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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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unsere Vorfahren dergestalt satisfacirt zu haben, daß sie darüber den
burlesken Ton des ganzen Liedes, besonders aber den katzbuckelnden
Bedienten-Styl in der fortwährenden Wiederholung des Wortes Sir,
Sir, nicht im mindesten krumm nahmen. Die Chronik sagt, das
Offiziercorps soll sich halb todt gelacht haben, als Dr. Shekbourg sein
Machwerk zum erstenmal producirte. Natürlich kam alles auf die
mimische Selbstbeherrschung an, womit dieser seinen Bären aufzubinden
verstand. Und nun seh' ich den närrischen Kauz von den Schuhschnallen
bis zur Stutzperücke mit seiner Habichtsnase und seinen kleinen klugen Augen
hinter der großen Brille leibhaftig vor mir, wie er gravitätisch in unser Lager
hinüberschreitet und die Yankee's mit der ernsthaftesten Miene von der Welt
versichert, ihre Brüder am jenseitigen Flügel hätten sich ihre veraltete Feld¬
musik zu Herzen genommen. Er bringe da ein neues, feines Feldstückchen,
habe auch neue liebliche Verse dazu, das Alles sei fine, very fine. Sie
möchten sich nur bedienen, die Engländer gäben es gern. Ihr großer
Händel versorge sie überflüssig mit so galanten Sachen, -- dies sei
freilich eins der galantesten. In Wahrheit, der alte lustige Herr muß
seine Sache gut gemacht haben, denn unsre Jugend tanzt nun für
ewig nach seinem Dudelsack. Der Pfiff war vollkommen geglückt.

Unser Theezirkel erbaute sich, so harmlos, als sie erzählt war, an
dieser Entstehung von Amerika's National-Hymne. Nur die Miliz¬
offiziere lächelten etwas säuerlich dazu, eingedenk, daß sie den Voll¬
genuß ihrer strahlenden Uniformen selbst nur unter den süßen Klängen
des Yankee-Doodle feierten, wenn sie nämlich zweimal des Jahres,
am 14. Juni, dem Gründungstage der Newyorker Feuerwehr, und
am 4. Juli, dem Unabhängigkeitsfeste der Union, in voller Parade
ihre Aufzüge hielten. Mr. Wood, der hochschottische Seifensieder, der
nie ermangelte, den Director der Kriegsschule zu West-Point Herr
College zu tituliren, strengte darum schleunigst seinen Witz an, das
Thema des amerikanischen Kunstgefühls mit einem dankbareren zu
überbieten. Er erzählte Anecdoten aus dem Gebiete jener National-
Eigenschaft, die der Amerikaner "smart" nennt und worin seine stärkste
Seite liegt. Von der Kunst, dem Gesetze eine wächserne Nase zu
drehen, wollte er selbst folgende zwei Beispiele erlebt haben. In Con¬
necticut, wo am Sonntag das Reisen verboten ist, fuhr ich mit einem
Eingebornen am Sonntag spazieren. Mitten auf der Landstraße wurde

unſere Vorfahren dergeſtalt ſatisfacirt zu haben, daß ſie darüber den
burlesken Ton des ganzen Liedes, beſonders aber den katzbuckelnden
Bedienten-Styl in der fortwährenden Wiederholung des Wortes Sir,
Sir, nicht im mindeſten krumm nahmen. Die Chronik ſagt, das
Offiziercorps ſoll ſich halb todt gelacht haben, als Dr. Shekbourg ſein
Machwerk zum erſtenmal producirte. Natürlich kam alles auf die
mimiſche Selbſtbeherrſchung an, womit dieſer ſeinen Bären aufzubinden
verſtand. Und nun ſeh' ich den närriſchen Kauz von den Schuhſchnallen
bis zur Stutzperücke mit ſeiner Habichtsnaſe und ſeinen kleinen klugen Augen
hinter der großen Brille leibhaftig vor mir, wie er gravitätiſch in unſer Lager
hinüberſchreitet und die Yankee's mit der ernſthafteſten Miene von der Welt
verſichert, ihre Brüder am jenſeitigen Flügel hätten ſich ihre veraltete Feld¬
muſik zu Herzen genommen. Er bringe da ein neues, feines Feldſtückchen,
habe auch neue liebliche Verſe dazu, das Alles ſei fine, very fine. Sie
möchten ſich nur bedienen, die Engländer gäben es gern. Ihr großer
Händel verſorge ſie überflüſſig mit ſo galanten Sachen, — dies ſei
freilich eins der galanteſten. In Wahrheit, der alte luſtige Herr muß
ſeine Sache gut gemacht haben, denn unſre Jugend tanzt nun für
ewig nach ſeinem Dudelſack. Der Pfiff war vollkommen geglückt.

