michel trifft, so meint eben die Faust gleich, sie müsse ein Wörtlein mit ihm reden.
Mein Sohn, sagte der alte Geistliche, man hat den Verstand dazu, daß man der Faust nicht ihren Willen läßt. Und es kommt nur darauf an, daß man einem Menschen seine gute Seite abgewin¬ nen lernt. Eine gute Seite hat auch der Schlimmste. Wenn man aber einmal diese gefunden hat, so ist's als hätte man den Schlüssel zu einer sonst verschlossenen Thüre, und wenn man hineingeht, so trifft man oft auf Dinge, die man gar nicht hinter dieser Thüre ge¬ sucht hätte. Da ist zum Exempe ein gewisser Friedrich Schwan. Den hat man mir geschildert als einen rohen verworfenen Burschen, dessen Herz keiner guten Regung fähig sei -- Faust in Sack! die Leute urtheilen eben nach der Außenseite -- und wie ich Ihn nun selber kennen lernte, da fand ich in Ihm einen Menschen, dessen Herz wie ein wild aufgeschossenes Reis ist, trotzig und aufrührisch gegen jedes rauhe Lüftchen, weich und geschmeidig gegen jeden freundlichen Sonnenstrahl, einen Menschen, der gegen harte Worte und Behand¬ lungen störrisch bleibt, und den man mit Güte um den Finger wickeln kann. Ist's nicht so?
Ja, so ist's, Herr Waisenpfarrer, antwortete der junge Mensch ver¬ legen und gerührt.
Nun das ist aber auch keine Kunst, gegen Gute gut zu sein. Wenn's weiter nichts wäre als das, so würden wir ja durch die breite Pforte in den Himmel eingehen, statt durch die schmale.
Das ist wahr, Herr Waisenpfarrer, erwiderte der junge Mensch bedenklich. Aber wenn alle Menschen unterdiensthaft gegen einander waren, wie Sie vorhin gesagt haben, so wäre es gerade dasselbe Ding.
Allerdings. Aber da die Menschen im Allgemeinen bis jetzt nicht geneigt sind, uns die Himmelspforte so breit und bequem zu machen, so dürfen wir deßhalb der schmalen nicht untreu werden. Wir müs¬ sen gegen unsere Nebenmenschen gerade so liebreich und dienstfertig sein, wie sie eigentlich gegen uns sein sollten, unangesehen ob sie es sind oder nicht. Vielleicht gewinnen wir sie dadurch und bewegen sie, unser Beispiel nachzuahmen.
Ja, ja, Herr Waisenpfarrer, fiel der junge Mensch lebhaft ein, das ist gerade wie wenn ein ungebautes Stück Feld umgebrochen wer¬
michel trifft, ſo meint eben die Fauſt gleich, ſie müſſe ein Wörtlein mit ihm reden.
Mein Sohn, ſagte der alte Geiſtliche, man hat den Verſtand dazu, daß man der Fauſt nicht ihren Willen läßt. Und es kommt nur darauf an, daß man einem Menſchen ſeine gute Seite abgewin¬ nen lernt. Eine gute Seite hat auch der Schlimmſte. Wenn man aber einmal dieſe gefunden hat, ſo iſt's als hätte man den Schlüſſel zu einer ſonſt verſchloſſenen Thüre, und wenn man hineingeht, ſo trifft man oft auf Dinge, die man gar nicht hinter dieſer Thüre ge¬ ſucht hätte. Da iſt zum Exempe ein gewiſſer Friedrich Schwan. Den hat man mir geſchildert als einen rohen verworfenen Burſchen, deſſen Herz keiner guten Regung fähig ſei — Fauſt in Sack! die Leute urtheilen eben nach der Außenſeite — und wie ich Ihn nun ſelber kennen lernte, da fand ich in Ihm einen Menſchen, deſſen Herz wie ein wild aufgeſchoſſenes Reis iſt, trotzig und aufrühriſch gegen jedes rauhe Lüftchen, weich und geſchmeidig gegen jeden freundlichen Sonnenſtrahl, einen Menſchen, der gegen harte Worte und Behand¬ lungen ſtörriſch bleibt, und den man mit Güte um den Finger wickeln kann. Iſt's nicht ſo?
Ja, ſo iſt's, Herr Waiſenpfarrer, antwortete der junge Menſch ver¬ legen und gerührt.
