erschienen und errichteten in wenigen Tagen die mit Glas¬ scherben gekrönte Mauer.
Johannes Timpe und Frau Karoline waren natür¬ lich sehr aufgebracht darüber. Der Meister setzte eine Beschwerde auf, des Inhalts, daß die Mauer der Werkstatt das Licht nehme. Es kam auch eine Kommission, um sich an Ort und Stelle davon zu über¬ zeugen, gelangte aber zu dem Resultat, daß der Abstand der Mauer vom Hause ein zu großer sei, um die Beschwerde zu rechtfertigen. Sie mußten sich also in das Unvermeidliche fügen. Nur der Großvater fühlte ein geheimes Behagen an der Rache der Nachbarin. Er konnte ohnehin nicht sehen, der Garten war ihm also völlig gleichgültig.
"Das habt Ihr Eurem lieben Söhnlein zu verdanken," sagte er mehrmals. Johannes Timpe und sein Weib mußten darauf schweigen, denn sie konnten ihm nicht Unrecht geben.
Es wurde dem Drechslermeister und seiner Ehehälfte schwer, sich daran zu gewöhnen, den Vorgängen jenseits der Mauer keine Aufmerksamkeit mehr schenken zu dürfen, wie es voraus¬ zusehen war, daß Franz sich am wenigsten in das Unvermeid¬ liche fügen würde. Eines Tages konnte er es ohne eimen Einblick in den Nachbargarten nicht mehr aushalten. Er kam auf eine glückliche Idee. In der Ecke, wo die Mauer an das Häuschen stieß, stand ein mächtiger Lindenbaum, der seine Zweige weit über das Dach des Hauses streckte und an heißen Sommertagen einen vortrefflichen Schutz gegen die Strahlen der Sonne gewährte. Hoch oben in der Krone des Baumes erblickten die Eltern eines Abends den Sohn, Er war durch eine Dachluke direkt auf den Baum gestiegen, hatte auf zwei Aeste ein Brett gelegt, und guckte vergnügt in die Welt hinaus.
erſchienen und errichteten in wenigen Tagen die mit Glas¬ ſcherben gekrönte Mauer.
Johannes Timpe und Frau Karoline waren natür¬ lich ſehr aufgebracht darüber. Der Meiſter ſetzte eine Beſchwerde auf, des Inhalts, daß die Mauer der Werkſtatt das Licht nehme. Es kam auch eine Kommiſſion, um ſich an Ort und Stelle davon zu über¬ zeugen, gelangte aber zu dem Reſultat, daß der Abſtand der Mauer vom Hauſe ein zu großer ſei, um die Beſchwerde zu rechtfertigen. Sie mußten ſich alſo in das Unvermeidliche fügen. Nur der Großvater fühlte ein geheimes Behagen an der Rache der Nachbarin. Er konnte ohnehin nicht ſehen, der Garten war ihm alſo völlig gleichgültig.
„Das habt Ihr Eurem lieben Söhnlein zu verdanken,“ ſagte er mehrmals. Johannes Timpe und ſein Weib mußten darauf ſchweigen, denn ſie konnten ihm nicht Unrecht geben.
Es wurde dem Drechslermeiſter und ſeiner Ehehälfte ſchwer, ſich daran zu gewöhnen, den Vorgängen jenſeits der Mauer keine Aufmerkſamkeit mehr ſchenken zu dürfen, wie es voraus¬ zuſehen war, daß Franz ſich am wenigſten in das Unvermeid¬ liche fügen würde. Eines Tages konnte er es ohne eimen Einblick in den Nachbargarten nicht mehr aushalten. Er kam auf eine glückliche Idee. In der Ecke, wo die Mauer an das Häuschen ſtieß, ſtand ein mächtiger Lindenbaum, der ſeine Zweige weit über das Dach des Hauſes ſtreckte und an heißen Sommertagen einen vortrefflichen Schutz gegen die Strahlen der Sonne gewährte. Hoch oben in der Krone des Baumes erblickten die Eltern eines Abends den Sohn, Er war durch eine Dachluke direkt auf den Baum geſtiegen, hatte auf zwei Aeſte ein Brett gelegt, und guckte vergnügt in die Welt hinaus.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0036"n="24"/>
erſchienen und errichteten in wenigen Tagen die mit Glas¬<lb/>ſcherben gekrönte Mauer.</p><lb/><p>Johannes Timpe <choice><sic>uud</sic><corr>und</corr></choice> Frau Karoline waren natür¬<lb/>
