Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

hocherwachsenen Töchterchens für übertrieben zu halten, die Mutter
schloß vielmehr sehr mütterlich die reife Jungfrau an ihr Herz und
tröstete sie mit vielem Affecte. Mein Gott! seufzte sie, und schlug
ihre Augen in eine Himmelshöhe, welche weit über die Richtung der
Brille hinausging, mein Gott, seufzte sie, ist es denn zu verwundern,
wenn fremde Besucher unsers Landes die weiblichen Herrschaften von
ihren Domestiken nicht mehr zu unterscheiden wissen? Die Klasse der
Dienenden stellt sich in allem Aeußern so anmaßend neben uns selbst,
daß uns kaum eine andere Auszeichnung übrig bleibt, als das Ge¬
fühl unserer Würde, welches uns freilich hinlänglich schmückt, wenn
gleich nicht auf den ersten Blick. Fassen wir uns in christlicher Ge¬
duld, liebes Kind! Was wollen wir thun? Auch noch ein schwarzes
Kammermädchen nehmen? Ach, schon eins ist zu viel von dieser Race!
Nicht wahr, dazu entschließen wir uns nicht, gute Sarah? Lassen wir
uns um der Liebe Gottes willen die Ansprüche der Weißen gefallen
und geben wir unserer liebenswürdigen Freundin Recht, welche, wie
du weißt zu sagen pflegt: sie könne sich den Himmel nur als einen
Ort voll Dienstboten denken.

Moorfeld bezeugte sich den Leiden der Damen so theilnehmend, als
es mit einem leisen Zug von Ironie im Herzen möglich war, und
machte namentlich auf den Umstand aufmerksam, daß er die fragliche
Frauensperson über Büchern und Landkarten gefunden, d. h. in einer
Beschäftigung, welche in Europa zweifellos die gebildete Haustochter
bezeichnet hätte. Ach, in Europa! fiel Herr Staunton mit unbedach¬
ter Geringschätzung dazwischen; -- im alten Land fühlt sich selbst der
höchst Beamtete als ein Diener, bei uns möchte der niedrigste Dienst
gern für ein Amt gelten. Die weiße Race dient überhaupt nicht hier.
Darum ließ ich Ihnen ja auch durch unsern Agenten den Rath geben,
sich keinen Bedienten mitzunehmen, wie es Ihre Absicht war. Er hätte
Sie in den ersten Wochen verlassen. Unsre Hariet betreffend, so be¬
reitet sie sich auf ein Schulamt vor, von dem Umstand gewinnend, daß
man neuerer Zeit die Volksschulen gerne mit weiblichen Lehrkräften
besetzt. Sie sahen sie in einer dieser Selbstvorbereitungs-Stunden,
deren sie sich täglich ein Paar ausbedungen hat. Die Sache hat ihre
Unbequemlichkeiten für die weibliche Herrschaft, aber dem Mädchen kann
ich ihr Streben nicht übel nehmen. Ist sie doch eine freie Amerika¬

hocherwachſenen Töchterchens für übertrieben zu halten, die Mutter
ſchloß vielmehr ſehr mütterlich die reife Jungfrau an ihr Herz und
tröſtete ſie mit vielem Affecte. Mein Gott! ſeufzte ſie, und ſchlug
ihre Augen in eine Himmelshöhe, welche weit über die Richtung der
Brille hinausging, mein Gott, ſeufzte ſie, iſt es denn zu verwundern,
wenn fremde Beſucher unſers Landes die weiblichen Herrſchaften von
ihren Domeſtiken nicht mehr zu unterſcheiden wiſſen? Die Klaſſe der
Dienenden ſtellt ſich in allem Aeußern ſo anmaßend neben uns ſelbſt,
daß uns kaum eine andere Auszeichnung übrig bleibt, als das Ge¬
fühl unſerer Würde, welches uns freilich hinlänglich ſchmückt, wenn
gleich nicht auf den erſten Blick. Faſſen wir uns in chriſtlicher Ge¬
duld, liebes Kind! Was wollen wir thun? Auch noch ein ſchwarzes
Kammermädchen nehmen? Ach, ſchon eins iſt zu viel von dieſer Race!
Nicht wahr, dazu entſchließen wir uns nicht, gute Sarah? Laſſen wir
uns um der Liebe Gottes willen die Anſprüche der Weißen gefallen
und geben wir unſerer liebenswürdigen Freundin Recht, welche, wie
du weißt zu ſagen pflegt: ſie könne ſich den Himmel nur als einen
Ort voll Dienſtboten denken.

