war, sagte der Geistliche, er überlasse die Frommen ihrer stillen Be¬ trachtung und trat ab. Folgte die stille Betrachtung. Jeder Kopf sank auf seinen Brustknochen, die Blicke schlossen sich, oder starrten so vor sich hin. Schwere Seufzer, dem Tone des Schnarchens nicht un¬ ähnlich, gingen durch die Versammlung. Ueber das Ganze brannte die Mittagssonne, -- es war getreu das Bild von gestern Mittag. Die gesenkten Köpfe das abgesichelte Stoppelfeld -- die Seufzer das glühheiße Geknister im Stroh -- warum mußte ich unwillkürlich mit¬ seufzen? -- Ich blickte nach Annetten hinüber: -- sie war an der Seite ihrer Mutter eingeschlafen.
Die Andächtigen erhoben sich nach und nach aus der stillen Be¬ trachtung und zerstreuten sich durchs Waldlager zu den Verrichtungen des Mittags. Frau Ermar sah ängstlich um sich; sie fühlte offenbar die gleiche Pflicht dieses Berufes, aber sie gönnte auch ihrer Schlum¬ mernden die Ruhe. Wir konnten bemerken, wie verlegen sie war, einen Entschluß zu fassen. Endlich weckte sie das Mädchen, aber der Augenblick war übel gewählt. Denn eben wandelte der lange schwarze reverend den Gang hinab. Indem Annette verwirrt und erschrocken aus dem Schlafe fuhr, erregte sie seine Aufmerksamkeit. Er blieb flüchtig vor ihr stehen und maß sie mit einem finstern Blicke. Mich überlief's. Das "böse Auge" des Volksglaubens fiel mir ein. Wäre ich Mutter gewesen, ich hätte mein Kind bedeckt gegen diesen Blick. Ohne ein Wort zu sagen, wandelte er weiter, aber ich hatte das Ge¬ fühl, als wäre hier eine Einweihung vor sich gegangen.
Der Prediger -- nicht der Lisboner, sondern ein auswärtiger Matador -- war ein widerlicher Mensch. Seine gemeinen Züge stempelte sinnliche Rohheit. Die breite Anlage seiner untern Ge¬ sichtshälfte, die starke Muskulatur der Eßorgane gab ihm sogar etwas thierisch Brutales. Sein ganzer Charakterausdruck wies keine Spur von Geistlichkeit auf, selbst nicht von geistlichen Lastern. Ich kann nicht sagen, daß ihn das geheimnißvolle Schrecken des Fanatismus umkleidete; die gänzliche Abwesenheit jeder Gemüthskraft, selbst einer verirrten, war vielmehr das Schreckliche seines Bildes. Sein leeres blaßgraues Auge sprach eigentlich gar nichts aus; wie bitterböse er damit blickte, schien's die giftige Mißlaune eines Geschäftsmannes, der sich nicht schnell genug reich melkt an seiner Geschäftskuh. Das war
war, ſagte der Geiſtliche, er überlaſſe die Frommen ihrer ſtillen Be¬ trachtung und trat ab. Folgte die ſtille Betrachtung. Jeder Kopf ſank auf ſeinen Bruſtknochen, die Blicke ſchloſſen ſich, oder ſtarrten ſo vor ſich hin. Schwere Seufzer, dem Tone des Schnarchens nicht un¬ ähnlich, gingen durch die Verſammlung. Ueber das Ganze brannte die Mittagsſonne, — es war getreu das Bild von geſtern Mittag. Die geſenkten Köpfe das abgeſichelte Stoppelfeld — die Seufzer das glühheiße Gekniſter im Stroh — warum mußte ich unwillkürlich mit¬ ſeufzen? — Ich blickte nach Annetten hinüber: — ſie war an der Seite ihrer Mutter eingeſchlafen.
Die Andächtigen erhoben ſich nach und nach aus der ſtillen Be¬ trachtung und zerſtreuten ſich durchs Waldlager zu den Verrichtungen des Mittags. Frau Ermar ſah ängſtlich um ſich; ſie fühlte offenbar die gleiche Pflicht dieſes Berufes, aber ſie gönnte auch ihrer Schlum¬ mernden die Ruhe. Wir konnten bemerken, wie verlegen ſie war, einen Entſchluß zu faſſen. Endlich weckte ſie das Mädchen, aber der Augenblick war übel gewählt. Denn eben wandelte der lange ſchwarze reverend den Gang hinab. Indem Annette verwirrt und erſchrocken aus dem Schlafe fuhr, erregte ſie ſeine Aufmerkſamkeit. Er blieb flüchtig vor ihr ſtehen und maß ſie mit einem finſtern Blicke. Mich überlief's. Das „böſe Auge“ des Volksglaubens fiel mir ein. Wäre ich Mutter geweſen, ich hätte mein Kind bedeckt gegen dieſen Blick. Ohne ein Wort zu ſagen, wandelte er weiter, aber ich hatte das Ge¬ fühl, als wäre hier eine Einweihung vor ſich gegangen.
