Antwort erhielt, trat er muthig ein und wünschte einen guten Mor¬ gen, blieb jedoch an der Thüre stehen. An dem Tische mit geschweiften Füßen, über welchem ein neugemaltes Bild der Justitia hing, saß der Pfarrer obenan, neben ihm der Amtmann, dann der Anwalt, der als Untergeordneter des Amtmanns die Schulzenstelle versah, nach diesem ein Mitglied des Gemeindegerichts und zuletzt der Heiligenpfleger. Diese zusammen bildeten das gemischte Collegium der Kirchencensur, dessen vorherrschend geistlicher Charakter, ungeachtet der weltlichen Bei¬ mischung, in seinem Namen und im Vorsitze des Pfarrers zu erkennen ist. Das Magistratsmitglied, das über dem Heiligenpfleger saß, blickte den Eintretenden besonders finster an: es war sein Vormund, der sich nicht wenig schämte, seinen Pflegesohn unter solchen Umständen im Verhör zu erblicken. Der Pfarrer räusperte sich. Tret' Er näher daher, sagte er. Friedrich trat einige Schritte vor. Es ist mir, be¬ gann der Pfarrer, von christlich denkenden Leuten, welchen Aergerniß in der Gemeinde leid ist, fürgebracht worden, wie daß die Christina, des Hans Jerg Müller's, Bauren, Tochter, im Geschrei sei, daß sie mit einem Kinde gehe. Als sie daher vor dieses löbliche Censurgericht fürgeladen worden, hat sie ihre Schwangerschaft nicht leugnen können, und auf Befragen, mit wem sie sich göttlichen und menschlichen Ge¬ setzen zum Trotz vergangen, hat sie Ihn als Vater zu ihrem Kind angegeben. Ist das wahr?
Ja, Herr Pfarrer und ihr Herren Richter! sagte Friedrich mit fester Stimme, so daß Alle einander betroffen ansahen und dann mit Abscheu auf den jungen Menschen blickten, der mit einem so unerhörten Tone seine Schuld bekannte. Die Freudigkeit, die aus seiner Stimme klang, wurde von diesen Männern, die in den herkömmlichen Bräu¬ chen und Sitten aufgewachsen waren, als eine schamlose Frechheit angesehen.
Hat Er keinen Verdacht, fuhr der Pfarrer fort, daß sie vielleicht noch mit andern Burschen zugehalten hat?
Nein, Herr Pfarrer, das hat meine Christine nicht gethan.
Seine Christine! sagte Friedrich's Vormund unwillig und höh¬ nisch zum Heiligenpfleger.
Sie gibt an, fuhr der Pfarrer fort, Er habe ihr die Ehe ver¬ sprochen. Ist das wahr?
Antwort erhielt, trat er muthig ein und wünſchte einen guten Mor¬ gen, blieb jedoch an der Thüre ſtehen. An dem Tiſche mit geſchweiften Füßen, über welchem ein neugemaltes Bild der Juſtitia hing, ſaß der Pfarrer obenan, neben ihm der Amtmann, dann der Anwalt, der als Untergeordneter des Amtmanns die Schulzenſtelle verſah, nach dieſem ein Mitglied des Gemeindegerichts und zuletzt der Heiligenpfleger. Dieſe zuſammen bildeten das gemiſchte Collegium der Kirchencenſur, deſſen vorherrſchend geiſtlicher Charakter, ungeachtet der weltlichen Bei¬ miſchung, in ſeinem Namen und im Vorſitze des Pfarrers zu erkennen iſt. Das Magiſtratsmitglied, das über dem Heiligenpfleger ſaß, blickte den Eintretenden beſonders finſter an: es war ſein Vormund, der ſich nicht wenig ſchämte, ſeinen Pflegeſohn unter ſolchen Umſtänden im Verhör zu erblicken. Der Pfarrer räuſperte ſich. Tret' Er näher daher, ſagte er. Friedrich trat einige Schritte vor. Es iſt mir, be¬ gann der Pfarrer, von chriſtlich denkenden Leuten, welchen Aergerniß in der Gemeinde leid iſt, fürgebracht worden, wie daß die Chriſtina, des Hans Jerg Müller's, Bauren, Tochter, im Geſchrei ſei, daß ſie mit einem Kinde gehe. Als ſie daher vor dieſes löbliche Cenſurgericht fürgeladen worden, hat ſie ihre Schwangerſchaft nicht leugnen können, und auf Befragen, mit wem ſie ſich göttlichen und menſchlichen Ge¬ ſetzen zum Trotz vergangen, hat ſie Ihn als Vater zu ihrem Kind angegeben. Iſt das wahr?
