sein nächstes Tableau in zehn Minuten vollendete, und Amerika sich's nicht weniger zur Ehre rechnete; übrigens sei Düsseldorf nicht der Name eines Künstlers, sondern der Name einer Stadt voll Künstler.
In diesem Augenblicke meldete der schwarze Jack, es sei servirt, worauf Herr Staunton sich erhob und seinen Gast zum zweiten Früh¬ stücke bat. Ein ersprießlicher Wechsel von dem Thema der Kunst zu einem, das der Natur näher stand! -- Die beiden Herren verfügten sich in ein Zimmer des ersten Gestockes. Die Mitte desselben nahm ein mäßiggroßer Eßtisch ein, beladen mit einer übermäßigen Fülle von Gerichten, deren warm gekochte Piecen das Gemach trotz des ge¬ öffneten Fensters mit starken Dünsten erfüllten. Diesem Tische prä¬ sidirte eine Dame, oder vielmehr die Tagesnummer der Newyorker- Tribüne, denn außer den beiden weiblichen Händen, welche das riesige Zeitungsblatt vor sich hin hielten, war die Gestalt der Leserin unsicht¬ bar. Herr Staunton stellte die Frau und den neuen Genossen des Hauses einander vor. Die Newyorker-Tribüne legte sich jetzt in die halbe Querfalte und ließ den Kopf einer Matrone sehen, welchen drei ehrwürdige Momente auszeichneten: die Spuren des Weisheitsalters, der Ausdruck religiöser Beflissenheit und eine Brille. Doctor Moorfeld und Mrs. Staunton wechselten die üblichen Complimente, wobei erste¬ rer die Bemerkung machte, daß, wenn eine schöne Sprache durch das weibliche Organ noch schöner klingt, eine mißtönige dagegen, wie das Yankee-Englisch, eben so ihren entgegengesetzten Charakter durch den Frauenmund fühlbarer ausdrückt. Nach dieser Ceremonie setzte man sich zu Tische. -- Frau Staunton fragte: wo bleibt Sarah? -- Beste, das frag' ich dich, antwortete der Gatte. Aber in demselben Augenblick trat der Gegenstand dieser Erkundigung ein; es war eine lange schmächtige Dame von relativer Jugend und zweifelhafter Schön¬ heit; sie wurde dem Fremden als die Tochter des Hauses vorgestellt. Moorfeld erkannte bei dieser Gelegenheit den Irrthum seiner vorigen Verwechselung und sparte die Worte nicht, ihn eifrigst zu entschuldigen; als aber die Eltern nicht gleich begriffen, wovon die Rede sei, flüchtete Sarah in die Arme ihrer Mutter und verbarg sich an ihrem Busen, indem sie mit einem tiefen Gefühle von Kränkung wehklagte: Ach Mama, das Kammermädchen ist zuvor an meiner Statt begrüßt wor¬ den! Weder Herr noch Frau Staunton schienen dieses Geberden ihres
ſein nächſtes Tableau in zehn Minuten vollendete, und Amerika ſich's nicht weniger zur Ehre rechnete; übrigens ſei Düſſeldorf nicht der Name eines Künſtlers, ſondern der Name einer Stadt voll Künſtler.
In dieſem Augenblicke meldete der ſchwarze Jack, es ſei ſervirt, worauf Herr Staunton ſich erhob und ſeinen Gaſt zum zweiten Früh¬ ſtücke bat. Ein erſprießlicher Wechſel von dem Thema der Kunſt zu einem, das der Natur näher ſtand! — Die beiden Herren verfügten ſich in ein Zimmer des erſten Geſtockes. Die Mitte deſſelben nahm ein mäßiggroßer Eßtiſch ein, beladen mit einer übermäßigen Fülle von Gerichten, deren warm gekochte Piecen das Gemach trotz des ge¬ öffneten Fenſters mit ſtarken Dünſten erfüllten. Dieſem Tiſche prä¬ ſidirte eine Dame, oder vielmehr die Tagesnummer der Newyorker- Tribüne, denn außer den beiden weiblichen Händen, welche das rieſige Zeitungsblatt vor ſich hin hielten, war die Geſtalt der Leſerin unſicht¬ bar. Herr Staunton ſtellte die Frau und den neuen Genoſſen des Hauſes einander vor. Die Newyorker-Tribüne legte ſich jetzt in die halbe Querfalte und ließ den Kopf einer Matrone ſehen, welchen drei ehrwürdige Momente auszeichneten: die Spuren des Weisheitsalters, der Ausdruck religiöſer Befliſſenheit und eine Brille. Doctor Moorfeld und Mrs. Staunton wechſelten