Christine rieth ihm, sich in dieser Verlegenheit an die Bäckerin zu wenden; sie selbst hatte nicht das Herz dazu. Mit der Geduld, welche eine fortwährende Vereitlung eines fieberhaft betriebenen Planes manch¬ mal einflößen kann, begab er sich zu Christinens Base, deren Krank¬ heit so weit fortgeschritten war, daß sie den ganzen Tag regungslos im Lehnstuhle saß, und sprach sie um ein Darlehen an. Die Bäcke¬ rin, die der leidvollen Entwickelung des Liebesverhältnisses stets mit großer Theilnahme folgte, antwortete schmerzlich seufzend: Ich thät's gewiß gern, aber der Mein' läßt mir den Schlüssel zum Geld¬ kästle nicht über, und Ihr wisset ja selber, wie b'häb er ist. Sie sprachen noch miteinander, als der Knecht des obern Müllers in die Stube trat. Er hatte im Vorbeigehen durch das Fenster Friedrich's Anwesenheit bemerkt und kam herein, um einen Schoppen mit ihm zu trinken. Da, der Peter könnt' vielleicht aushelfen, sagte die Bäcke¬ rin: der hält sein' Lohn zusammen und hat doch auch zur rechten Zeit wieder eine offene Hand; was gilt's, der thut sein Sparhäfele auf? Der Knecht ließ sich erklären, um was es sich handle, und sagte, ja wohl, die paar Gulden gebe er gerne her. Friedrich konnte sich ohne Beleidigung nicht weigern sie anzunehmen, und doch drückte es ihn, daß er, der Sohn des reichen Sonnenwirths, zu einem Knechte, ob¬ wohl es sein guter Bekannter war, durch ein Darlehen von erspartem Lohne in Verpflichtung und Abhängigkeit treten sollte; und zwar drückte es ihn um so mehr, weil er wußte, daß der Knecht selbst, bei seiner gutmüthigen aber beschränkten Sinnesart, sich über diese Betrachtung nicht erheben konnte.
Da er aber nun einmal die Mittel in der Hand hatte, seine Sache in Stuttgart zu betreiben, so versäumte er es nicht, davon schleunigen Gebrauch zu machen. Christine war ihm an dem Abend, wo sie ihn zurückerwartete, einige Schritte vor den Flecken entgegen¬ gegangen. An derselben Stelle, wo sie auf beschneitem Wege einst von ihm Abschied genommen, saß sie nun unter einem Baume, von welchem schon einzelne herbstlich rothe Blätter zu fallen begannen, und erhob sich, als sie ihn die Straße daher wandern sah. Er war sehr befriedigt von dem Erfolge seiner Reise und erzählte ihr, man habe ihm versprochen, die Resolution auf sein Memorial solle ihm auf dem Fuße nachfolgen. Du weißt ja, sagte er, Schmieren und
Chriſtine rieth ihm, ſich in dieſer Verlegenheit an die Bäckerin zu wenden; ſie ſelbſt hatte nicht das Herz dazu. Mit der Geduld, welche eine fortwährende Vereitlung eines fieberhaft betriebenen Planes manch¬ mal einflößen kann, begab er ſich zu Chriſtinens Baſe, deren Krank¬ heit ſo weit fortgeſchritten war, daß ſie den ganzen Tag regungslos im Lehnſtuhle ſaß, und ſprach ſie um ein Darlehen an. Die Bäcke¬ rin, die der leidvollen Entwickelung des Liebesverhältniſſes ſtets mit großer Theilnahme folgte, antwortete ſchmerzlich ſeufzend: Ich thät's gewiß gern, aber der Mein' läßt mir den Schlüſſel zum Geld¬ käſtle nicht über, und Ihr wiſſet ja ſelber, wie b'häb er iſt. Sie ſprachen noch miteinander, als der Knecht des obern Müllers in die Stube trat. Er hatte im Vorbeigehen durch das Fenſter Friedrich's Anweſenheit bemerkt und kam herein, um einen Schoppen mit ihm zu trinken. Da, der Peter könnt' vielleicht aushelfen, ſagte die Bäcke¬ rin: der hält ſein' Lohn zuſammen und hat doch auch zur rechten Zeit wieder eine offene Hand; was gilt's, der thut ſein Sparhäfele auf? Der Knecht ließ ſich erklären, um was es ſich handle, und ſagte, ja wohl, die paar Gulden gebe er gerne her. Friedrich konnte ſich ohne Beleidigung nicht weigern ſie anzunehmen, und doch drückte es ihn, daß er, der Sohn des reichen Sonnenwirths, zu einem Knechte, ob¬ wohl es ſein guter Bekannter war, durch ein Darlehen von erſpartem Lohne in Verpflichtung und Abhängigkeit treten ſollte; und zwar drückte es ihn um ſo mehr, weil er wußte, daß der Knecht ſelbſt, bei ſeiner gutmüthigen aber beſchränkten Sinnesart, ſich über dieſe Betrachtung nicht erheben konnte.
