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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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auf jeder Zollbreite -- Fichten, Föhren, Tannen, Cedern, Tarus und
Lärchenbäume mit Ulmen, Pappeln, Eschen, Erlen und Birken: selbst
polarische und tropische Waldbilder fielen auf diesen Boden herein,
der, zwischen Canada und Virginien in der Mitte liegend, nicht um¬
sonst Thürhüter der Extreme zu sein schien. Moorfeld sah die Kiefern
und Wachholderbäume des frostigen Nordens neben der orientalisch¬
riesigen Sycomore, neben dem prachtvollen Tulpenbaum, der Myrthe
und dem Lorbeer. Die Eichenarten blieben ihm nicht minder fremd¬
artig als sonst; nur Anhorst wies ihn mit Sicherheit durch dieses La¬
byrinth und zeigte sich als ein gründlicher Kenner -- denn die
Schwarzeiche, sagte er, liefere dem amerikanischen Farmer gute
Dachschindel, die Rotheiche vorzügliche Schweinmast und die Weißeiche
sei in allen Gestalten nützlich, da sie als Schößling elastisches Reifen¬
holz, im mittleren Alter Korbflechterspänne und ausgewachsen die besten
Balken zu Blockhaus und Fenzriegeln gebe, auch sei ihr Laub ein
brauchbares Viehfutter.

Unserm Freunde schnürte aber inzwischen ein anderer Charakterzug
des amerikanischen Waldes das Herz zusammen: die eigenthümliche
Sang- und Duftlosigkeit. Kein Vogelton belebte das Holz, kein
würziger Hauch durchathmete es. Er ritt wie durch ein Schau¬
gericht.

Selbst von Wild fand Moorfeld nichts, als ein zahlreiches Volk
grauer Eichhörnchen, das sich auf den luftigen Aesten der Wallnu߬
bäume wiegte und in den dickschaligen Früchten derselben, die kaum
der Reife entgegengingen, seine Nußknackerkünste hören ließ. Die
Jagd auf dieses "fruchtbare Ungeziefer", wie Anhorst sich ausdrückte,
gehöre zu den ärgsten Tribulationen des Farmers, er müsse jedes
Körnchen seines Feldes mit Pulverkorn gegen die Brut vertheidigen.
Die vermeinte Jagdlust werde eine wahre Jagdqual im Urwalde.
Moorfeld schwieg dazu.

Nach einem Ritt von einer kleinen englischen Meile, den das Paar
zwar unbehindert, doch im Schritt durch den freiwüchsigen Baumschlag
zurückgelegt, veränderte sich die Scene. Der Boden stieg aus dem
Ebenen mit einem sanften Schwung empor und auch Unterholz stellte
sich ein. Zwischen den hohen Baumpfeilern drängte sich allerlei Busch-
und Strauchwuchs in's Leben, üppige Schling-, Kletter- und Hänge¬

D. B. VIII. Der Amerika-Müde. 21

auf jeder Zollbreite — Fichten, Föhren, Tannen, Cedern, Tarus und
Lärchenbäume mit Ulmen, Pappeln, Eſchen, Erlen und Birken: ſelbſt
polariſche und tropiſche Waldbilder fielen auf dieſen Boden herein,
der, zwiſchen Canada und Virginien in der Mitte liegend, nicht um¬
ſonſt Thürhüter der Extreme zu ſein ſchien. Moorfeld ſah die Kiefern
und Wachholderbäume des froſtigen Nordens neben der orientaliſch¬
rieſigen Sycomore, neben dem prachtvollen Tulpenbaum, der Myrthe
und dem Lorbeer. Die Eichenarten blieben ihm nicht minder fremd¬
artig als ſonſt; nur Anhorſt wies ihn mit Sicherheit durch dieſes La¬
byrinth und zeigte ſich als ein gründlicher Kenner — denn die
Schwarzeiche, ſagte er, liefere dem amerikaniſchen Farmer gute
Dachſchindel, die Rotheiche vorzügliche Schweinmaſt und die Weißeiche
ſei in allen Geſtalten nützlich, da ſie als Schößling elaſtiſches Reifen¬
holz, im mittleren Alter Korbflechterſpänne und ausgewachſen die beſten
Balken zu Blockhaus und Fenzriegeln gebe, auch ſei ihr Laub ein
brauchbares Viehfutter.

Unſerm Freunde ſchnürte aber inzwiſchen ein anderer Charakterzug
des amerikaniſchen Waldes das Herz zuſammen: die eigenthümliche
Sang- und Duftloſigkeit. Kein Vogelton belebte das Holz, kein
würziger Hauch durchathmete es. Er ritt wie durch ein Schau¬
gericht.