Ja, Herr Pfarrer und ihr Herren Richter! ſagte Friedrich mit feſter Stimme, ſo daß Alle einander betroffen anſahen und dann mit Abſcheu auf den jungen Menſchen blickten, der mit einem ſo unerhörten Tone ſeine Schuld bekannte. Die Freudigkeit, die aus ſeiner Stimme klang, wurde von dieſen Männern, die in den herkömmlichen Bräu¬ chen und Sitten aufgewachſen waren, als eine ſchamloſe Frechheit angeſehen.
Hat Er keinen Verdacht, fuhr der Pfarrer fort, daß ſie vielleicht noch mit andern Burſchen zugehalten hat?
Nein, Herr Pfarrer, das hat meine Chriſtine nicht gethan.
Seine Chriſtine! ſagte Friedrich's Vormund unwillig und höh¬ niſch zum Heiligenpfleger.
Sie gibt an, fuhr der Pfarrer fort, Er habe ihr die Ehe ver¬ ſprochen. Iſt das wahr?
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0201"n="185"/>
Antwort erhielt, trat er muthig ein und wünſchte einen guten Mor¬<lb/>
gen, blieb jedoch an der Thüre ſtehen. An dem Tiſche mit geſchweiften<lb/>
Füßen, über welchem ein neugemaltes Bild der Juſtitia hing, ſaß der<lb/>
Pfarrer obenan, neben ihm der Amtmann, dann der Anwalt, der als<lb/>
Untergeordneter des Amtmanns die Schulzenſtelle verſah, nach dieſem<lb/>
ein Mitglied des Gemeindegerichts und zuletzt der Heiligenpfleger.<lb/>
Dieſe zuſammen bildeten das gemiſchte Collegium der Kirchencenſur,<lb/>
deſſen vorherrſchend geiſtlicher Charakter, ungeachtet der weltlichen Bei¬<lb/>
miſchung, in ſeinem Namen und im Vorſitze des Pfarrers zu erkennen<lb/>
iſt. Das Magiſtratsmitglied, das über dem Heiligenpfleger ſaß, blickte<lb/>
den Eintretenden beſonders finſter an: es war ſein Vormund, der ſich<lb/>
nicht wenig ſchämte, ſeinen Pflegeſohn unter ſolchen Umſtänden im<lb/>
Verhör zu erblicken. Der Pfarrer räuſperte ſich. Tret' Er näher<lb/>
daher, ſagte er. Friedrich trat einige Schritte vor. Es iſt mir, be¬<lb/>
gann der Pfarrer, von chriſtlich denkenden Leuten, welchen Aergerniß<lb/>
in der Gemeinde leid iſt, fürgebracht worden, wie daß die Chriſtina,<lb/>
des Hans Jerg Müller's, Bauren, Tochter, im Geſchrei ſei, daß ſie<lb/>
mit einem Kinde gehe. Als ſie daher vor dieſes löbliche Cenſurgericht<lb/>
fürgeladen worden, hat ſie ihre Schwangerſchaft nicht leugnen können,<lb/>
und auf Befragen, mit wem ſie ſich göttlichen und menſchlichen Ge¬<lb/>ſetzen zum Trotz vergangen, hat ſie Ihn als Vater zu ihrem Kind<lb/>
angegeben. Iſt das wahr?</p><lb/><p>Ja, Herr Pfarrer und ihr Herren Richter! ſagte Friedrich mit<lb/>
feſter Stimme, ſo daß Alle einander betroffen anſahen und dann mit<lb/>
Abſcheu auf den jungen Menſchen blickten, der mit einem ſo unerhörten<lb/>
Tone ſeine Schuld bekannte. Die Freudigkeit, die aus ſeiner Stimme<lb/>
klang, wurde von dieſen Männern, die in den herkömmlichen Bräu¬<lb/>
chen und Sitten aufgewachſen waren, als eine ſchamloſe Frechheit<lb/>