Unſer Theezirkel erbaute ſich, ſo harmlos, als ſie erzählt war, an
dieſer Entſtehung von Amerika's National-Hymne. Nur die Miliz¬
offiziere lächelten etwas ſäuerlich dazu, eingedenk, daß ſie den Voll¬
genuß ihrer ſtrahlenden Uniformen ſelbſt nur unter den ſüßen Klängen
des Yankee-Doodle feierten, wenn ſie nämlich zweimal des Jahres,
am 14. Juni, dem Gründungstage der Newyorker Feuerwehr, und
am 4. Juli, dem Unabhängigkeitsfeſte der Union, in voller Parade
ihre Aufzüge hielten. Mr. Wood, der hochſchottiſche Seifenſieder, der
nie ermangelte, den Director der Kriegsſchule zu Weſt-Point Herr
College zu tituliren, ſtrengte darum ſchleunigſt ſeinen Witz an, das
Thema des amerikaniſchen Kunſtgefühls mit einem dankbareren zu
überbieten. Er erzählte Anecdoten aus dem Gebiete jener National-
Eigenſchaft, die der Amerikaner „smart“ nennt und worin ſeine ſtärkſte
Seite liegt. Von der Kunſt, dem Geſetze eine wächſerne Naſe zu
drehen, wollte er ſelbſt folgende zwei Beiſpiele erlebt haben. In Con¬
necticut, wo am Sonntag das Reiſen verboten iſt, fuhr ich mit einem
Eingebornen am Sonntag ſpazieren. Mitten auf der Landſtraße wurde

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[221/0239] unſere Vorfahren dergeſtalt ſatisfacirt zu haben, daß ſie darüber den burlesken Ton des ganzen Liedes, beſonders aber den katzbuckelnden Bedienten-Styl in der fortwährenden Wiederholung des Wortes Sir, Sir, nicht im mindeſten krumm nahmen. Die Chronik ſagt, das Offiziercorps ſoll ſich halb todt gelacht haben, als Dr. Shekbourg ſein Machwerk zum erſtenmal producirte. Natürlich kam alles auf die mimiſche Selbſtbeherrſchung an, womit dieſer ſeinen Bären aufzubinden verſtand. Und nun ſeh' ich den närriſchen Kauz von den Schuhſchnallen bis zur Stutzperücke mit ſeiner Habichtsnaſe und ſeinen kleinen klugen Augen hinter der großen Brille leibhaftig vor mir, wie er gravitätiſch in unſer Lager hinüberſchreitet und die Yankee's mit der ernſthafteſten Miene von der Welt verſichert, ihre Brüder am jenſeitigen Flügel hätten ſich ihre veraltete Feld¬ muſik zu Herzen genommen. Er bringe da ein neues, feines Feldſtückchen, habe auch neue liebliche Verſe dazu, das Alles ſei fine, very fine. Sie möchten ſich nur bedienen, die Engländer gäben es gern. Ihr großer Händel verſorge ſie überflüſſig mit ſo galanten Sachen, — dies ſei freilich eins der galanteſten. In Wahrheit, der alte luſtige Herr muß ſeine Sache gut gemacht haben, denn unſre Jugend tanzt nun für ewig nach ſeinem Dudelſack. Der Pfiff war vollkommen geglückt. Unſer Theezirkel erbaute ſich, ſo harmlos, als ſie erzählt war, an dieſer Entſtehung von Amerika's National-Hymne. Nur die Miliz¬ offiziere lächelten etwas ſäuerlich dazu, eingedenk, daß ſie den Voll¬ genuß ihrer ſtrahlenden Uniformen ſelbſt nur unter den ſüßen Klängen des Yankee-Doodle feierten, wenn ſie nämlich zweimal des Jahres, am 14. Juni, dem Gründungstage der Newyorker Feuerwehr, und am 4. Juli, dem Unabhängigkeitsfeſte der Union, in voller Parade ihre Aufzüge hielten. Mr. Wood, der hochſchottiſche Seifenſieder, der nie ermangelte, den Director der Kriegsſchule zu Weſt-Point Herr College zu tituliren, ſtrengte darum ſchleunigſt ſeinen Witz an, das Thema des amerikaniſchen Kunſtgefühls mit einem dankbareren zu überbieten. Er erzählte Anecdoten aus dem Gebiete jener National- Eigenſchaft, die der Amerikaner „smart“ nennt und worin ſeine ſtärkſte Seite liegt. Von der Kunſt, dem Geſetze eine wächſerne Naſe zu drehen, wollte er ſelbſt folgende zwei Beiſpiele erlebt haben. In Con¬ necticut, wo am Sonntag das Reiſen verboten iſt, fuhr ich mit einem Eingebornen am Sonntag ſpazieren. Mitten auf der Landſtraße wurde

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/239>, abgerufen am 21.11.2024.