Der Prediger — nicht der Lisboner, ſondern ein auswärtiger Matador — war ein widerlicher Menſch. Seine gemeinen Züge ſtempelte ſinnliche Rohheit. Die breite Anlage ſeiner untern Ge¬ ſichtshälfte, die ſtarke Muskulatur der Eßorgane gab ihm ſogar etwas thieriſch Brutales. Sein ganzer Charakterausdruck wies keine Spur von Geiſtlichkeit auf, ſelbſt nicht von geiſtlichen Laſtern. Ich kann nicht ſagen, daß ihn das geheimnißvolle Schrecken des Fanatismus umkleidete; die gänzliche Abweſenheit jeder Gemüthskraft, ſelbſt einer verirrten, war vielmehr das Schreckliche ſeines Bildes. Sein leeres blaßgraues Auge ſprach eigentlich gar nichts aus; wie bitterböſe er damit blickte, ſchien's die giftige Mißlaune eines Geſchäftsmannes, der ſich nicht ſchnell genug reich melkt an ſeiner Geſchäftskuh. Das war
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war, ſagte der Geiſtliche, er überlaſſe die Frommen ihrer ſtillen Be¬
trachtung und trat ab. Folgte die ſtille Betrachtung. Jeder Kopf
ſank auf ſeinen Bruſtknochen, die Blicke ſchloſſen ſich, oder ſtarrten ſo
vor ſich hin. Schwere Seufzer, dem Tone des Schnarchens nicht un¬
ähnlich, gingen durch die Verſammlung. Ueber das Ganze brannte
die Mittagsſonne, — es war getreu das Bild von geſtern Mittag.
Die geſenkten Köpfe das abgeſichelte Stoppelfeld — die Seufzer das
glühheiße Gekniſter im Stroh — warum mußte ich unwillkürlich mit¬
ſeufzen? — Ich blickte nach Annetten hinüber: — ſie war an der
Seite ihrer Mutter eingeſchlafen.
Die Andächtigen erhoben ſich nach und nach aus der ſtillen Be¬
trachtung und zerſtreuten ſich durchs Waldlager zu den Verrichtungen
des Mittags. Frau Ermar ſah ängſtlich um ſich; ſie fühlte offenbar
die gleiche Pflicht dieſes Berufes, aber ſie gönnte auch ihrer Schlum¬
mernden die Ruhe. Wir konnten bemerken, wie verlegen ſie war,
einen Entſchluß zu faſſen. Endlich weckte ſie das Mädchen, aber der
Augenblick war übel gewählt. Denn eben wandelte der lange ſchwarze
reverend den Gang hinab. Indem Annette verwirrt und erſchrocken
aus dem Schlafe fuhr, erregte ſie ſeine Aufmerkſamkeit. Er blieb
flüchtig vor ihr ſtehen und maß ſie mit einem finſtern Blicke. Mich
überlief's. Das „böſe Auge“ des Volksglaubens fiel mir ein. Wäre
ich Mutter geweſen, ich hätte mein Kind bedeckt gegen dieſen Blick.
Ohne ein Wort zu ſagen, wandelte er weiter, aber ich hatte das Ge¬
fühl, als wäre hier eine Einweihung vor ſich gegangen.
Der Prediger — nicht der Lisboner, ſondern ein auswärtiger
Matador — war ein widerlicher Menſch. Seine gemeinen Züge
ſtempelte ſinnliche Rohheit. Die breite Anlage ſeiner untern Ge¬
ſichtshälfte, die ſtarke Muskulatur der Eßorgane gab ihm ſogar
etwas thieriſch Brutales. Sein ganzer Charakterausdruck wies keine
Spur von Geiſtlichkeit auf, ſelbſt nicht von geiſtlichen Laſtern. Ich
kann nicht ſagen, daß ihn das geheimnißvolle Schrecken des Fanatismus
umkleidete; die gänzliche Abweſenheit jeder Gemüthskraft, ſelbſt einer
verirrten, war vielmehr das Schreckliche ſeines Bildes. Sein leeres
blaßgraues Auge ſprach eigentlich gar nichts aus; wie bitterböſe er
damit blickte, ſchien's die giftige Mißlaune eines Geſchäftsmannes, der
ſich nicht ſchnell genug reich melkt an ſeiner Geſchäftskuh. Das war
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/402>, abgerufen am 24.11.2024.
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