Kotzebue, August von: Menschenhaß und Reue. Berlin, 1790. Gräfin. Um aller Grazien willen, du siehst aus, als wolltest du Geister citiren. Rolle deine wilden Augen nicht so auf mir herum; ich gehorche schon. Ernsthaft also über die närrischste Materie von der Welt, über die Liebe! Wer Madam Müller ist, weiß ich nicht, das hab' ich dir schon gesagt. Was ich aber sonst noch von ihr weiß, das soll dir un- verholen bleiben. Es mögen nun ungefähr drey Jahre seyn, als man mir eines Abends in der Däm- merung ein fremdes Frauenzimmer meldete, wel- ches mich allein zu sprechen begehre. Ich nahm den Besuch an, und Madam Müller erschien, mit all' dem Anstande, all' der Bescheidenheit, welche auch dich bezaubert haben. Doch trugen ihre Züge damals noch das sichtbare Gepräge der Angst und Verwirrung, welche jetzt in sanfte Melancholie ver- schmolzen sind. Sie warf sich zu meinen Füßen und bat mich, eine Unglückliche zu retten, die der Verzweifelung nahe sey. Sie versicherte, man habe ihr viel Gutes von mir gesagt, und erbot sich, mir als Kammermädchen zu dienen. Ich forschte vergebens nach der Ursache ihrer Leiden, sie ver- schleyerte ihr Geheimniß, entfaltete aber mit jedem Tage immer mehr und mehr ein Herz, von der Tu- Graͤfin. Um aller Grazien willen, du ſiehſt aus, als wollteſt du Geiſter citiren. Rolle deine wilden Augen nicht ſo auf mir herum; ich gehorche ſchon. Ernſthaft alſo uͤber die naͤrriſchſte Materie von der Welt, uͤber die Liebe! Wer Madam Muͤller iſt, weiß ich nicht, das hab’ ich dir ſchon geſagt. Was ich aber ſonſt noch von ihr weiß, das ſoll dir un- verholen bleiben. Es moͤgen nun ungefaͤhr drey Jahre ſeyn, als man mir eines Abends in der Daͤm- merung ein fremdes Frauenzimmer meldete, wel- ches mich allein zu ſprechen begehre. Ich nahm den Beſuch an, und Madam Muͤller erſchien, mit all’ dem Anſtande, all’ der Beſcheidenheit, welche auch dich bezaubert haben. Doch trugen ihre Zuͤge damals noch das ſichtbare Gepraͤge der Angſt und Verwirrung, welche jetzt in ſanfte Melancholie ver- ſchmolzen ſind. Sie warf ſich zu meinen Fuͤßen und bat mich, eine Ungluͤckliche zu retten, die der Verzweifelung nahe ſey. Sie verſicherte, man habe ihr viel Gutes von mir geſagt, und erbot ſich, mir als Kammermaͤdchen zu dienen. Ich forſchte vergebens nach der Urſache ihrer Leiden, ſie ver- ſchleyerte ihr Geheimniß, entfaltete aber mit jedem Tage immer mehr und mehr ein Herz, von der Tu- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0092" n="84"/> <sp who="#GRAFIN"> <speaker> <hi rendition="#fr">Graͤfin.</hi> </speaker> <p>Um aller Grazien willen, du ſiehſt aus,<lb/> als wollteſt du Geiſter citiren. Rolle deine wilden<lb/> Augen nicht ſo auf mir herum; ich gehorche ſchon.<lb/> Ernſthaft alſo uͤber die naͤrriſchſte Materie von der<lb/> Welt, uͤber die Liebe! Wer Madam Muͤller iſt,<lb/> weiß ich nicht, das hab’ ich dir ſchon geſagt. Was<lb/> ich aber ſonſt noch von ihr weiß, das ſoll dir un-<lb/> verholen bleiben. Es moͤgen nun ungefaͤhr drey<lb/> Jahre ſeyn, als man mir eines Abends in der Daͤm-<lb/> merung ein fremdes Frauenzimmer meldete, wel-<lb/> ches mich allein zu ſprechen begehre. Ich nahm<lb/> den Beſuch an, und Madam Muͤller erſchien, mit<lb/> all’ dem Anſtande, all’ der Beſcheidenheit, welche<lb/> auch dich bezaubert haben. Doch trugen ihre Zuͤge<lb/> damals noch das ſichtbare Gepraͤge der Angſt und<lb/> Verwirrung, welche jetzt in ſanfte Melancholie ver-<lb/> ſchmolzen ſind. Sie warf ſich zu meinen Fuͤßen<lb/> und bat mich, eine Ungluͤckliche zu retten, die der<lb/> Verzweifelung nahe ſey. Sie verſicherte, man<lb/> habe ihr viel Gutes von mir geſagt, und erbot ſich,<lb/> mir als Kammermaͤdchen zu dienen. Ich forſchte<lb/> vergebens nach der Urſache ihrer Leiden, ſie ver-<lb/> ſchleyerte ihr Geheimniß, entfaltete aber mit jedem<lb/> Tage immer mehr und mehr ein Herz, von der Tu-<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [84/0092]
Graͤfin. Um aller Grazien willen, du ſiehſt aus,
als wollteſt du Geiſter citiren. Rolle deine wilden
Augen nicht ſo auf mir herum; ich gehorche ſchon.
Ernſthaft alſo uͤber die naͤrriſchſte Materie von der
Welt, uͤber die Liebe! Wer Madam Muͤller iſt,
weiß ich nicht, das hab’ ich dir ſchon geſagt. Was
ich aber ſonſt noch von ihr weiß, das ſoll dir un-
verholen bleiben. Es moͤgen nun ungefaͤhr drey
Jahre ſeyn, als man mir eines Abends in der Daͤm-
merung ein fremdes Frauenzimmer meldete, wel-
ches mich allein zu ſprechen begehre. Ich nahm
den Beſuch an, und Madam Muͤller erſchien, mit
all’ dem Anſtande, all’ der Beſcheidenheit, welche
auch dich bezaubert haben. Doch trugen ihre Zuͤge
damals noch das ſichtbare Gepraͤge der Angſt und
Verwirrung, welche jetzt in ſanfte Melancholie ver-
ſchmolzen ſind. Sie warf ſich zu meinen Fuͤßen
und bat mich, eine Ungluͤckliche zu retten, die der
Verzweifelung nahe ſey. Sie verſicherte, man
habe ihr viel Gutes von mir geſagt, und erbot ſich,
mir als Kammermaͤdchen zu dienen. Ich forſchte
vergebens nach der Urſache ihrer Leiden, ſie ver-
ſchleyerte ihr Geheimniß, entfaltete aber mit jedem
Tage immer mehr und mehr ein Herz, von der Tu-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |