Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Hier lief der Appetit nicht Gefahr an unverstandenen Hintergedanken
zu verhungern und über genialen Zukunftsvisionen das Lächeln der
Göttin Gelegenheit zu versäumen: die rasche That, die scharfe Un¬
mittelbarkeit Amerika's lag in diesem Ensemble.

Moorfeld musterte nun die Gerichte selbst. Schinken, Fische, Ge¬
flügel, Wildpret, Coteletts, Bratwürste, Kartoffeln, Früchte, Eier,
Kaffee, Wein, Brantwein, das Alles war der Apparat dieses soge¬
nannten Frühstückes. Es war keine Auswahl der landesüblichen Küche,
sondern vielmehr die Summe derselben. Alles war da. Der gebra¬
tene Speck des Hinterwäldlers dampfte neben dem feinen Puterhahn
und die plebejische Brandyflasche rivalisirte keck mit dem Adelswappen:
Jacquesson fils & Cie. Politisch beurtheilt sah Moorfeld das Bild
einer unfertigen Gesellschaft darin, in welchem die ländlichen Ansiedler¬
elemente mit den höheren Chorden der Stadtsitte noch chaotisch durch¬
einander klangen. Von Allem kostend wanderte seine Zunge gleichsam
mit den Rundköpfen Cromwell's aus, und saß bei Mock Turtle und
Champagner im Concerte der modernsten Geldmächte. Leider war
diese bunte Mannigfaltigkeit in eine traurige Einheit gebracht -- es
schmeckte Alles gleich schlecht.

Ohne nach den Paragraphen der höheren Gourmandise zu richten,
fand unser Gast schon als bloßer Naturalist das Frühstück ungenießbar.
Sämmtliche Gerichte waren entweder halb verbrannt oder halb roh.
Es machte ihm den Eindruck, als seien sie gleichzeitig an's Feuer ge¬
stellt und nach eben der despotischen Minutenuhr ihrer Schule wieder
entrissen worden, ohne jenes liebevolle Eingehen auf das zartere Spiel
der Individualitäten, auf die hingebende Empfänglichkeit des Coteletts
und auf den charakterfesten Widerstand des Rostbeafs. Wahrlich, es
fehlte die Frauenhand in diesem fabriksmäßigen Geköche! Moorfeld
zweifelte keinen Augenblick, daß nicht einmal die weibliche Dienerin,
welche er ohnedies über Büchern gefunden, sondern der Hausneger
selbst seine schwarze Hand in diesem traurigen Spiele gehabt. Rohe
Negerrache! grollte er sich zu, nur daß die Weißen selbst nicht fein
genug sind, sie zu empfinden.

In der That, von Feinheit war nicht die Rede hier. Die Art,
wie die zarten Blumen der Menschheit, die Damen nämlich, auf hei¬
ßen Maisbrodschnitten gelbe Butter zerließen und es aßen, die Art

Hier lief der Appetit nicht Gefahr an unverſtandenen Hintergedanken
zu verhungern und über genialen Zukunftsviſionen das Lächeln der
Göttin Gelegenheit zu verſäumen: die raſche That, die ſcharfe Un¬
mittelbarkeit Amerika's lag in dieſem Enſemble.

Moorfeld muſterte nun die Gerichte ſelbſt. Schinken, Fiſche, Ge¬
flügel, Wildpret, Coteletts, Bratwürſte, Kartoffeln, Früchte, Eier,
Kaffee, Wein, Brantwein, das Alles war der Apparat dieſes ſoge¬
nannten Frühſtückes. Es war keine Auswahl der landesüblichen Küche,
ſondern vielmehr die Summe derſelben. Alles war da. Der gebra¬
tene Speck des Hinterwäldlers dampfte neben dem feinen Puterhahn
und die plebejiſche Brandyflaſche rivaliſirte keck mit dem Adelswappen:
Jacquesson fils & Cie. Politiſch beurtheilt ſah Moorfeld das Bild
einer unfertigen Geſellſchaft darin, in welchem die ländlichen Anſiedler¬
elemente mit den höheren Chorden der Stadtſitte noch chaotiſch durch¬
einander klangen. Von Allem koſtend wanderte ſeine Zunge gleichſam
mit den Rundköpfen Cromwell's aus, und ſaß bei Mock Turtle und
Champagner im Concerte der modernſten Geldmächte. Leider war
dieſe bunte Mannigfaltigkeit in eine traurige Einheit gebracht — es
ſchmeckte Alles gleich ſchlecht.

