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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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mit mir umgegangen war, wie Ihr es wißt, -- Gott, es ist kein
Gemüth unter diesen Amerikanern! -- beschloß ich meine Kundschaft
den Deutschen zuzuwenden. Dieser patriotische Zug belohnte sich. Zwar
war auch meine neue Leibwäscherin, Frau Scheuderlein, so herzlos, mir
Geld abzufordern -- diese Gier nach dem Mammon liegt überhaupt
schon in der Luft, wie es hier scheint; aber -- die Sache aberte sich
doch. Ich hatte, als sie mir die erste Wäsche brachte, just eine An¬
weisung auf zweitausend Dollars an die Gebrüder Sweet u. Comp.
in der Wall-Street einzukassiren, was sich freilich nicht so leicht machte,
denn ich lag gleichzeitig an einem verstauchten Fuß darnieder, den ich
mir Tags zuvor bei dem berühmten Longisland-Wettrennen geholt, in¬
dem ich einen schrecklichen Sturz vom Pferde mit angesehen. Die
Verrenkung schmerzte außerordentlich, ich konnte das Bein nicht rühren,
es ging mir erbärmlich.

Natürlich ließ sich der Incasso eines so bedeutenden Cheque's wie
meine zweitausend Dollars keiner fremden Hand anvertrauen, und doch
forderte Frau Scheuderlein ihr Geld, just wie es Frau Appendage
auch gethan -- es war als ob sich die zwei Weiber verabredet hätten.
Mißmuthig über diese Entartung der deutschen Race warf ich ihr ein
Buch an den Kopf: sie sollte damit auf den Bowery gehen zu Hei¬
man Levi, der kaufe antiquarische Bücher. Ich gestehe gern: ich dachte
nichts bei diesem Puff, -- nichts, als nur eben sie los zu werden.
Aber nun lernt den Fond des deutschen Charakters kennen. Nach einer
Stunde kommt Frau Scheuderlein zurück: sie hätte auf dem ganzen
Bowery keinen Haiman Levi gefunden, sie hätte aber in das Buch
"a bisle ingeguckt", und es wäre eine schöne Geschichte. Da hört ihr's!
Ein schlichtes Weib aus dem Volke, die verschämte, aber reinliche Ar¬
muth -- Kennerin der deutschen Literatur! empfängliches Gemüth für
die ästhetischen Schönheiten unserer Geistesblüthen! Ich wäre ein Bar¬
bar gewesen, hätte mich dieser Moment nicht erleuchtet. Jetzt erkannt'
ich meine Mission. Hier mußte was geschehen. So viel gesunde und
tüchtige Elemente unsres Volkslebens sollten nicht in Zersplitterung
und geistiger Nahrungslosigkeit untergehen. Ich gründete meinen Ver¬
ein zur Verbreitung guter und nützlicher Volksschriften. Ich besaß
noch die deutsche "Männerbibliothek" mit Clauren's sämmtlichen Wer¬
ken, Schlenkert's historische Romane, zwölf Theile vom Pantheon, zwei

mit mir umgegangen war, wie Ihr es wißt, — Gott, es iſt kein
Gemüth unter dieſen Amerikanern! — beſchloß ich meine Kundſchaft
den Deutſchen zuzuwenden. Dieſer patriotiſche Zug belohnte ſich. Zwar
war auch meine neue Leibwäſcherin, Frau Scheuderlein, ſo herzlos, mir
Geld abzufordern — dieſe Gier nach dem Mammon liegt überhaupt
ſchon in der Luft, wie es hier ſcheint; aber — die Sache aberte ſich
doch. Ich hatte, als ſie mir die erſte Wäſche brachte, juſt eine An¬
weiſung auf zweitauſend Dollars an die Gebrüder Sweet u. Comp.
in der Wall-Street einzukaſſiren, was ſich freilich nicht ſo leicht machte,
denn ich lag gleichzeitig an einem verſtauchten Fuß darnieder, den ich
mir Tags zuvor bei dem berühmten Longisland-Wettrennen geholt, in¬
dem ich einen ſchrecklichen Sturz vom Pferde mit angeſehen. Die
Verrenkung ſchmerzte außerordentlich, ich konnte das Bein nicht rühren,
es ging mir erbärmlich.

