Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kuczynski, Jürgen: Tagebuch. Berlin, 1987.

Bild:
<< vorherige Seite

N001
Als ich Fred fragte, warum er Beine Meinung geändert habe, er- N002
klärte er mir, am Tag zuvor sei diese Frage im Politbüro dis- N003
kutiert worden, und das Politbüro habe beschlossen (!), daß es N004
nur reine Basen gäbe, und so hätte er "selbstverständlich" für N005
die reine Basis auftreten müssen" In der Folgezeit griff Fred N006
mich mit rechtem Zynismus an, nannte mich einen Talmudisten N007
uew., aber ohne allzuviel Ärger, wenn auoh mit "Prestigeverlust", N008
konnte ich auf meinem Standpunkt verharren, und später wurde N009
allgemein auf Grund meiner These weitergearbeitet - wobei man N010
es mir, was bei uns sonst sehr üblich ist, nicht übelnahm, daß N011
ich ursprünglich recht gehabt hatte, aber natürlich auoh nie mit N012
einem Wort darauf hinwies.

N001
Der einzige Dogmatiker, der es eigentlich zu seinem Haupt- N002
beruf machte, mich zu bekämpfen, ja, wie mir Johann Lorenz Schmidt N003
einmal sagte, mich physisch zu vernichten, so wie es in der N004
Sowjetunion üblich war, war mein Fakultätskollege, der Genosse N005
Robert Haumann. Trotz vielen Ärgers, den er mir bereitete, ge- N006
lang ihm die "physische Vernichtung" jedoch nicht.

N001
Was waren meine eigenen Gedanken und Gefühle Stalin und N002
dem Stalinismus gegenüber in dieser Zeit?

N001
Zunächst hatte ich keinen Zweifel, daß Stalin ein Klassiker N002
des Marxismus-Leninismus war. Jedoch hatte ich niemals die Mei- N003
nung, daß man Stalin so hoch stellen könne wie Lenin. Auch stimmte N004
ich nicht allen seinen Ausführungen blind zu. seiner Definition N005
des staatsmonopolistischen Kapitalismus konnte ich zum Beispiel N006
nie folgen. Ich beruhigte mich, da eindringlicheres Fragen nicht N007
möglich war, mit der "Einsicht", daß ich Stalin hier ganz offen- N008
bar irgendwie nicht verstehen könne. (Es ist nicht verwunderlich,

N001
Als ich Fred fragte, warum er Beine Meinung geändert habe, er- N002
klärte er mir, am Tag zuvor sei diese Frage im Politbüro dis- N003
kutiert worden, und das Politbüro habe beschlossen (!), daß es N004
nur reine Basen gäbe, und so hätte er "selbstverständlich" für N005
die reine Basis auftreten müssen» In der Folgezeit griff Fred N006
mich mit rechtem Zynismus an, nannte mich einen Talmudisten N007
uew., aber ohne allzuviel Ärger, wenn auoh mit "Prestigeverlust", N008
konnte ich auf meinem Standpunkt verharren, und später wurde N009
allgemein auf Grund meiner These weitergearbeitet - wobei man N010
es mir, was bei uns sonst sehr üblich ist, nicht übelnahm, daß N011
ich ursprünglich recht gehabt hatte, aber natürlich auoh nie mit N012
einem Wort darauf hinwies.

N001
Der einzige Dogmatiker, der es eigentlich zu seinem Haupt- N002
beruf machte, mich zu bekämpfen, ja, wie mir Johann Lorenz Schmidt N003
einmal sagte, mich physisch zu vernichten, so wie es in der N004
Sowjetunion üblich war, war mein Fakultätskollege, der Genosse N005
Robert Haumann. Trotz vielen Ärgers, den er mir bereitete, ge- N006
lang ihm die «physische Vernichtung” jedoch nicht.

N001
Was waren meine eigenen Gedanken und Gefühle Stalin und N002
dem Stalinismus gegenüber in dieser Zeit?