angeſehen.</p><lb/><p>Hat Er keinen Verdacht, fuhr der Pfarrer fort, daß ſie vielleicht<lb/>
noch mit andern Burſchen zugehalten hat?</p><lb/><p>Nein, Herr Pfarrer, das hat meine Chriſtine nicht gethan.</p><lb/><p><hirendition="#g">Seine</hi> Chriſtine! ſagte Friedrich's Vormund unwillig und höh¬<lb/>
niſch zum Heiligenpfleger.</p><lb/><p>Sie gibt an, fuhr der Pfarrer fort, Er habe ihr die Ehe ver¬<lb/>ſprochen. Iſt das wahr?</p><lb/></div></body></text></TEI>
[185/0201]
Antwort erhielt, trat er muthig ein und wünſchte einen guten Mor¬
gen, blieb jedoch an der Thüre ſtehen. An dem Tiſche mit geſchweiften
Füßen, über welchem ein neugemaltes Bild der Juſtitia hing, ſaß der
Pfarrer obenan, neben ihm der Amtmann, dann der Anwalt, der als
Untergeordneter des Amtmanns die Schulzenſtelle verſah, nach dieſem
ein Mitglied des Gemeindegerichts und zuletzt der Heiligenpfleger.
Dieſe zuſammen bildeten das gemiſchte Collegium der Kirchencenſur,
deſſen vorherrſchend geiſtlicher Charakter, ungeachtet der weltlichen Bei¬
miſchung, in ſeinem Namen und im Vorſitze des Pfarrers zu erkennen
iſt. Das Magiſtratsmitglied, das über dem Heiligenpfleger ſaß, blickte
den Eintretenden beſonders finſter an: es war ſein Vormund, der ſich
nicht wenig ſchämte, ſeinen Pflegeſohn unter ſolchen Umſtänden im
Verhör zu erblicken. Der Pfarrer räuſperte ſich. Tret' Er näher
daher, ſagte er. Friedrich trat einige Schritte vor. Es iſt mir, be¬
gann der Pfarrer, von chriſtlich denkenden Leuten, welchen Aergerniß
in der Gemeinde leid iſt, fürgebracht worden, wie daß die Chriſtina,
des Hans Jerg Müller's, Bauren, Tochter, im Geſchrei ſei, daß ſie
mit einem Kinde gehe. Als ſie daher vor dieſes löbliche Cenſurgericht
fürgeladen worden, hat ſie ihre Schwangerſchaft nicht leugnen können,
und auf Befragen, mit wem ſie ſich göttlichen und menſchlichen Ge¬
ſetzen zum Trotz vergangen, hat ſie Ihn als Vater zu ihrem Kind
angegeben. Iſt das wahr?
Ja, Herr Pfarrer und ihr Herren Richter! ſagte Friedrich mit
feſter Stimme, ſo daß Alle einander betroffen anſahen und dann mit
Abſcheu auf den jungen Menſchen blickten, der mit einem ſo unerhörten
Tone ſeine Schuld bekannte. Die Freudigkeit, die aus ſeiner Stimme
klang, wurde von dieſen Männern, die in den herkömmlichen Bräu¬
chen und Sitten aufgewachſen waren, als eine ſchamloſe Frechheit
angeſehen.
Hat Er keinen Verdacht, fuhr der Pfarrer fort, daß ſie vielleicht
noch mit andern Burſchen zugehalten hat?
Nein, Herr Pfarrer, das hat meine Chriſtine nicht gethan.
Seine Chriſtine! ſagte Friedrich's Vormund unwillig und höh¬
niſch zum Heiligenpfleger.
Sie gibt an, fuhr der Pfarrer fort, Er habe ihr die Ehe ver¬
ſprochen. Iſt das wahr?
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/201>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.