Der Waisenpfarrer -- denn dieser war es, dem die Seelsorge im Zuchthause oblag -- neigte sich mit freundlichem Lächeln zu ihm. Er hatte aus den verlegenen, halbverschluckten Worten des sonst sehr an¬ stelligen Burschen den rechten Kern herausgehört. So ist Er denn also jetzt frei, Friedrich? sagte er zu ihm. Ich wünsch' Ihm von Herzen Glück. Nun gebrauche Er aber auch seine Freiheit so, wie man eine Gottesgabe gebrauchen muß.
Ich versteh schon, Herr Waisenpfarrer! erwiderte der Jüngling, der mit der ersten Anrede seine Beengung weggesprochen und sich in ei¬ nen Ton bescheidener Zutraulichkeit hineingefunden hatte. Ich ver¬ steh schon. Das ist wie mit dem Wein. Der ist auch eine Gottesgabe. Wenn man aber solche Gottesgabe zu hart strapazirt, so wirft sie den Menschen hin, daß er gleichsam wie vierfüßig wird. Dagegen wenn man sie mit Maß genießt, so erfreut sie das Herz und macht helle Gedanken im Kopf. Grade so ist's auch mit der Freiheit. Wenn man von der über Durst trinkt, so kann sie Einen auch wohin werfen, wo zum Beispiel keine Freiheit mehr ist.
Bei diesen Worten wies er mit dem Daumen über die Schulter nach dem Gebäude, das er so eben verlassen hatte, und seine weißen Zähne blinkten lachend zwischen den kirschrothen Lippen hervor.
Ja, so ist's, mein Freund, versetzte der Geistliche. Man pflegt wohl zu sagen: ich nehme mir die Freiheit, das und das zu thun. Das ist nur so eine höfliche Redensart. Mancher aber nimmt sich mehr Freiheit, als er einem Andern gönnt, und thut einem Andern etwas, was er sich selbst nicht angethan wissen will. Das aber ist zu viel Freiheit, und Er weiß wohl, was zu viel ist, das ist vom Uebel. Eigentlich sollten wir unsere Freiheit bloß dazu anwenden, um einan¬ der lauter Liebes und Gutes zu thun; denn wenn die Menschen alle einander dienen würden, dann wäre ja ein Jeglicher so wie ein Die¬ ner auch wieder ein Herr, und dann wäre die wahre Freiheit in der Welt.
Ja, wenn Alle so wären, wie der Herr Waisenpfarrer, dann wär's keine Kunst, ihnen zu dienen. Aber so ist's nicht in der Welt. Da ist viel Herzenshärtigkeit und Schlechtigkeit, nicht bloß solche, die den Nebenmenschen übervortheilt, sondern auch Bosheit, die ihm ohne allen Grund die Milch sauer macht, und wenn man auf so einen Gift¬
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Der Waiſenpfarrer — denn dieſer war es, dem die Seelſorge im Zuchthauſe oblag — neigte ſich mit freundlichem Lächeln zu ihm. Er hatte aus den verlegenen, halbverſchluckten Worten des ſonſt ſehr an¬ ſtelligen Burſchen den rechten Kern herausgehört. So iſt Er denn alſo jetzt frei, Friedrich? ſagte er zu ihm. Ich wünſch' Ihm von Herzen Glück. Nun gebrauche Er aber auch ſeine Freiheit ſo, wie man eine Gottesgabe gebrauchen muß.
Ich verſteh ſchon, Herr Waiſenpfarrer! erwiderte der Jüngling, der mit der erſten Anrede ſeine Beengung weggeſprochen und ſich in ei¬ nen Ton beſcheidener Zutraulichkeit hineingefunden hatte. Ich ver¬ ſteh ſchon. Das iſt wie mit dem Wein. Der iſt auch eine Gottesgabe. Wenn man aber ſolche Gottesgabe zu hart ſtrapazirt, ſo wirft ſie den Menſchen hin, daß er gleichſam wie vierfüßig wird. Dagegen wenn man ſie mit Maß genießt, ſo erfreut ſie das Herz und macht helle Gedanken im Kopf. Grade ſo iſt's auch mit der Freiheit. Wenn man von der über Durſt trinkt, ſo kann ſie Einen auch wohin werfen, wo zum Beiſpiel keine Freiheit mehr iſt.
Bei dieſen Worten wies er mit dem Daumen über die Schulter nach dem Gebäude, das er ſo eben verlaſſen hatte, und ſeine weißen Zähne blinkten lachend zwiſchen den kirſchrothen Lippen hervor.
