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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Jahrgänge Mitternachtsblatt für gebildete Stände, zwei Jahrgänge
vom Gesellschafter, Fouque's Zauberring, Philippine von Geldern, die
Grafen von Hohenberg, Casanova's Memoiren und hatte überhaupt eine
ganze Kiste von Büchern mit nach Amerika gebracht, sowohl aus an¬
geborenem Interesse für die schöne Literatur als auch um, in Erman¬
gelung anderer Fahrnisse, meinem Schiffsrheder das contractliche Passa¬
gier-Freigut nicht zu schenken. Diese Schätze machte ich jetzt flüssig.
Ich ernannte meine Kiste zur Volksbibliothek und mich selbst zum
Vorstand eines Vereins, der sich die patriotische Aufgabe setzte, jene
ehrwürdigen Denkmäler des deutschen Geistes der weitesten Oeffentlich¬
keit zugänglich zu machen. Ein schwieriges Amt! ein aufopferungs¬
voller Beruf! Als ein Mann, der im letzten Stadium der Phthisis
pulmonalis
begriffen ist, schleppe ich, so weit die deutsche Zunge reicht,
in Newyork und Brooklyn jetzt meine Bücher herum; keine Mansarde
ist mir zu steil, keine Kellertreppe zu abschüssig, Herr Henning, der
Büchermann, verbreitet Aufklärung. So treib' ich es jetzt. Schwer
lastet der Volksdienst auf seinen Auserwählten, aber Deutschland ist dank¬
bar und meine Kiste ist tief, -- ich sehe einer sorgenfreien Zukunft
entgegen. Ich werde heirathen. --

Unser Bruder Henning der soll leben! erscholl es im Chorus, --
die Stimme des pfälzischen Schreiners gab den Grundton dazu an.

Merci! bedankte sich der Schriftsetzer mit geschmeichelter Eitelkeit und
lächelte liebenswürdig nach allen Seiten. Aber, fuhr er fort, nun gebt
mir auch zu leben! Ihr seid mir Kerls! Ihr hört von meiner Leih¬
bibliothek und abonnirt nicht. Für euch besonders hätt' ich rare Sachen.
Da sind z. B. Thümmel's Reisen in das mittägige Frankreich -- die
acht Bände liegen mir schwer am Herzen! Das ist Kaviar für's Volk.
Der Plebs will nur spannende Handlung, Entführungen und Mord¬
thaten, und der Thümmel ist ihnen viel zu geistreich. Das wäre ein
Dessert für meine engeren Freunde. Ein Cent per Tag, ohne Einsatz,
der Band mit Titelkupfer, -- und welche Kupfer! Das Aushänge¬
schild der holländischen Wirthin --

In diesem Augenblicke servirte Vronele einige Gläser Bier im
Extrazimmer. Als sie den Rücken wandte, sah ihr der Schriftsetzer
kennerisch nach, und brummte mit einem bedeutsam spannenden Kopf¬
nicken: das wäre kein übles Aushängschild der holländischen Wirthin!

Jahrgänge Mitternachtsblatt für gebildete Stände, zwei Jahrgänge
vom Geſellſchafter, Fouque's Zauberring, Philippine von Geldern, die
Grafen von Hohenberg, Caſanova's Memoiren und hatte überhaupt eine
ganze Kiſte von Büchern mit nach Amerika gebracht, ſowohl aus an¬
geborenem Intereſſe für die ſchöne Literatur als auch um, in Erman¬
gelung anderer Fahrniſſe, meinem Schiffsrheder das contractliche Paſſa¬
gier-Freigut nicht zu ſchenken. Dieſe Schätze machte ich jetzt flüſſig.
Ich ernannte meine Kiſte zur Volksbibliothek und mich ſelbſt zum
Vorſtand eines Vereins, der ſich die patriotiſche Aufgabe ſetzte, jene
ehrwürdigen Denkmäler des deutſchen Geiſtes der weiteſten Oeffentlich¬
keit zugänglich zu machen. Ein ſchwieriges Amt! ein aufopferungs¬
voller Beruf! Als ein Mann, der im letzten Stadium der Phthisis
pulmonalis
begriffen iſt, ſchleppe ich, ſo weit die deutſche Zunge reicht,
in Newyork und Brooklyn jetzt meine Bücher herum; keine Manſarde
iſt mir zu ſteil, keine Kellertreppe zu abſchüſſig, Herr Henning, der
Büchermann, verbreitet Aufklärung. So treib' ich es jetzt. Schwer
laſtet der Volksdienſt auf ſeinen Auserwählten, aber Deutſchland iſt dank¬
bar und meine Kiſte iſt tief, — ich ſehe einer ſorgenfreien Zukunft
entgegen. Ich werde heirathen. —

Unſer Bruder Henning der ſoll leben! erſcholl es im Chorus, —
die Stimme des pfälziſchen Schreiners gab den Grundton dazu an.

