die Arcaden des Palais royal tritt,
dennoch den Lockungen schnoͤder Wollust nicht zu wider-
stehen vermag, an dem war schon nichts mehr zu ver-
derben, ehe er noch nach Paris kam. Jeder einzelne,
von der Lustseuche ergriffene Theil des Koͤrpers, und je-
de Gradation dieses hoͤllischen Uebels ist kunstreich nach-
gebildet, und am Ende dieser Furiengallerie liegt in Le-
bensgroͤße ein Juͤngling auf dem Todtenbette, aus dessen
erloschenen Augen und verzerrten Zuͤgen, Schmerz,
Schaam, Reue und Verzweiflung sprechen. — Mich
deucht, das Gouvernement sollte dem wackern Bertrand
eine Stelle unter der Ehrenlegion anweisen. Ob der
heilsame Eindruck, den seine trefflich ausgefuͤhrte Jdee
hervorbringt, bei Juͤnglingen lange dauern werde, das
ist freilich eine andere Frage; denn das Laster herrscht
uͤber die Gegenwart, und die Tugend nur uͤber die
Zukunft, darum ist jenes maͤchtiger als diese; jenes
giebt Genuß, diese nur Hoffnung; aber dennoch
halte ich fuͤr unbezweifelt, daß ein Gang in dieses Ka-
binet gewiß schon manchen Juͤngling vom Rande des

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[198/0202] ich hier allen Eltern, die ihre Soͤhne nach Paris schi- cken, allen Hofmeistern, die ihre Zoͤglinge dahin fuͤhren, einen sehr leicht ausfuͤhrbaren Rath geben; man lasse nemlich die Juͤnglinge gleich am Tage nach ihrer An- kunft das physikalische und pathologische Kabinet des Professor Bertrand besuchen, welches gleichfalls im Pa- lais royal, Nr. 23. neben dem Caffé de foi zu finden ist. Hier sind auf das lebendigste alle die schrecklichsten Folgen der Liederlichkeit in Wachs nachgebildet; mit ei- ner Schauder erregenden Wahrheit ist alles dargestellt, und derjenige Juͤngling, der, wenn er von dieser Schau- buͤhne des hoͤchsten und eckelhaftesten menschlichen Elen- des hinweg, unter die Arcaden des Palais royal tritt, dennoch den Lockungen schnoͤder Wollust nicht zu wider- stehen vermag, an dem war schon nichts mehr zu ver- derben, ehe er noch nach Paris kam. Jeder einzelne, von der Lustseuche ergriffene Theil des Koͤrpers, und je- de Gradation dieses hoͤllischen Uebels ist kunstreich nach- gebildet, und am Ende dieser Furiengallerie liegt in Le- bensgroͤße ein Juͤngling auf dem Todtenbette, aus dessen erloschenen Augen und verzerrten Zuͤgen, Schmerz, Schaam, Reue und Verzweiflung sprechen. — Mich deucht, das Gouvernement sollte dem wackern Bertrand eine Stelle unter der Ehrenlegion anweisen. Ob der heilsame Eindruck, den seine trefflich ausgefuͤhrte Jdee hervorbringt, bei Juͤnglingen lange dauern werde, das ist freilich eine andere Frage; denn das Laster herrscht uͤber die Gegenwart, und die Tugend nur uͤber die Zukunft, darum ist jenes maͤchtiger als diese; jenes giebt Genuß, diese nur Hoffnung; aber dennoch halte ich fuͤr unbezweifelt, daß ein Gang in dieses Ka- binet gewiß schon manchen Juͤngling vom Rande des

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/202>, abgerufen am 23.11.2024.