Nun das iſt aber auch keine Kunſt, gegen Gute gut zu ſein. Wenn's weiter nichts wäre als das, ſo würden wir ja durch die breite Pforte in den Himmel eingehen, ſtatt durch die ſchmale.
Das iſt wahr, Herr Waiſenpfarrer, erwiderte der junge Menſch bedenklich. Aber wenn alle Menſchen unterdienſthaft gegen einander waren, wie Sie vorhin geſagt haben, ſo wäre es gerade daſſelbe Ding.
Allerdings. Aber da die Menſchen im Allgemeinen bis jetzt nicht geneigt ſind, uns die Himmelspforte ſo breit und bequem zu machen, ſo dürfen wir deßhalb der ſchmalen nicht untreu werden. Wir müſ¬ ſen gegen unſere Nebenmenſchen gerade ſo liebreich und dienſtfertig ſein, wie ſie eigentlich gegen uns ſein ſollten, unangeſehen ob ſie es ſind oder nicht. Vielleicht gewinnen wir ſie dadurch und bewegen ſie, unſer Beiſpiel nachzuahmen.
Ja, ja, Herr Waiſenpfarrer, fiel der junge Menſch lebhaft ein, das iſt gerade wie wenn ein ungebautes Stück Feld umgebrochen wer¬
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michel trifft, ſo meint eben die Fauſt gleich, ſie müſſe ein Wörtlein
mit ihm reden.
Mein Sohn, ſagte der alte Geiſtliche, man hat den Verſtand
dazu, daß man der Fauſt nicht ihren Willen läßt. Und es kommt
nur darauf an, daß man einem Menſchen ſeine gute Seite abgewin¬
nen lernt. Eine gute Seite hat auch der Schlimmſte. Wenn man
aber einmal dieſe gefunden hat, ſo iſt's als hätte man den Schlüſſel
zu einer ſonſt verſchloſſenen Thüre, und wenn man hineingeht, ſo
trifft man oft auf Dinge, die man gar nicht hinter dieſer Thüre ge¬
ſucht hätte. Da iſt zum Exempe ein gewiſſer Friedrich Schwan.
Den hat man mir geſchildert als einen rohen verworfenen Burſchen,
deſſen Herz keiner guten Regung fähig ſei — Fauſt in Sack! die
Leute urtheilen eben nach der Außenſeite — und wie ich Ihn nun
ſelber kennen lernte, da fand ich in Ihm einen Menſchen, deſſen Herz
wie ein wild aufgeſchoſſenes Reis iſt, trotzig und aufrühriſch gegen
jedes rauhe Lüftchen, weich und geſchmeidig gegen jeden freundlichen
Sonnenſtrahl, einen Menſchen, der gegen harte Worte und Behand¬
lungen ſtörriſch bleibt, und den man mit Güte um den Finger wickeln
kann. Iſt's nicht ſo?
Ja, ſo iſt's, Herr Waiſenpfarrer, antwortete der junge Menſch ver¬
legen und gerührt.
Nun das iſt aber auch keine Kunſt, gegen Gute gut zu ſein. Wenn's
weiter nichts wäre als das, ſo würden wir ja durch die breite Pforte
in den Himmel eingehen, ſtatt durch die ſchmale.
Das iſt wahr, Herr Waiſenpfarrer, erwiderte der junge Menſch
bedenklich. Aber wenn alle Menſchen unterdienſthaft gegen einander
waren, wie Sie vorhin geſagt haben, ſo wäre es gerade daſſelbe Ding.
Allerdings. Aber da die Menſchen im Allgemeinen bis jetzt nicht
geneigt ſind, uns die Himmelspforte ſo breit und bequem zu machen,
ſo dürfen wir deßhalb der ſchmalen nicht untreu werden. Wir müſ¬
ſen gegen unſere Nebenmenſchen gerade ſo liebreich und dienſtfertig
ſein, wie ſie eigentlich gegen uns ſein ſollten, unangeſehen ob ſie es
ſind oder nicht. Vielleicht gewinnen wir ſie dadurch und bewegen ſie,
unſer Beiſpiel nachzuahmen.
Ja, ja, Herr Waiſenpfarrer, fiel der junge Menſch lebhaft ein,
das iſt gerade wie wenn ein ungebautes Stück Feld umgebrochen wer¬
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/20>, abgerufen am 21.11.2024.
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