Merci! bedankte ſich der Schriftſetzer mit geſchmeichelter Eitelkeit und
lächelte liebenswürdig nach allen Seiten. Aber, fuhr er fort, nun gebt
mir auch zu leben! Ihr ſeid mir Kerls! Ihr hört von meiner Leih¬
bibliothek und abonnirt nicht. Für euch beſonders hätt' ich rare Sachen.
Da ſind z. B. Thümmel's Reiſen in das mittägige Frankreich — die
acht Bände liegen mir ſchwer am Herzen! Das iſt Kaviar für's Volk.
Der Plebs will nur ſpannende Handlung, Entführungen und Mord¬
thaten, und der Thümmel iſt ihnen viel zu geiſtreich. Das wäre ein
Deſſert für meine engeren Freunde. Ein Cent per Tag, ohne Einſatz,
der Band mit Titelkupfer, — und welche Kupfer! Das Aushänge¬
ſchild der holländiſchen Wirthin —

In dieſem Augenblicke ſervirte Vronele einige Gläſer Bier im
Extrazimmer. Als ſie den Rücken wandte, ſah ihr der Schriftſetzer
kenneriſch nach, und brummte mit einem bedeutſam ſpannenden Kopf¬
nicken: das wäre kein übles Aushängſchild der holländiſchen Wirthin!

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[449/0467] Jahrgänge Mitternachtsblatt für gebildete Stände, zwei Jahrgänge vom Geſellſchafter, Fouque's Zauberring, Philippine von Geldern, die Grafen von Hohenberg, Caſanova's Memoiren und hatte überhaupt eine ganze Kiſte von Büchern mit nach Amerika gebracht, ſowohl aus an¬ geborenem Intereſſe für die ſchöne Literatur als auch um, in Erman¬ gelung anderer Fahrniſſe, meinem Schiffsrheder das contractliche Paſſa¬ gier-Freigut nicht zu ſchenken. Dieſe Schätze machte ich jetzt flüſſig. Ich ernannte meine Kiſte zur Volksbibliothek und mich ſelbſt zum Vorſtand eines Vereins, der ſich die patriotiſche Aufgabe ſetzte, jene ehrwürdigen Denkmäler des deutſchen Geiſtes der weiteſten Oeffentlich¬ keit zugänglich zu machen. Ein ſchwieriges Amt! ein aufopferungs¬ voller Beruf! Als ein Mann, der im letzten Stadium der Phthisis pulmonalis begriffen iſt, ſchleppe ich, ſo weit die deutſche Zunge reicht, in Newyork und Brooklyn jetzt meine Bücher herum; keine Manſarde iſt mir zu ſteil, keine Kellertreppe zu abſchüſſig, Herr Henning, der Büchermann, verbreitet Aufklärung. So treib' ich es jetzt. Schwer laſtet der Volksdienſt auf ſeinen Auserwählten, aber Deutſchland iſt dank¬ bar und meine Kiſte iſt tief, — ich ſehe einer ſorgenfreien Zukunft entgegen. Ich werde heirathen. — Unſer Bruder Henning der ſoll leben! erſcholl es im Chorus, — die Stimme des pfälziſchen Schreiners gab den Grundton dazu an. Merci! bedankte ſich der Schriftſetzer mit geſchmeichelter Eitelkeit und lächelte liebenswürdig nach allen Seiten. Aber, fuhr er fort, nun gebt mir auch zu leben! Ihr ſeid mir Kerls! Ihr hört von meiner Leih¬ bibliothek und abonnirt nicht. Für euch beſonders hätt' ich rare Sachen. Da ſind z. B. Thümmel's Reiſen in das mittägige Frankreich — die acht Bände liegen mir ſchwer am Herzen! Das iſt Kaviar für's Volk. Der Plebs will nur ſpannende Handlung, Entführungen und Mord¬ thaten, und der Thümmel iſt ihnen viel zu geiſtreich. Das wäre ein Deſſert für meine engeren Freunde. Ein Cent per Tag, ohne Einſatz, der Band mit Titelkupfer, — und welche Kupfer! Das Aushänge¬ ſchild der holländiſchen Wirthin — In dieſem Augenblicke ſervirte Vronele einige Gläſer Bier im Extrazimmer. Als ſie den Rücken wandte, ſah ihr der Schriftſetzer kenneriſch nach, und brummte mit einem bedeutſam ſpannenden Kopf¬ nicken: das wäre kein übles Aushängſchild der holländiſchen Wirthin!

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/467>, abgerufen am 22.11.2024.