Ohne nach den Paragraphen der höheren Gourmandiſe zu richten,
fand unſer Gaſt ſchon als bloßer Naturaliſt das Frühſtück ungenießbar.
Sämmtliche Gerichte waren entweder halb verbrannt oder halb roh.
Es machte ihm den Eindruck, als ſeien ſie gleichzeitig an's Feuer ge¬
ſtellt und nach eben der deſpotiſchen Minutenuhr ihrer Schule wieder
entriſſen worden, ohne jenes liebevolle Eingehen auf das zartere Spiel
der Individualitäten, auf die hingebende Empfänglichkeit des Coteletts
und auf den charakterfeſten Widerſtand des Roſtbeafs. Wahrlich, es
fehlte die Frauenhand in dieſem fabriksmäßigen Geköche! Moorfeld
zweifelte keinen Augenblick, daß nicht einmal die weibliche Dienerin,
welche er ohnedies über Büchern gefunden, ſondern der Hausneger
ſelbſt ſeine ſchwarze Hand in dieſem traurigen Spiele gehabt. Rohe
Negerrache! grollte er ſich zu, nur daß die Weißen ſelbſt nicht fein
genug ſind, ſie zu empfinden.

In der That, von Feinheit war nicht die Rede hier. Die Art,
wie die zarten Blumen der Menſchheit, die Damen nämlich, auf hei¬
ßen Maisbrodſchnitten gelbe Butter zerließen und es aßen, die Art