Moorfeld bezeugte ſich den Leiden der Damen ſo theilnehmend, als
es mit einem leiſen Zug von Ironie im Herzen möglich war, und
machte namentlich auf den Umſtand aufmerkſam, daß er die fragliche
Frauensperſon über Büchern und Landkarten gefunden, d. h. in einer
Beſchäftigung, welche in Europa zweifellos die gebildete Haustochter
bezeichnet hätte. Ach, in Europa! fiel Herr Staunton mit unbedach¬
ter Geringſchätzung dazwiſchen; — im alten Land fühlt ſich ſelbſt der
höchſt Beamtete als ein Diener, bei uns möchte der niedrigſte Dienſt
gern für ein Amt gelten. Die weiße Race dient überhaupt nicht hier.
Darum ließ ich Ihnen ja auch durch unſern Agenten den Rath geben,
ſich keinen Bedienten mitzunehmen, wie es Ihre Abſicht war. Er hätte
Sie in den erſten Wochen verlaſſen. Unſre Hariet betreffend, ſo be¬
reitet ſie ſich auf ein Schulamt vor, von dem Umſtand gewinnend, daß
man neuerer Zeit die Volksſchulen gerne mit weiblichen Lehrkräften
beſetzt. Sie ſahen ſie in einer dieſer Selbſtvorbereitungs-Stunden,
deren ſie ſich täglich ein Paar ausbedungen hat. Die Sache hat ihre
Unbequemlichkeiten für die weibliche Herrſchaft, aber dem Mädchen kann
ich ihr Streben nicht übel nehmen. Iſt ſie doch eine freie Amerika¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0047" n="29"/>
hocherwach&#x017F;enen Töchterchens für übertrieben zu halten, die Mutter<lb/>
&#x017F;chloß vielmehr &#x017F;ehr mütterlich die reife Jungfrau an ihr Herz und<lb/>
trö&#x017F;tete &#x017F;ie mit vielem Affecte. Mein Gott! &#x017F;eufzte &#x017F;ie, und &#x017F;chlug<lb/>
ihre Augen in eine Himmelshöhe, welche weit über die Richtung der<lb/>
Brille hinausging, mein Gott, &#x017F;eufzte &#x017F;ie, i&#x017F;t es denn zu verwundern,<lb/>
wenn fremde Be&#x017F;ucher un&#x017F;ers Landes die weiblichen Herr&#x017F;chaften von<lb/>
ihren Dome&#x017F;tiken nicht mehr zu unter&#x017F;cheiden wi&#x017F;&#x017F;en? Die Kla&#x017F;&#x017F;e der<lb/>
Dienenden &#x017F;tellt &#x017F;ich in allem Aeußern &#x017F;o anmaßend neben uns &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
daß uns kaum eine andere Auszeichnung übrig bleibt, als das Ge¬<lb/>
fühl un&#x017F;erer Würde, welches uns freilich hinlänglich &#x017F;chmückt, wenn<lb/>
gleich nicht auf den er&#x017F;ten Blick. Fa&#x017F;&#x017F;en wir uns in chri&#x017F;tlicher Ge¬<lb/>
duld, liebes Kind! Was wollen wir thun? Auch noch ein &#x017F;chwarzes<lb/>
Kammermädchen nehmen? Ach, &#x017F;chon eins i&#x017F;t zu viel von die&#x017F;er Race!<lb/>
Nicht wahr, dazu ent&#x017F;chließen wir uns nicht, gute Sarah? La&#x017F;&#x017F;en wir<lb/>
uns um der Liebe Gottes willen die An&#x017F;prüche der Weißen gefallen<lb/>
und geben wir un&#x017F;erer liebenswürdigen Freundin Recht, welche, wie<lb/>
du weißt zu &#x017F;agen pflegt: &#x017F;ie könne &#x017F;ich den Himmel nur als einen<lb/>
Ort voll Dien&#x017F;tboten denken.</p><lb/>
          <p>Moorfeld bezeugte &#x017F;ich den Leiden der Damen &#x017F;o theilnehmend, als<lb/>
es mit einem lei&#x017F;en Zug von Ironie im Herzen möglich war, und<lb/>
machte namentlich auf den Um&#x017F;tand aufmerk&#x017F;am, daß er die fragliche<lb/>
Frauensper&#x017F;on über Büchern und Landkarten gefunden, d. h. in einer<lb/>
Be&#x017F;chäftigung, welche in Europa zweifellos die gebildete Haustochter<lb/>
bezeichnet hätte. Ach, in Europa! fiel Herr Staunton mit unbedach¬<lb/>
ter Gering&#x017F;chätzung dazwi&#x017F;chen; &#x2014; im alten Land fühlt &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t der<lb/>