Natürlich ließ ſich der Incaſſo eines ſo bedeutenden Cheque's wie
meine zweitauſend Dollars keiner fremden Hand anvertrauen, und doch
forderte Frau Scheuderlein ihr Geld, juſt wie es Frau Appendage
auch gethan — es war als ob ſich die zwei Weiber verabredet hätten.
Mißmuthig über dieſe Entartung der deutſchen Race warf ich ihr ein
Buch an den Kopf: ſie ſollte damit auf den Bowery gehen zu Hei¬
man Levi, der kaufe antiquariſche Bücher. Ich geſtehe gern: ich dachte
nichts bei dieſem Puff, — nichts, als nur eben ſie los zu werden.
Aber nun lernt den Fond des deutſchen Charakters kennen. Nach einer
Stunde kommt Frau Scheuderlein zurück: ſie hätte auf dem ganzen
Bowery keinen Haiman Levi gefunden, ſie hätte aber in das Buch
„a bisle ingeguckt“, und es wäre eine ſchöne Geſchichte. Da hört ihr's!
Ein ſchlichtes Weib aus dem Volke, die verſchämte, aber reinliche Ar¬
muth — Kennerin der deutſchen Literatur! empfängliches Gemüth für
die äſthetiſchen Schönheiten unſerer Geiſtesblüthen! Ich wäre ein Bar¬
bar geweſen, hätte mich dieſer Moment nicht erleuchtet. Jetzt erkannt'
ich meine Miſſion. Hier mußte was geſchehen. So viel geſunde und
tüchtige Elemente unſres Volkslebens ſollten nicht in Zerſplitterung
und geiſtiger Nahrungsloſigkeit untergehen. Ich gründete meinen Ver¬
ein zur Verbreitung guter und nützlicher Volksſchriften. Ich beſaß
noch die deutſche „Männerbibliothek“ mit Clauren's ſämmtlichen Wer¬
ken, Schlenkert's hiſtoriſche Romane, zwölf Theile vom Pantheon, zwei

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[448/0466] mit mir umgegangen war, wie Ihr es wißt, — Gott, es iſt kein Gemüth unter dieſen Amerikanern! — beſchloß ich meine Kundſchaft den Deutſchen zuzuwenden. Dieſer patriotiſche Zug belohnte ſich. Zwar war auch meine neue Leibwäſcherin, Frau Scheuderlein, ſo herzlos, mir Geld abzufordern — dieſe Gier nach dem Mammon liegt überhaupt ſchon in der Luft, wie es hier ſcheint; aber — die Sache aberte ſich doch. Ich hatte, als ſie mir die erſte Wäſche brachte, juſt eine An¬ weiſung auf zweitauſend Dollars an die Gebrüder Sweet u. Comp. in der Wall-Street einzukaſſiren, was ſich freilich nicht ſo leicht machte, denn ich lag gleichzeitig an einem verſtauchten Fuß darnieder, den ich mir Tags zuvor bei dem berühmten Longisland-Wettrennen geholt, in¬ dem ich einen ſchrecklichen Sturz vom Pferde mit angeſehen. Die Verrenkung ſchmerzte außerordentlich, ich konnte das Bein nicht rühren, es ging mir erbärmlich. Natürlich ließ ſich der Incaſſo eines ſo bedeutenden Cheque's wie meine zweitauſend Dollars keiner fremden Hand anvertrauen, und doch forderte Frau Scheuderlein ihr Geld, juſt wie es Frau Appendage auch gethan — es war als ob ſich die zwei Weiber verabredet hätten. Mißmuthig über dieſe Entartung der deutſchen Race warf ich ihr ein Buch an den Kopf: ſie ſollte damit auf den Bowery gehen zu Hei¬ man Levi, der kaufe antiquariſche Bücher. Ich geſtehe gern: ich dachte nichts bei dieſem Puff, — nichts, als nur eben ſie los zu werden. Aber nun lernt den Fond des deutſchen Charakters kennen. Nach einer Stunde kommt Frau Scheuderlein zurück: ſie hätte auf dem ganzen Bowery keinen Haiman Levi gefunden, ſie hätte aber in das Buch „a bisle ingeguckt“, und es wäre eine ſchöne Geſchichte. Da hört ihr's! Ein ſchlichtes Weib aus dem Volke, die verſchämte, aber reinliche Ar¬ muth — Kennerin der deutſchen Literatur! empfängliches Gemüth für die äſthetiſchen Schönheiten unſerer Geiſtesblüthen! Ich wäre ein Bar¬ bar geweſen, hätte mich dieſer Moment nicht erleuchtet. Jetzt erkannt' ich meine Miſſion. Hier mußte was geſchehen. So viel geſunde und tüchtige Elemente unſres Volkslebens ſollten nicht in Zerſplitterung und geiſtiger Nahrungsloſigkeit untergehen. Ich gründete meinen Ver¬ ein zur Verbreitung guter und nützlicher Volksſchriften. Ich beſaß noch die deutſche „Männerbibliothek“ mit Clauren's ſämmtlichen Wer¬ ken, Schlenkert's hiſtoriſche Romane, zwölf Theile vom Pantheon, zwei

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/466>, abgerufen am 22.11.2024.