lich ſehr aufgebracht darüber. Der Meiſter ſetzte<lb/>
eine Beſchwerde auf, des Inhalts, daß die Mauer<lb/>
der Werkſtatt das Licht nehme. Es kam auch eine<lb/>
Kommiſſion, um ſich an Ort und Stelle davon zu über¬<lb/>
zeugen, gelangte aber zu dem Reſultat, daß der Abſtand der<lb/>
Mauer vom Hauſe ein zu großer ſei, um die Beſchwerde zu<lb/>
rechtfertigen. Sie mußten ſich alſo in das Unvermeidliche<lb/>
fügen. Nur der Großvater fühlte ein geheimes Behagen an<lb/>
der Rache der Nachbarin. Er konnte ohnehin nicht ſehen, der<lb/>
Garten war ihm alſo völlig gleichgültig.</p><lb/><p>„Das habt Ihr Eurem lieben Söhnlein zu verdanken,“<lb/>ſagte er mehrmals. Johannes Timpe und ſein Weib mußten<lb/>
darauf ſchweigen, denn ſie konnten ihm nicht Unrecht geben.</p><lb/><p>Es wurde dem Drechslermeiſter und ſeiner Ehehälfte ſchwer,<lb/>ſich daran zu gewöhnen, den Vorgängen jenſeits der Mauer<lb/>
keine Aufmerkſamkeit mehr ſchenken zu dürfen, wie es voraus¬<lb/>
zuſehen war, daß Franz ſich am wenigſten in das Unvermeid¬<lb/>
liche fügen würde. Eines Tages konnte er es ohne eimen<lb/>
Einblick in den Nachbargarten nicht mehr aushalten. Er kam<lb/>
auf eine glückliche Idee. In der Ecke, wo die Mauer an das<lb/>
Häuschen ſtieß, ſtand ein mächtiger Lindenbaum, der ſeine<lb/>
Zweige weit über das Dach des Hauſes ſtreckte und an heißen<lb/>
Sommertagen einen vortrefflichen Schutz gegen die Strahlen<lb/>
der Sonne gewährte. Hoch oben in der Krone des Baumes<lb/>
erblickten die Eltern eines Abends den Sohn, Er war durch<lb/>
eine Dachluke direkt auf den Baum geſtiegen, hatte auf zwei<lb/>
Aeſte ein Brett gelegt, und guckte vergnügt in die Welt hinaus.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[24/0036]
erſchienen und errichteten in wenigen Tagen die mit Glas¬
ſcherben gekrönte Mauer.
Johannes Timpe und Frau Karoline waren natür¬
lich ſehr aufgebracht darüber. Der Meiſter ſetzte
eine Beſchwerde auf, des Inhalts, daß die Mauer
der Werkſtatt das Licht nehme. Es kam auch eine
Kommiſſion, um ſich an Ort und Stelle davon zu über¬
zeugen, gelangte aber zu dem Reſultat, daß der Abſtand der
Mauer vom Hauſe ein zu großer ſei, um die Beſchwerde zu
rechtfertigen. Sie mußten ſich alſo in das Unvermeidliche
fügen. Nur der Großvater fühlte ein geheimes Behagen an
der Rache der Nachbarin. Er konnte ohnehin nicht ſehen, der
Garten war ihm alſo völlig gleichgültig.
„Das habt Ihr Eurem lieben Söhnlein zu verdanken,“
ſagte er mehrmals. Johannes Timpe und ſein Weib mußten
darauf ſchweigen, denn ſie konnten ihm nicht Unrecht geben.
Es wurde dem Drechslermeiſter und ſeiner Ehehälfte ſchwer,
ſich daran zu gewöhnen, den Vorgängen jenſeits der Mauer
keine Aufmerkſamkeit mehr ſchenken zu dürfen, wie es voraus¬
zuſehen war, daß Franz ſich am wenigſten in das Unvermeid¬
liche fügen würde. Eines Tages konnte er es ohne eimen
Einblick in den Nachbargarten nicht mehr aushalten. Er kam
auf eine glückliche Idee. In der Ecke, wo die Mauer an das
Häuschen ſtieß, ſtand ein mächtiger Lindenbaum, der ſeine
Zweige weit über das Dach des Hauſes ſtreckte und an heißen
Sommertagen einen vortrefflichen Schutz gegen die Strahlen
der Sonne gewährte. Hoch oben in der Krone des Baumes
erblickten die Eltern eines Abends den Sohn, Er war durch
eine Dachluke direkt auf den Baum geſtiegen, hatte auf zwei
Aeſte ein Brett gelegt, und guckte vergnügt in die Welt hinaus.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/36>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.