Was! schrie der Sonnenwirth, so eine rechtschaffene Person ver¬ gleichst du in meinem Haus mit einer --
Vater! unterbrach ihn Friedrich mit dem Tone der Verzweiflung und stand auf: ich bitt' Euch um Gotteswillen, seht Euch vor und hütet Eure Zung'! Ich hab's einmal für allemal erklärt und ge¬ schworen, daß ich sie nicht 'runtersetzen und schlecht machen lass', weder von Vater noch Mutter. Sie ist mein Weib vor Gott, und was ich geschworen hab', das halt' ich, müßt' man auch in Ebersbach etwas er¬ leben, dergleichen seit Menschengedenken nicht geschehen ist.
O du blutrünstiger Heiland, er droht seinem leiblichen Vater! rief die Sonnenwirthin, indem sie die Hände zusammenschlug. Die Weiber stießen Laute des Grauens und Entsetzens aus.
Der Sonnenwirth, der sich gleichfalls erhoben hatte, stand in un¬ gewisser Haltung an die Stuhllehne angeklammert, schoß aber wüthende Blicke nach seinem Sohne. Er fürchtete ihn, weil er ihn zu Allem fähig glaubte, und eben diese Furcht erhöhte seine Wuth.
Vater, begann Friedrich wieder, nach der Wand deutend, wo neben dem Bilde des jungen Herzogs das Bild des Gekreuzigten hing, und seine Stimme, die er zu mildern suchte, zitterte: Vater, sehet Ihr Ihn, der nicht schalt, da er geschlagen ward, und nicht dräuete, da er litt? Ich will ihm ja gern nachfolgen, so gut ich's kann. Wälzet Berg' auf mich von Schimpf und Schmach, ich will nicht widerbellen, will's tragen als Euer Sohn. Aber auf mein Weib lass' ich nichts kommen, eh' mag das größt' Unglück draus entstehen. Und leset im Testament, Vater: hat Er nicht seine eigene Verwandtschaft verleugnet und gesagt, die seien seine Eltern, Brüder und Schwestern, die sein Wort hören und den Willen Gottes thun? Ist aber das Gottes Will', die Ar¬ muth verachten und unterdrücken? Und ist er nicht auch scharf ge¬ wesen? Hat er nicht mit der Geißel ausgefegt? Hat er nicht die ewig' höllisch' Verdammniß ausgegossen über die, so sein Volk betrübt und den Armen und Wittwen ihre Häuser gefressen und langes Gebet vorgewendet haben? Und was hat er gesagt, wie sie die Eh'brecherin vor ihn bracht haben, die doch gewiß eine größere Sünderin gewesen ist, als mein Weib? Wer unter euch ohne Sünde ist, hat er gesagt, der werfe den ersten Stein auf sie.
Was! ſchrie der Sonnenwirth, ſo eine rechtſchaffene Perſon ver¬ gleichſt du in meinem Haus mit einer —
Vater! unterbrach ihn Friedrich mit dem Tone der Verzweiflung und ſtand auf: ich bitt' Euch um Gotteswillen, ſeht Euch vor und hütet Eure Zung'! Ich hab's einmal für allemal erklärt und ge¬ ſchworen, daß ich ſie nicht 'runterſetzen und ſchlecht machen laſſ', weder von Vater noch Mutter. Sie iſt mein Weib vor Gott, und was ich geſchworen hab', das halt' ich, müßt' man auch in Ebersbach etwas er¬ leben, dergleichen ſeit Menſchengedenken nicht geſchehen iſt.
O du blutrünſtiger Heiland, er droht ſeinem leiblichen Vater! rief die Sonnenwirthin, indem ſie die Hände zuſammenſchlug. Die Weiber ſtießen Laute des Grauens und Entſetzens aus.
Der Sonnenwirth, der ſich gleichfalls erhoben hatte, ſtand in un¬ gewiſſer Haltung an die Stuhllehne angeklammert, ſchoß aber wüthende Blicke nach ſeinem Sohne. Er fürchtete ihn, weil er ihn zu Allem fähig glaubte, und eben dieſe Furcht erhöhte ſeine Wuth.