Ja, ſo iſt's, mein Freund, verſetzte der Geiſtliche. Man pflegt wohl zu ſagen: ich nehme mir die Freiheit, das und das zu thun. Das iſt nur ſo eine höfliche Redensart. Mancher aber nimmt ſich mehr Freiheit, als er einem Andern gönnt, und thut einem Andern etwas, was er ſich ſelbſt nicht angethan wiſſen will. Das aber iſt zu viel Freiheit, und Er weiß wohl, was zu viel iſt, das iſt vom Uebel. Eigentlich ſollten wir unſere Freiheit bloß dazu anwenden, um einan¬ der lauter Liebes und Gutes zu thun; denn wenn die Menſchen alle einander dienen würden, dann wäre ja ein Jeglicher ſo wie ein Die¬ ner auch wieder ein Herr, und dann wäre die wahre Freiheit in der Welt.
Ja, wenn Alle ſo wären, wie der Herr Waiſenpfarrer, dann wär's keine Kunſt, ihnen zu dienen. Aber ſo iſt's nicht in der Welt. Da iſt viel Herzenshärtigkeit und Schlechtigkeit, nicht bloß ſolche, die den Nebenmenſchen übervortheilt, ſondern auch Bosheit, die ihm ohne allen Grund die Milch ſauer macht, und wenn man auf ſo einen Gift¬
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Der Waiſenpfarrer — denn dieſer war es, dem die Seelſorge im
Zuchthauſe oblag — neigte ſich mit freundlichem Lächeln zu ihm. Er
hatte aus den verlegenen, halbverſchluckten Worten des ſonſt ſehr an¬
ſtelligen Burſchen den rechten Kern herausgehört. So iſt Er denn
alſo jetzt frei, Friedrich? ſagte er zu ihm. Ich wünſch' Ihm von
Herzen Glück. Nun gebrauche Er aber auch ſeine Freiheit ſo, wie
man eine Gottesgabe gebrauchen muß.
Ich verſteh ſchon, Herr Waiſenpfarrer! erwiderte der Jüngling, der
mit der erſten Anrede ſeine Beengung weggeſprochen und ſich in ei¬
nen Ton beſcheidener Zutraulichkeit hineingefunden hatte. Ich ver¬
ſteh ſchon. Das iſt wie mit dem Wein. Der iſt auch eine Gottesgabe.
Wenn man aber ſolche Gottesgabe zu hart ſtrapazirt, ſo wirft ſie
den Menſchen hin, daß er gleichſam wie vierfüßig wird. Dagegen
wenn man ſie mit Maß genießt, ſo erfreut ſie das Herz und macht
helle Gedanken im Kopf. Grade ſo iſt's auch mit der Freiheit. Wenn
man von der über Durſt trinkt, ſo kann ſie Einen auch wohin werfen,
wo zum Beiſpiel keine Freiheit mehr iſt.
Bei dieſen Worten wies er mit dem Daumen über die Schulter
nach dem Gebäude, das er ſo eben verlaſſen hatte, und ſeine weißen
Zähne blinkten lachend zwiſchen den kirſchrothen Lippen hervor.
Ja, ſo iſt's, mein Freund, verſetzte der Geiſtliche. Man pflegt wohl
zu ſagen: ich nehme mir die Freiheit, das und das zu thun. Das
iſt nur ſo eine höfliche Redensart. Mancher aber nimmt ſich mehr
Freiheit, als er einem Andern gönnt, und thut einem Andern etwas,
was er ſich ſelbſt nicht angethan wiſſen will. Das aber iſt zu viel
Freiheit, und Er weiß wohl, was zu viel iſt, das iſt vom Uebel.
Eigentlich ſollten wir unſere Freiheit bloß dazu anwenden, um einan¬
der lauter Liebes und Gutes zu thun; denn wenn die Menſchen alle
einander dienen würden, dann wäre ja ein Jeglicher ſo wie ein Die¬
ner auch wieder ein Herr, und dann wäre die wahre Freiheit in
der Welt.
Ja, wenn Alle ſo wären, wie der Herr Waiſenpfarrer, dann wär's
keine Kunſt, ihnen zu dienen. Aber ſo iſt's nicht in der Welt. Da
iſt viel Herzenshärtigkeit und Schlechtigkeit, nicht bloß ſolche, die den
Nebenmenſchen übervortheilt, ſondern auch Bosheit, die ihm ohne allen
Grund die Milch ſauer macht, und wenn man auf ſo einen Gift¬
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/19>, abgerufen am 21.11.2024.
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