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0050" n="32"/>
Hier lief der Appetit nicht Gefahr an unver&#x017F;tandenen Hintergedanken<lb/>
zu verhungern und über genialen Zukunftsvi&#x017F;ionen das Lächeln der<lb/>
Göttin Gelegenheit zu ver&#x017F;äumen: die ra&#x017F;che That, die &#x017F;charfe Un¬<lb/>
mittelbarkeit Amerika's lag in die&#x017F;em En&#x017F;emble.</p><lb/>
          <p>Moorfeld mu&#x017F;terte nun die Gerichte &#x017F;elb&#x017F;t. Schinken, Fi&#x017F;che, Ge¬<lb/>
flügel, Wildpret, Coteletts, Bratwür&#x017F;te, Kartoffeln, Früchte, Eier,<lb/>
Kaffee, Wein, Brantwein, das Alles war der Apparat die&#x017F;es &#x017F;oge¬<lb/>
nannten Früh&#x017F;tückes. Es war keine Auswahl der landesüblichen Küche,<lb/>
&#x017F;ondern vielmehr die Summe der&#x017F;elben. Alles war da. Der gebra¬<lb/>
tene Speck des Hinterwäldlers dampfte neben dem feinen Puterhahn<lb/>
und die plebeji&#x017F;che Brandyfla&#x017F;che rivali&#x017F;irte keck mit dem Adelswappen:<lb/><hi rendition="#aq">Jacquesson fils &amp; Cie</hi>. Politi&#x017F;ch beurtheilt &#x017F;ah Moorfeld das Bild<lb/>
einer unfertigen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft darin, in welchem die ländlichen An&#x017F;iedler¬<lb/>
elemente mit den höheren Chorden der Stadt&#x017F;itte noch chaoti&#x017F;ch durch¬<lb/>
einander klangen. Von Allem ko&#x017F;tend wanderte &#x017F;eine Zunge gleich&#x017F;am<lb/>
mit den Rundköpfen Cromwell's aus, und &#x017F;aß bei Mock Turtle und<lb/>
Champagner im Concerte der modern&#x017F;ten Geldmächte. Leider war<lb/>
die&#x017F;e bunte Mannigfaltigkeit in eine traurige Einheit gebracht &#x2014; es<lb/>
&#x017F;chmeckte Alles gleich &#x017F;chlecht.</p><lb/>
          <p>Ohne nach den Paragraphen der höheren Gourmandi&#x017F;e zu richten,<lb/>
fand un&#x017F;er Ga&#x017F;t &#x017F;chon als bloßer Naturali&#x017F;t das Früh&#x017F;tück ungenießbar.<lb/>
Sämmtliche Gerichte waren entweder halb verbrannt oder halb roh.<lb/>
Es machte ihm den Eindruck, als &#x017F;eien &#x017F;ie gleichzeitig an's Feuer ge¬<lb/>
&#x017F;tellt und nach eben der de&#x017F;poti&#x017F;chen Minutenuhr ihrer Schule wieder<lb/>
entri&#x017F;&#x017F;en worden, ohne jenes liebevolle Eingehen auf das zartere Spiel<lb/>
der Individualitäten, auf die hingebende Empfänglichkeit des Coteletts<lb/>
und auf den charakterfe&#x017F;ten Wider&#x017F;tand des Ro&#x017F;tbeafs. Wahrlich, es<lb/>
fehlte die Frauenhand in die&#x017F;em fabriksmäßigen Geköche! Moorfeld<lb/>
zweifelte keinen Augenblick, daß nicht einmal die weibliche Dienerin,<lb/>
welche er ohnedies über Büchern gefunden, &#x017F;ondern der Hausneger<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;eine &#x017F;chwarze Hand in die&#x017F;em traurigen Spiele gehabt. Rohe<lb/>
Negerrache! grollte er &#x017F;ich zu, nur daß die Weißen &#x017F;elb&#x017F;t nicht fein<lb/>
genug &#x017F;ind, &#x017F;ie zu empfinden.</p><lb/>
          <p>In der That, von Feinheit war nicht die Rede hier. Die Art,<lb/>
wie die zarten Blumen der Men&#x017F;chheit, die Damen nämlich, auf hei¬<lb/>
ßen Maisbrod&#x017F;chnitten gelbe Butter zerließen und es aßen, die Art<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0050] Hier lief der Appetit nicht Gefahr an unverſtandenen Hintergedanken zu verhungern und über genialen Zukunftsviſionen das Lächeln der Göttin Gelegenheit zu verſäumen: die raſche That, die ſcharfe Un¬ mittelbarkeit Amerika's lag in dieſem Enſemble. Moorfeld muſterte nun die Gerichte ſelbſt. Schinken, Fiſche, Ge¬ flügel, Wildpret, Coteletts, Bratwürſte, Kartoffeln, Früchte, Eier, Kaffee, Wein, Brantwein, das Alles war der Apparat dieſes ſoge¬ nannten Frühſtückes. Es war keine Auswahl der landesüblichen Küche, ſondern vielmehr die Summe derſelben. Alles war da. Der gebra¬ tene Speck des Hinterwäldlers dampfte neben dem feinen Puterhahn und die plebejiſche Brandyflaſche rivaliſirte keck mit dem Adelswappen: Jacquesson fils & Cie. Politiſch beurtheilt ſah Moorfeld das Bild einer unfertigen Geſellſchaft darin, in welchem die ländlichen Anſiedler¬ elemente mit den höheren Chorden der Stadtſitte noch chaotiſch durch¬ einander klangen. Von Allem koſtend wanderte ſeine Zunge gleichſam mit den Rundköpfen Cromwell's aus, und ſaß bei Mock Turtle und Champagner im Concerte der modernſten Geldmächte. Leider war dieſe bunte Mannigfaltigkeit in eine traurige Einheit gebracht — es ſchmeckte Alles gleich ſchlecht. Ohne nach den Paragraphen der höheren Gourmandiſe zu richten, fand unſer Gaſt ſchon als bloßer Naturaliſt das Frühſtück ungenießbar. Sämmtliche Gerichte waren entweder halb verbrannt oder halb roh. Es machte ihm den Eindruck, als ſeien ſie gleichzeitig an's Feuer ge¬ ſtellt und nach eben der deſpotiſchen Minutenuhr ihrer Schule wieder entriſſen worden, ohne jenes liebevolle Eingehen auf das zartere Spiel der Individualitäten, auf die hingebende Empfänglichkeit des Coteletts und auf den charakterfeſten Widerſtand des Roſtbeafs. Wahrlich, es fehlte die Frauenhand in dieſem fabriksmäßigen Geköche! Moorfeld zweifelte keinen Augenblick, daß nicht einmal die weibliche Dienerin, welche er ohnedies über Büchern gefunden, ſondern der Hausneger ſelbſt ſeine ſchwarze Hand in dieſem traurigen Spiele gehabt. Rohe Negerrache! grollte er ſich zu, nur daß die Weißen ſelbſt nicht fein genug ſind, ſie zu empfinden. In der That, von Feinheit war nicht die Rede hier. Die Art, wie die zarten Blumen der Menſchheit, die Damen nämlich, auf hei¬ ßen Maisbrodſchnitten gelbe Butter zerließen und es aßen, die Art

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/50
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/50>, abgerufen am 21.11.2024.