Vater, begann Friedrich wieder, nach der Wand deutend, wo neben dem Bilde des jungen Herzogs das Bild des Gekreuzigten hing, und ſeine Stimme, die er zu mildern ſuchte, zitterte: Vater, ſehet Ihr Ihn, der nicht ſchalt, da er geſchlagen ward, und nicht dräuete, da er litt? Ich will ihm ja gern nachfolgen, ſo gut ich's kann. Wälzet Berg' auf mich von Schimpf und Schmach, ich will nicht widerbellen, will's tragen als Euer Sohn. Aber auf mein Weib laſſ' ich nichts kommen, eh' mag das größt' Unglück draus entſtehen. Und leſet im Teſtament, Vater: hat Er nicht ſeine eigene Verwandtſchaft verleugnet und geſagt, die ſeien ſeine Eltern, Brüder und Schweſtern, die ſein Wort hören und den Willen Gottes thun? Iſt aber das Gottes Will', die Ar¬ muth verachten und unterdrücken? Und iſt er nicht auch ſcharf ge¬ weſen? Hat er nicht mit der Geißel ausgefegt? Hat er nicht die ewig' hölliſch' Verdammniß ausgegoſſen über die, ſo ſein Volk betrübt und den Armen und Wittwen ihre Häuſer gefreſſen und langes Gebet vorgewendet haben? Und was hat er geſagt, wie ſie die Eh'brecherin vor ihn bracht haben, die doch gewiß eine größere Sünderin geweſen iſt, als mein Weib? Wer unter euch ohne Sünde iſt, hat er geſagt, der werfe den erſten Stein auf ſie.
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Was! ſchrie der Sonnenwirth, ſo eine rechtſchaffene Perſon ver¬
gleichſt du in meinem Haus mit einer —
Vater! unterbrach ihn Friedrich mit dem Tone der Verzweiflung
und ſtand auf: ich bitt' Euch um Gotteswillen, ſeht Euch vor und
hütet Eure Zung'! Ich hab's einmal für allemal erklärt und ge¬
ſchworen, daß ich ſie nicht 'runterſetzen und ſchlecht machen laſſ', weder
von Vater noch Mutter. Sie iſt mein Weib vor Gott, und was ich
geſchworen hab', das halt' ich, müßt' man auch in Ebersbach etwas er¬
leben, dergleichen ſeit Menſchengedenken nicht geſchehen iſt.
O du blutrünſtiger Heiland, er droht ſeinem leiblichen Vater! rief
die Sonnenwirthin, indem ſie die Hände zuſammenſchlug. Die Weiber
ſtießen Laute des Grauens und Entſetzens aus.
Der Sonnenwirth, der ſich gleichfalls erhoben hatte, ſtand in un¬
gewiſſer Haltung an die Stuhllehne angeklammert, ſchoß aber wüthende
Blicke nach ſeinem Sohne. Er fürchtete ihn, weil er ihn zu Allem
fähig glaubte, und eben dieſe Furcht erhöhte ſeine Wuth.
Vater, begann Friedrich wieder, nach der Wand deutend, wo neben
dem Bilde des jungen Herzogs das Bild des Gekreuzigten hing, und
ſeine Stimme, die er zu mildern ſuchte, zitterte: Vater, ſehet Ihr Ihn,
der nicht ſchalt, da er geſchlagen ward, und nicht dräuete, da er litt?
Ich will ihm ja gern nachfolgen, ſo gut ich's kann. Wälzet Berg'
auf mich von Schimpf und Schmach, ich will nicht widerbellen, will's
tragen als Euer Sohn. Aber auf mein Weib laſſ' ich nichts kommen,
eh' mag das größt' Unglück draus entſtehen. Und leſet im Teſtament,
Vater: hat Er nicht ſeine eigene Verwandtſchaft verleugnet und geſagt,
die ſeien ſeine Eltern, Brüder und Schweſtern, die ſein Wort hören
und den Willen Gottes thun? Iſt aber das Gottes Will', die Ar¬
muth verachten und unterdrücken? Und iſt er nicht auch ſcharf ge¬
weſen? Hat er nicht mit der Geißel ausgefegt? Hat er nicht die
ewig' hölliſch' Verdammniß ausgegoſſen über die, ſo ſein Volk betrübt
und den Armen und Wittwen ihre Häuſer gefreſſen und langes Gebet
vorgewendet haben? Und was hat er geſagt, wie ſie die Eh'brecherin
vor ihn bracht haben, die doch gewiß eine größere Sünderin geweſen
iſt, als mein Weib? Wer unter euch ohne Sünde iſt, hat er geſagt,
der werfe den erſten Stein auf ſie.
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/272>, abgerufen am 21.11.2024.
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