die üblichen Complimente, wobei erſte¬ rer die Bemerkung machte, daß, wenn eine ſchöne Sprache durch das weibliche Organ noch ſchöner klingt, eine mißtönige dagegen, wie das Yankee-Engliſch, eben ſo ihren entgegengeſetzten Charakter durch den Frauenmund fühlbarer ausdrückt. Nach dieſer Ceremonie ſetzte man ſich zu Tiſche. — Frau Staunton fragte: wo bleibt Sarah? — Beſte, das frag' ich dich, antwortete der Gatte. Aber in demſelben Augenblick trat der Gegenſtand dieſer Erkundigung ein; es war eine lange ſchmächtige Dame von relativer Jugend und zweifelhafter Schön¬ heit; ſie wurde dem Fremden als die Tochter des Hauſes vorgeſtellt. Moorfeld erkannte bei dieſer Gelegenheit den Irrthum ſeiner vorigen Verwechſelung und ſparte die Worte nicht, ihn eifrigſt zu entſchuldigen; als aber die Eltern nicht gleich begriffen, wovon die Rede ſei, flüchtete Sarah in die Arme ihrer Mutter und verbarg ſich an ihrem Buſen, indem ſie mit einem tiefen Gefühle von Kränkung wehklagte: Ach Mama, das Kammermädchen iſt zuvor an meiner Statt begrüßt wor¬ den! Weder Herr noch Frau Staunton ſchienen dieſes Geberden ihres
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ſein nächſtes Tableau in zehn Minuten vollendete, und Amerika ſich's
nicht weniger zur Ehre rechnete; übrigens ſei Düſſeldorf nicht der
Name eines Künſtlers, ſondern der Name einer Stadt voll Künſtler.
In dieſem Augenblicke meldete der ſchwarze Jack, es ſei ſervirt,
worauf Herr Staunton ſich erhob und ſeinen Gaſt zum zweiten Früh¬
ſtücke bat. Ein erſprießlicher Wechſel von dem Thema der Kunſt zu
einem, das der Natur näher ſtand! — Die beiden Herren verfügten
ſich in ein Zimmer des erſten Geſtockes. Die Mitte deſſelben nahm
ein mäßiggroßer Eßtiſch ein, beladen mit einer übermäßigen Fülle
von Gerichten, deren warm gekochte Piecen das Gemach trotz des ge¬
öffneten Fenſters mit ſtarken Dünſten erfüllten. Dieſem Tiſche prä¬
ſidirte eine Dame, oder vielmehr die Tagesnummer der Newyorker-
Tribüne, denn außer den beiden weiblichen Händen, welche das rieſige
Zeitungsblatt vor ſich hin hielten, war die Geſtalt der Leſerin unſicht¬
bar. Herr Staunton ſtellte die Frau und den neuen Genoſſen des
Hauſes einander vor. Die Newyorker-Tribüne legte ſich jetzt in die
halbe Querfalte und ließ den Kopf einer Matrone ſehen, welchen drei
ehrwürdige Momente auszeichneten: die Spuren des Weisheitsalters,
der Ausdruck religiöſer Befliſſenheit und eine Brille. Doctor Moorfeld
und Mrs. Staunton wechſelten die üblichen Complimente, wobei erſte¬
rer die Bemerkung machte, daß, wenn eine ſchöne Sprache durch das
weibliche Organ noch ſchöner klingt, eine mißtönige dagegen, wie das
Yankee-Engliſch, eben ſo ihren entgegengeſetzten Charakter durch den
Frauenmund fühlbarer ausdrückt. Nach dieſer Ceremonie ſetzte man
ſich zu Tiſche. — Frau Staunton fragte: wo bleibt Sarah? —
Beſte, das frag' ich dich, antwortete der Gatte. Aber in demſelben
Augenblick trat der Gegenſtand dieſer Erkundigung ein; es war eine
lange ſchmächtige Dame von relativer Jugend und zweifelhafter Schön¬
heit; ſie wurde dem Fremden als die Tochter des Hauſes vorgeſtellt.
Moorfeld erkannte bei dieſer Gelegenheit den Irrthum ſeiner vorigen
Verwechſelung und ſparte die Worte nicht, ihn eifrigſt zu entſchuldigen;
als aber die Eltern nicht gleich begriffen, wovon die Rede ſei, flüchtete
Sarah in die Arme ihrer Mutter und verbarg ſich an ihrem Buſen,
indem ſie mit einem tiefen Gefühle von Kränkung wehklagte: Ach
Mama, das Kammermädchen iſt zuvor an meiner Statt begrüßt wor¬
den! Weder Herr noch Frau Staunton ſchienen dieſes Geberden ihres
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/46>, abgerufen am 21.11.2024.
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