N001
Zunächst hatte ich keinen Zweifel, daß Stalin ein Klassiker N002
des Marxismus-Leninismus war. Jedoch hatte ich niemals die Mei- N003
nung, daß man Stalin so hoch stellen könne wie Lenin. Auch stimmte N004
ich nicht allen seinen Ausführungen blind zu. seiner Definition N005
des staatsmonopolistischen Kapitalismus konnte ich zum Beispiel N006
nie folgen. Ich beruhigte mich, da eindringlicheres Fragen nicht N007
möglich war, mit der «Einsicht", daß ich Stalin hier ganz offen- N008
bar irgendwie nicht verstehen könne. (Es ist nicht verwunderlich,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter">
        <pb facs="#f0294"/>
        <p><lb n="N001"/>
Als ich Fred fragte, warum er Beine Meinung geändert habe, er-     <lb n="N002"/>
klärte er mir, am Tag zuvor sei diese Frage im Politbüro dis-     <lb n="N003"/>
kutiert worden, und das Politbüro habe beschlossen (!), daß es     <lb n="N004"/>
nur reine Basen gäbe, und so hätte er "selbstverständlich" für     <lb n="N005"/>
die reine Basis auftreten müssen» In der Folgezeit griff Fred     <lb n="N006"/>
mich mit rechtem Zynismus an, nannte mich einen Talmudisten     <lb n="N007"/>
uew., aber ohne allzuviel Ärger, wenn auoh mit "Prestigeverlust",     <lb n="N008"/>
konnte ich auf meinem Standpunkt verharren, und später wurde     <lb n="N009"/>
allgemein auf Grund meiner These weitergearbeitet - wobei man     <lb n="N010"/>
es mir, was bei uns sonst sehr üblich ist, nicht übelnahm, daß     <lb n="N011"/>
ich ursprünglich recht gehabt hatte, aber natürlich auoh nie mit     <lb n="N012"/>
einem Wort darauf hinwies.</p>
        <p><lb n="N001"/>
Der einzige Dogmatiker, der es eigentlich zu seinem Haupt-     <lb n="N002"/>
beruf machte, mich zu bekämpfen, ja, wie mir Johann Lorenz Schmidt     <lb n="N003"/>
einmal sagte, mich physisch zu vernichten, so wie es in der     <lb n="N004"/>
Sowjetunion üblich war, war mein Fakultätskollege, der Genosse     <lb n="N005"/>
Robert Haumann. Trotz vielen Ärgers, den er mir bereitete, ge-     <lb n="N006"/>
lang ihm die «physische Vernichtung&#x201D; jedoch nicht.</p>
        <p><lb n="N001"/>
Was waren meine eigenen Gedanken und Gefühle Stalin und     <lb n="N002"/>
dem Stalinismus gegenüber in dieser Zeit?</p>
        <p><lb n="N001"/>
Zunächst hatte ich keinen Zweifel, daß Stalin ein Klassiker     <lb n="N002"/>
des Marxismus-Leninismus war. Jedoch hatte ich niemals die Mei-     <lb n="N003"/>
nung, daß man Stalin so hoch stellen könne wie Lenin. Auch stimmte     <lb n="N004"/>
ich nicht allen seinen Ausführungen blind zu. seiner Definition     <lb n="N005"/>
des staatsmonopolistischen Kapitalismus konnte ich zum Beispiel     <lb n="N006"/>
nie folgen. Ich beruhigte mich, da eindringlicheres Fragen nicht     <lb n="N007"/>
möglich war, mit der «Einsicht", daß ich Stalin hier ganz offen-     <lb n="N008"/>
bar irgendwie nicht verstehen könne. (Es ist nicht verwunderlich,</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0294] N001 Als ich Fred fragte, warum er Beine Meinung geändert habe, er- N002 klärte er mir, am Tag zuvor sei diese Frage im Politbüro dis- N003 kutiert worden, und das Politbüro habe beschlossen (!), daß es N004 nur reine Basen gäbe, und so hätte er "selbstverständlich" für N005 die reine Basis auftreten müssen» In der Folgezeit griff Fred N006 mich mit rechtem Zynismus an, nannte mich einen Talmudisten N007 uew., aber ohne allzuviel Ärger, wenn auoh mit "Prestigeverlust", N008 konnte ich auf meinem Standpunkt verharren, und später wurde N009 allgemein auf Grund meiner These weitergearbeitet - wobei man N010 es mir, was bei uns sonst sehr üblich ist, nicht übelnahm, daß N011 ich ursprünglich recht gehabt hatte, aber natürlich auoh nie mit N012 einem Wort darauf hinwies. N001 Der einzige Dogmatiker, der es eigentlich zu seinem Haupt- N002 beruf machte, mich zu bekämpfen, ja, wie mir Johann Lorenz Schmidt N003 einmal sagte, mich physisch zu vernichten, so wie es in der N004 Sowjetunion üblich war, war mein Fakultätskollege, der Genosse N005 Robert Haumann. Trotz vielen Ärgers, den er mir bereitete, ge- N006 lang ihm die «physische Vernichtung” jedoch nicht. N001 Was waren meine eigenen Gedanken und Gefühle Stalin und N002 dem Stalinismus gegenüber in dieser Zeit? N001 Zunächst hatte ich keinen Zweifel, daß Stalin ein Klassiker N002 des Marxismus-Leninismus war. Jedoch hatte ich niemals die Mei- N003 nung, daß man Stalin so hoch stellen könne wie Lenin. Auch stimmte N004 ich nicht allen seinen Ausführungen blind zu. seiner Definition N005 des staatsmonopolistischen Kapitalismus konnte ich zum Beispiel N006 nie folgen. Ich beruhigte mich, da eindringlicheres Fragen nicht N007 möglich war, mit der «Einsicht", daß ich Stalin hier ganz offen- N008 bar irgendwie nicht verstehen könne. (Es ist nicht verwunderlich,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Archiv der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-01-09T11:07:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-01-09T11:07:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuczynski_tagebuch_1987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuczynski_tagebuch_1987/294
Zitationshilfe: Kuczynski, Jürgen: Tagebuch. Berlin, 1987, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuczynski_tagebuch_1987/294>, abgerufen am 25.11.2024.