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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Seine Stimme ging hierauf in ein gedämpftes Flüstern über, die
Köpfe rückten zusammen um ihn, und Alles verrieth, daß er das be¬
kannte Mysterium von dem physiognomischen Quiproquo der hollän¬
dischen Wirthin zum Besten gab. Ein wieherndes Gelächter folgte
hierauf.

Das war denn Kleindeutschland, wie es leibte und lebte! Die alte
Noth -- die alte Gemüthlichkeit -- Moorfeld ließ sich an dieser Skizze
genügen und verlor keine Zeit mit ihr. Ihm handelte es sich um das
Haupt dieser Glieder. Mit klopfendem Herzen fragte er jetzt, ob Herr
Benthal heute noch zu erwarten, eine bangere Eventualität in dieser
Frage umgehend. Herr Häberle, der Wirth, ließ seine Finger in seinem
breiten Schwarzwälder Hosenträger spielen und besann sich auf den
Namen. Der Rector magnificus? antwortete er nach einer langen
geistigen Operation; hierauf rief er sein Töchterchen herbei, damit sie
ihn im Reden substituire. Bronele gab mit einem geläufigen Zünglein
den Bescheid, der Rector magnificus sei schon lange nicht mehr da¬
gewesen, die Abende wären überhaupt nicht regelmäßig gehalten worden,
es hätte diesen Sommer gar zu arg das Fieber gewirthschaftet; ganze
Häuser seien ausgestorben, ganze Bezirke abgesperrt gewesen, die "Hohen"
hätten zwar lange Placate anschlagen lassen, daß die Krankheit nicht
ansteckend sei, aber die Leute hätten sie wieder herabgerissen und Alles
sei auseinander gegangen, nirgends gab's Gesellschaft. In Fife Point,
wo die "Jauner" hausten, stürben noch jetzt Leute, und die Doctoren
hätten gesagt, bis nicht der erste Frost käme, würde es wohl gehen,
wie im Jahre neunzehn und einundzwanzig. Sie, Gott sei Dank,
wären gesund geblieben und die Leute seien rechte Narren, die sich nicht
zu essen und trinken getrauten und den grünen Baum leer stehen ließen.
Dazu lächelte das frische Schwabenmädchen so naiv-kokett aus ihren
schelmischen Rosengrübchen, daß sich die Thorheit, den grünen Baum
zu meiden, wohl einsehen ließ. Herr Häberle aber stand hinter dem
Zahltisch und hörte mit schmunzelnder Bewunderung dem Concept sei¬
nes Töchterchens zu.

Diese Auskünfte klangen nichts weniger als beruhigend. Und wei¬
ter war nichts zu erhalten. Denn der Rector magnificus, hieß es,
lasse nicht viel von sich wissen; wenn er komme, so sei er eben da,
sein Logis hingegen sei ein Geheimniß, Niemand könne ihn besuchen,

Seine Stimme ging hierauf in ein gedämpftes Flüſtern über, die
Köpfe rückten zuſammen um ihn, und Alles verrieth, daß er das be¬
kannte Myſterium von dem phyſiognomiſchen Quiproquo der hollän¬
diſchen Wirthin zum Beſten gab. Ein wieherndes Gelächter folgte
hierauf.

Das war denn Kleindeutſchland, wie es leibte und lebte! Die alte
Noth — die alte Gemüthlichkeit — Moorfeld ließ ſich an dieſer Skizze
genügen und verlor keine Zeit mit ihr. Ihm handelte es ſich um das
Haupt dieſer Glieder. Mit klopfendem Herzen fragte er jetzt, ob Herr
Benthal heute noch zu erwarten, eine bangere Eventualität in dieſer
Frage umgehend. Herr Häberle, der Wirth, ließ ſeine Finger in ſeinem
breiten Schwarzwälder Hoſenträger ſpielen und beſann ſich auf den
Namen. Der Rector magnificus? antwortete er nach einer langen
geiſtigen Operation; hierauf rief er ſein Töchterchen herbei, damit ſie
ihn im Reden ſubſtituire. Bronele gab mit einem geläufigen Zünglein
den Beſcheid, der Rector magnificus ſei ſchon lange nicht mehr da¬
geweſen, die Abende wären überhaupt nicht regelmäßig gehalten worden,
es hätte dieſen Sommer gar zu arg das Fieber gewirthſchaftet; ganze
Häuſer ſeien ausgeſtorben, ganze Bezirke abgeſperrt geweſen, die „Hohen“
hätten zwar lange Placate anſchlagen laſſen, daß die Krankheit nicht
anſteckend ſei, aber die Leute hätten ſie wieder herabgeriſſen und Alles
ſei auseinander gegangen, nirgends gab's Geſellſchaft. In Fife Point,
wo die „Jauner“ hausten, ſtürben noch jetzt Leute, und die Doctoren
hätten geſagt, bis nicht der erſte Froſt käme, würde es wohl gehen,
wie im Jahre neunzehn und einundzwanzig. Sie, Gott ſei Dank,
wären geſund geblieben und die Leute ſeien rechte Narren, die ſich nicht
zu eſſen und trinken getrauten und den grünen Baum leer ſtehen ließen.
Dazu lächelte das friſche Schwabenmädchen ſo naiv-kokett aus ihren
ſchelmiſchen Roſengrübchen, daß ſich die Thorheit, den grünen Baum
zu meiden, wohl einſehen ließ. Herr Häberle aber ſtand hinter dem
Zahltiſch und hörte mit ſchmunzelnder Bewunderung dem Concept ſei¬
nes Töchterchens zu.