höch&#x017F;t Beamtete als ein Diener, bei uns möchte der niedrig&#x017F;te Dien&#x017F;t<lb/>
gern für ein Amt gelten. Die weiße Race dient überhaupt nicht hier.<lb/>
Darum ließ ich Ihnen ja auch durch un&#x017F;ern Agenten den Rath geben,<lb/>
&#x017F;ich keinen Bedienten mitzunehmen, wie es Ihre Ab&#x017F;icht war. Er hätte<lb/>
Sie in den er&#x017F;ten Wochen verla&#x017F;&#x017F;en. Un&#x017F;re Hariet betreffend, &#x017F;o be¬<lb/>
reitet &#x017F;ie &#x017F;ich auf ein Schulamt vor, von dem Um&#x017F;tand gewinnend, daß<lb/>
man neuerer Zeit die Volks&#x017F;chulen gerne mit weiblichen Lehrkräften<lb/>
be&#x017F;etzt. Sie &#x017F;ahen &#x017F;ie in einer die&#x017F;er Selb&#x017F;tvorbereitungs-Stunden,<lb/>
deren &#x017F;ie &#x017F;ich täglich ein Paar ausbedungen hat. Die Sache hat ihre<lb/>
Unbequemlichkeiten für die weibliche Herr&#x017F;chaft, aber dem Mädchen kann<lb/>
ich ihr Streben nicht übel nehmen. I&#x017F;t &#x017F;ie doch eine freie Amerika¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[29/0047] hocherwachſenen Töchterchens für übertrieben zu halten, die Mutter ſchloß vielmehr ſehr mütterlich die reife Jungfrau an ihr Herz und tröſtete ſie mit vielem Affecte. Mein Gott! ſeufzte ſie, und ſchlug ihre Augen in eine Himmelshöhe, welche weit über die Richtung der Brille hinausging, mein Gott, ſeufzte ſie, iſt es denn zu verwundern, wenn fremde Beſucher unſers Landes die weiblichen Herrſchaften von ihren Domeſtiken nicht mehr zu unterſcheiden wiſſen? Die Klaſſe der Dienenden ſtellt ſich in allem Aeußern ſo anmaßend neben uns ſelbſt, daß uns kaum eine andere Auszeichnung übrig bleibt, als das Ge¬ fühl unſerer Würde, welches uns freilich hinlänglich ſchmückt, wenn gleich nicht auf den erſten Blick. Faſſen wir uns in chriſtlicher Ge¬ duld, liebes Kind! Was wollen wir thun? Auch noch ein ſchwarzes Kammermädchen nehmen? Ach, ſchon eins iſt zu viel von dieſer Race! Nicht wahr, dazu entſchließen wir uns nicht, gute Sarah? Laſſen wir uns um der Liebe Gottes willen die Anſprüche der Weißen gefallen und geben wir unſerer liebenswürdigen Freundin Recht, welche, wie du weißt zu ſagen pflegt: ſie könne ſich den Himmel nur als einen Ort voll Dienſtboten denken. Moorfeld bezeugte ſich den Leiden der Damen ſo theilnehmend, als es mit einem leiſen Zug von Ironie im Herzen möglich war, und machte namentlich auf den Umſtand aufmerkſam, daß er die fragliche Frauensperſon über Büchern und Landkarten gefunden, d. h. in einer Beſchäftigung, welche in Europa zweifellos die gebildete Haustochter bezeichnet hätte. Ach, in Europa! fiel Herr Staunton mit unbedach¬ ter Geringſchätzung dazwiſchen; — im alten Land fühlt ſich ſelbſt der höchſt Beamtete als ein Diener, bei uns möchte der niedrigſte Dienſt gern für ein Amt gelten. Die weiße Race dient überhaupt nicht hier. Darum ließ ich Ihnen ja auch durch unſern Agenten den Rath geben, ſich keinen Bedienten mitzunehmen, wie es Ihre Abſicht war. Er hätte Sie in den erſten Wochen verlaſſen. Unſre Hariet betreffend, ſo be¬ reitet ſie ſich auf ein Schulamt vor, von dem Umſtand gewinnend, daß man neuerer Zeit die Volksſchulen gerne mit weiblichen Lehrkräften beſetzt. Sie ſahen ſie in einer dieſer Selbſtvorbereitungs-Stunden, deren ſie ſich täglich ein Paar ausbedungen hat. Die Sache hat ihre Unbequemlichkeiten für die weibliche Herrſchaft, aber dem Mädchen kann ich ihr Streben nicht übel nehmen. Iſt ſie doch eine freie Amerika¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/47
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/47>, abgerufen am 21.11.2024.