Kotzebue, August von: Menschenhaß und Reue. Berlin, 1790. Major. Pfuy! -- wenn ich dich recht verstehe. Gräfin. Nur nicht gleich so bitter! Die großen, erhabenen Grundsätze von Gleichheit aller Stände, und so weiter, sind herrlich in einem Roman; aber wir leben nun einmal nicht in der Ideenwelt. Der Herr Baron will seine Gemahlin nach Hofe führen, das geht nicht an; er will seine Söhne zu Dom- herrn machen, das geht nicht an; er will seine Töchter in einem Stift versorgen, das geht wieder nicht an. Major. Predige mir nicht Gemeinsprüche! Ich dürfte dir nur antworten, daß ich liebe, leiden- schaftlich liebe, und du müßtest schweigen; denn die Liebe kehrt sich weder an Domherrn, noch an Stiftsfräulein. Aber ich bin kein brausender Jüng- ling mehr; du hast einen Mann vor dir, der -- Gräfin. Der eine Frau nehmen will. Major. Nein, der vernünftig und kalt Vor- theil gegen Nachtheil abgewogen, häusliche Ruhe und Zufriedenheit gegen Glanz des Hofes, Glück des Lebens gegen eitle Convenienz. Ich kenne die Verhältnisse in der bürgerlichen Gesellschaft; ich kenne und ehre sie. Sie waren einst sehr nothwen- dig, und sind es vielleicht noch. Ich werde nie Major. Pfuy! — wenn ich dich recht verſtehe. Graͤfin. Nur nicht gleich ſo bitter! Die großen, erhabenen Grundſaͤtze von Gleichheit aller Staͤnde, und ſo weiter, ſind herrlich in einem Roman; aber wir leben nun einmal nicht in der Ideenwelt. Der Herr Baron will ſeine Gemahlin nach Hofe fuͤhren, das geht nicht an; er will ſeine Soͤhne zu Dom- herrn machen, das geht nicht an; er will ſeine Toͤchter in einem Stift verſorgen, das geht wieder nicht an. Major. Predige mir nicht Gemeinſpruͤche! Ich duͤrfte dir nur antworten, daß ich liebe, leiden- ſchaftlich liebe, und du muͤßteſt ſchweigen; denn die Liebe kehrt ſich weder an Domherrn, noch an Stiftsfraͤulein. Aber ich bin kein brauſender Juͤng- ling mehr; du haſt einen Mann vor dir, der — Graͤfin. Der eine Frau nehmen will. Major. Nein, der vernuͤnftig und kalt Vor- theil gegen Nachtheil abgewogen, haͤusliche Ruhe und Zufriedenheit gegen Glanz des Hofes, Gluͤck des Lebens gegen eitle Convenienz. Ich kenne die Verhaͤltniſſe in der buͤrgerlichen Geſellſchaft; ich kenne und ehre ſie. Sie waren einſt ſehr nothwen- dig, und ſind es vielleicht noch. Ich werde nie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0094" n="86"/> <sp who="#MAJ"> <speaker> <hi rendition="#fr">Major.</hi> </speaker> <p>Pfuy! — wenn ich dich recht verſtehe.</p> </sp><lb/> <sp who="#GRAFIN"> <speaker> <hi rendition="#fr">Graͤfin.</hi> </speaker> <p>Nur nicht gleich ſo bitter! Die großen,<lb/> erhabenen Grundſaͤtze von Gleichheit aller Staͤnde,<lb/> und ſo weiter, ſind herrlich in einem Roman; aber<lb/> wir leben nun einmal nicht in der Ideenwelt. Der<lb/> Herr Baron will ſeine Gemahlin nach Hofe fuͤhren,<lb/> das geht nicht an; er will ſeine Soͤhne zu Dom-<lb/> herrn machen, das geht nicht an; er will ſeine<lb/> Toͤchter in einem Stift verſorgen, das geht wieder<lb/> nicht an.</p> </sp><lb/> <sp who="#MAJ"> <speaker> <hi rendition="#fr">Major.</hi> </speaker> <p>Predige mir nicht Gemeinſpruͤche! Ich<lb/> duͤrfte dir nur antworten, daß ich liebe, leiden-<lb/> ſchaftlich liebe, und du muͤßteſt ſchweigen; denn<lb/> die Liebe kehrt ſich weder an Domherrn, noch an<lb/> Stiftsfraͤulein. Aber ich bin kein brauſender Juͤng-<lb/> ling mehr; du haſt einen Mann vor dir, der —</p> </sp><lb/> <sp who="#GRAFIN"> <speaker> <hi rendition="#fr">Graͤfin.</hi> </speaker> <p>Der eine Frau nehmen will.</p> </sp><lb/> <sp who="#MAJ"> <speaker> <hi rendition="#fr">Major.</hi> </speaker> <p>Nein, der vernuͤnftig und kalt Vor-<lb/> theil gegen Nachtheil abgewogen, haͤusliche Ruhe<lb/> und Zufriedenheit gegen Glanz des Hofes, Gluͤck<lb/> des Lebens gegen eitle Convenienz. Ich kenne die<lb/> Verhaͤltniſſe in der buͤrgerlichen Geſellſchaft; ich<lb/> kenne und ehre ſie. Sie waren einſt ſehr nothwen-<lb/> dig, und ſind es vielleicht noch. Ich werde nie<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [86/0094]
Major. Pfuy! — wenn ich dich recht verſtehe.
Graͤfin. Nur nicht gleich ſo bitter! Die großen,
erhabenen Grundſaͤtze von Gleichheit aller Staͤnde,
und ſo weiter, ſind herrlich in einem Roman; aber
wir leben nun einmal nicht in der Ideenwelt. Der
Herr Baron will ſeine Gemahlin nach Hofe fuͤhren,
das geht nicht an; er will ſeine Soͤhne zu Dom-
herrn machen, das geht nicht an; er will ſeine
Toͤchter in einem Stift verſorgen, das geht wieder
nicht an.
Major. Predige mir nicht Gemeinſpruͤche! Ich
duͤrfte dir nur antworten, daß ich liebe, leiden-
ſchaftlich liebe, und du muͤßteſt ſchweigen; denn
die Liebe kehrt ſich weder an Domherrn, noch an
Stiftsfraͤulein. Aber ich bin kein brauſender Juͤng-
ling mehr; du haſt einen Mann vor dir, der —
Graͤfin. Der eine Frau nehmen will.
Major. Nein, der vernuͤnftig und kalt Vor-
theil gegen Nachtheil abgewogen, haͤusliche Ruhe
und Zufriedenheit gegen Glanz des Hofes, Gluͤck
des Lebens gegen eitle Convenienz. Ich kenne die
Verhaͤltniſſe in der buͤrgerlichen Geſellſchaft; ich
kenne und ehre ſie. Sie waren einſt ſehr nothwen-
dig, und ſind es vielleicht noch. Ich werde nie
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_menschenhass_1790 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_menschenhass_1790/94 |
Zitationshilfe: | Kotzebue, August von: Menschenhaß und Reue. Berlin, 1790, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_menschenhass_1790/94>, abgerufen am 16.07.2024. |