Dieſe Auskünfte klangen nichts weniger als beruhigend. Und wei¬
ter war nichts zu erhalten. Denn der Rector magnificus, hieß es,
laſſe nicht viel von ſich wiſſen; wenn er komme, ſo ſei er eben da,
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[450/0468] Seine Stimme ging hierauf in ein gedämpftes Flüſtern über, die Köpfe rückten zuſammen um ihn, und Alles verrieth, daß er das be¬ kannte Myſterium von dem phyſiognomiſchen Quiproquo der hollän¬ diſchen Wirthin zum Beſten gab. Ein wieherndes Gelächter folgte hierauf. Das war denn Kleindeutſchland, wie es leibte und lebte! Die alte Noth — die alte Gemüthlichkeit — Moorfeld ließ ſich an dieſer Skizze genügen und verlor keine Zeit mit ihr. Ihm handelte es ſich um das Haupt dieſer Glieder. Mit klopfendem Herzen fragte er jetzt, ob Herr Benthal heute noch zu erwarten, eine bangere Eventualität in dieſer Frage umgehend. Herr Häberle, der Wirth, ließ ſeine Finger in ſeinem breiten Schwarzwälder Hoſenträger ſpielen und beſann ſich auf den Namen. Der Rector magnificus? antwortete er nach einer langen geiſtigen Operation; hierauf rief er ſein Töchterchen herbei, damit ſie ihn im Reden ſubſtituire. Bronele gab mit einem geläufigen Zünglein den Beſcheid, der Rector magnificus ſei ſchon lange nicht mehr da¬ geweſen, die Abende wären überhaupt nicht regelmäßig gehalten worden, es hätte dieſen Sommer gar zu arg das Fieber gewirthſchaftet; ganze Häuſer ſeien ausgeſtorben, ganze Bezirke abgeſperrt geweſen, die „Hohen“ hätten zwar lange Placate anſchlagen laſſen, daß die Krankheit nicht anſteckend ſei, aber die Leute hätten ſie wieder herabgeriſſen und Alles ſei auseinander gegangen, nirgends gab's Geſellſchaft. In Fife Point, wo die „Jauner“ hausten, ſtürben noch jetzt Leute, und die Doctoren hätten geſagt, bis nicht der erſte Froſt käme, würde es wohl gehen, wie im Jahre neunzehn und einundzwanzig. Sie, Gott ſei Dank, wären geſund geblieben und die Leute ſeien rechte Narren, die ſich nicht zu eſſen und trinken getrauten und den grünen Baum leer ſtehen ließen. Dazu lächelte das friſche Schwabenmädchen ſo naiv-kokett aus ihren ſchelmiſchen Roſengrübchen, daß ſich die Thorheit, den grünen Baum zu meiden, wohl einſehen ließ. Herr Häberle aber ſtand hinter dem Zahltiſch und hörte mit ſchmunzelnder Bewunderung dem Concept ſei¬ nes Töchterchens zu. Dieſe Auskünfte klangen nichts weniger als beruhigend. Und wei¬ ter war nichts zu erhalten. Denn der Rector magnificus, hieß es, laſſe nicht viel von ſich wiſſen; wenn er komme, ſo ſei er eben da, ſein Logis hingegen ſei ein Geheimniß, Niemand könne ihn beſuchen,

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/468>, abgerufen am 22.11.2024.