Da er aber nun einmal die Mittel in der Hand hatte, ſeine Sache in Stuttgart zu betreiben, ſo verſäumte er es nicht, davon ſchleunigen Gebrauch zu machen. Chriſtine war ihm an dem Abend, wo ſie ihn zurückerwartete, einige Schritte vor den Flecken entgegen¬ gegangen. An derſelben Stelle, wo ſie auf beſchneitem Wege einſt von ihm Abſchied genommen, ſaß ſie nun unter einem Baume, von welchem ſchon einzelne herbſtlich rothe Blätter zu fallen begannen, und erhob ſich, als ſie ihn die Straße daher wandern ſah. Er war ſehr befriedigt von dem Erfolge ſeiner Reiſe und erzählte ihr, man habe ihm verſprochen, die Reſolution auf ſein Memorial ſolle ihm auf dem Fuße nachfolgen. Du weißt ja, ſagte er, Schmieren und
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Chriſtine rieth ihm, ſich in dieſer Verlegenheit an die Bäckerin zu
wenden; ſie ſelbſt hatte nicht das Herz dazu. Mit der Geduld, welche
eine fortwährende Vereitlung eines fieberhaft betriebenen Planes manch¬
mal einflößen kann, begab er ſich zu Chriſtinens Baſe, deren Krank¬
heit ſo weit fortgeſchritten war, daß ſie den ganzen Tag regungslos
im Lehnſtuhle ſaß, und ſprach ſie um ein Darlehen an. Die Bäcke¬
rin, die der leidvollen Entwickelung des Liebesverhältniſſes ſtets mit
großer Theilnahme folgte, antwortete ſchmerzlich ſeufzend: Ich
thät's gewiß gern, aber der Mein' läßt mir den Schlüſſel zum Geld¬
käſtle nicht über, und Ihr wiſſet ja ſelber, wie b'häb er iſt. Sie
ſprachen noch miteinander, als der Knecht des obern Müllers in die
Stube trat. Er hatte im Vorbeigehen durch das Fenſter Friedrich's
Anweſenheit bemerkt und kam herein, um einen Schoppen mit ihm
zu trinken. Da, der Peter könnt' vielleicht aushelfen, ſagte die Bäcke¬
rin: der hält ſein' Lohn zuſammen und hat doch auch zur rechten Zeit
wieder eine offene Hand; was gilt's, der thut ſein Sparhäfele auf?
Der Knecht ließ ſich erklären, um was es ſich handle, und ſagte, ja
wohl, die paar Gulden gebe er gerne her. Friedrich konnte ſich ohne
Beleidigung nicht weigern ſie anzunehmen, und doch drückte es ihn,
daß er, der Sohn des reichen Sonnenwirths, zu einem Knechte, ob¬
wohl es ſein guter Bekannter war, durch ein Darlehen von erſpartem
Lohne in Verpflichtung und Abhängigkeit treten ſollte; und zwar drückte
es ihn um ſo mehr, weil er wußte, daß der Knecht ſelbſt, bei ſeiner
gutmüthigen aber beſchränkten Sinnesart, ſich über dieſe Betrachtung
nicht erheben konnte.
Da er aber nun einmal die Mittel in der Hand hatte, ſeine
Sache in Stuttgart zu betreiben, ſo verſäumte er es nicht, davon
ſchleunigen Gebrauch zu machen. Chriſtine war ihm an dem Abend,
wo ſie ihn zurückerwartete, einige Schritte vor den Flecken entgegen¬
gegangen. An derſelben Stelle, wo ſie auf beſchneitem Wege einſt
von ihm Abſchied genommen, ſaß ſie nun unter einem Baume, von
welchem ſchon einzelne herbſtlich rothe Blätter zu fallen begannen,
und erhob ſich, als ſie ihn die Straße daher wandern ſah. Er
war ſehr befriedigt von dem Erfolge ſeiner Reiſe und erzählte ihr,
man habe ihm verſprochen, die Reſolution auf ſein Memorial ſolle
ihm auf dem Fuße nachfolgen. Du weißt ja, ſagte er, Schmieren und
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/231>, abgerufen am 21.11.2024.
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