Selbſt von Wild fand Moorfeld nichts, als ein zahlreiches Volk
grauer Eichhörnchen, das ſich auf den luftigen Aeſten der Wallnu߬
bäume wiegte und in den dickſchaligen Früchten derſelben, die kaum
der Reife entgegengingen, ſeine Nußknackerkünſte hören ließ. Die
Jagd auf dieſes „fruchtbare Ungeziefer“, wie Anhorſt ſich ausdrückte,
gehöre zu den ärgſten Tribulationen des Farmers, er müſſe jedes
Körnchen ſeines Feldes mit Pulverkorn gegen die Brut vertheidigen.
Die vermeinte Jagdluſt werde eine wahre Jagdqual im Urwalde.
Moorfeld ſchwieg dazu.

Nach einem Ritt von einer kleinen engliſchen Meile, den das Paar
zwar unbehindert, doch im Schritt durch den freiwüchſigen Baumſchlag
zurückgelegt, veränderte ſich die Scene. Der Boden ſtieg aus dem
Ebenen mit einem ſanften Schwung empor und auch Unterholz ſtellte
ſich ein. Zwiſchen den hohen Baumpfeilern drängte ſich allerlei Buſch-
und Strauchwuchs in's Leben, üppige Schling-, Kletter- und Hänge¬

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[321/0339] auf jeder Zollbreite — Fichten, Föhren, Tannen, Cedern, Tarus und Lärchenbäume mit Ulmen, Pappeln, Eſchen, Erlen und Birken: ſelbſt polariſche und tropiſche Waldbilder fielen auf dieſen Boden herein, der, zwiſchen Canada und Virginien in der Mitte liegend, nicht um¬ ſonſt Thürhüter der Extreme zu ſein ſchien. Moorfeld ſah die Kiefern und Wachholderbäume des froſtigen Nordens neben der orientaliſch¬ rieſigen Sycomore, neben dem prachtvollen Tulpenbaum, der Myrthe und dem Lorbeer. Die Eichenarten blieben ihm nicht minder fremd¬ artig als ſonſt; nur Anhorſt wies ihn mit Sicherheit durch dieſes La¬ byrinth und zeigte ſich als ein gründlicher Kenner — denn die Schwarzeiche, ſagte er, liefere dem amerikaniſchen Farmer gute Dachſchindel, die Rotheiche vorzügliche Schweinmaſt und die Weißeiche ſei in allen Geſtalten nützlich, da ſie als Schößling elaſtiſches Reifen¬ holz, im mittleren Alter Korbflechterſpänne und ausgewachſen die beſten Balken zu Blockhaus und Fenzriegeln gebe, auch ſei ihr Laub ein brauchbares Viehfutter. Unſerm Freunde ſchnürte aber inzwiſchen ein anderer Charakterzug des amerikaniſchen Waldes das Herz zuſammen: die eigenthümliche Sang- und Duftloſigkeit. Kein Vogelton belebte das Holz, kein würziger Hauch durchathmete es. Er ritt wie durch ein Schau¬ gericht. Selbſt von Wild fand Moorfeld nichts, als ein zahlreiches Volk grauer Eichhörnchen, das ſich auf den luftigen Aeſten der Wallnu߬ bäume wiegte und in den dickſchaligen Früchten derſelben, die kaum der Reife entgegengingen, ſeine Nußknackerkünſte hören ließ. Die Jagd auf dieſes „fruchtbare Ungeziefer“, wie Anhorſt ſich ausdrückte, gehöre zu den ärgſten Tribulationen des Farmers, er müſſe jedes Körnchen ſeines Feldes mit Pulverkorn gegen die Brut vertheidigen. Die vermeinte Jagdluſt werde eine wahre Jagdqual im Urwalde. Moorfeld ſchwieg dazu. Nach einem Ritt von einer kleinen engliſchen Meile, den das Paar zwar unbehindert, doch im Schritt durch den freiwüchſigen Baumſchlag zurückgelegt, veränderte ſich die Scene. Der Boden ſtieg aus dem Ebenen mit einem ſanften Schwung empor und auch Unterholz ſtellte ſich ein. Zwiſchen den hohen Baumpfeilern drängte ſich allerlei Buſch- und Strauchwuchs in's Leben, üppige Schling-, Kletter- und Hänge¬ D. B. VIII. Der Amerika-Müde. 21

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/339>, abgerufen am 22.11.2024.