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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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ja, ja! 's ist recht, ist ganz recht. -- Er wiederholte diese Worte
wohl ein Dutzendmal, während er langsam aus der Stube ging und
erst jetzt daran dachte, seinen verwundeten Arm mit der andern Hand
zusammenzuhalten.

Friedrich blieb allein und wie verhext in der Stube zurück. Er
blickte auf den Tisch, der so eben noch voll Menschen gewesen war,
dann auf das Messer in seiner Hand, dann auf das Bild des Ge¬
kreuzigten, zu dem er vorhin emporgedeutet und dem er nachzufolgen
gelobt hatte. War das eine Nachfolge? sagte eine Stimme in ihm.
Er hatte gelobt, jede Schmähung zu dulden, die nur über ihn selbst
ausgeschüttet würde, und dieser Arme hatte nicht einmal ihn, geschweige
Christinen geschmäht. Wenn auch seine Zunge vielleicht Schmähworte
beherbergt hatte, die nur durch den Stoß des Messers abgeschnitten
worden waren, wenn auch der herausfordernde überlegene Ton, womit
er ihm Entwaffnung geboten, sich, wie seine nachherigen Worte zu zei¬
gen schienen, auf eine Gefälligkeit berufen wollte, die zwar eine Ver¬
pflichtung, aber keine Abhängigkeit begründet, wenn auch ein christliches
Verzeihen ihm fremd und fern zu sein schien -- was war das Alles gegen
einen Mörderstreich? Stolz und Zorn -- dies sagte ihm die innere
Stimme mehr oder minder klar -- hatten ihn in einem Augenblicke
zu dem Gegentheil von dem gemacht, was er den Augenblick vorher
zu sein sich vermessen hatte.

Indessen blieb ihm wenig Zeit, solchen Gedanken nachzuhängen.
Der Lärm vor dem Hause wurde stärker und die Anzahl der Stim¬
men mehrte sich. Er hörte den Knecht, dessen Betäubung allmählich
in Wuth überzugehen schien, aus den andern Stimmen heraus brüllen:
Er ist nicht bloß ein Mörder, er ist auch ein Dieb! sein eigener Vater
hat ihn 'n Dieb geheißen! -- Ja, schrie die gellende Stimme der Sonnen¬
wirthin, er hat seinem Vater Frucht gestohlen und an sein Mensch
gehängt. -- Man muß seiner habhaft werden! rief eine neue Stimme,
an welcher er den Amtmann erkannte. -- Ja! gellte die Stimme der
Sonnenwirthin, kriegen muß man ihn, und wenn man das Haus an¬
zünden müßt'! -- Bald konnte er auch durch die offen gebliebene Thüre
Tritte im Hausgang und auf dem untern Treppenabsatz vernehmen.
Die Verfolger kamen. Das Bewußtsein, daß er es mit aufgebrachten,
wüthenden Menschen zu thun habe, entflammte auch in ihm, der kaum

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ja, ja! 's iſt recht, iſt ganz recht. — Er wiederholte dieſe Worte
wohl ein Dutzendmal, während er langſam aus der Stube ging und
erſt jetzt daran dachte, ſeinen verwundeten Arm mit der andern Hand
zuſammenzuhalten.

Friedrich blieb allein und wie verhext in der Stube zurück. Er
blickte auf den Tiſch, der ſo eben noch voll Menſchen geweſen war,
dann auf das Meſſer in ſeiner Hand, dann auf das Bild des Ge¬
kreuzigten, zu dem er vorhin emporgedeutet und dem er nachzufolgen
gelobt hatte. War das eine Nachfolge? ſagte eine Stimme in ihm.
Er hatte gelobt, jede Schmähung zu dulden, die nur über ihn ſelbſt
ausgeſchüttet würde, und dieſer Arme hatte nicht einmal ihn, geſchweige
Chriſtinen geſchmäht. Wenn auch ſeine Zunge vielleicht Schmähworte
beherbergt hatte, die nur durch den Stoß des Meſſers abgeſchnitten
worden waren, wenn auch der herausfordernde überlegene Ton, womit
er ihm Entwaffnung geboten, ſich, wie ſeine nachherigen Worte zu zei¬
gen ſchienen, auf eine Gefälligkeit berufen wollte, die zwar eine Ver¬
pflichtung, aber keine Abhängigkeit begründet, wenn auch ein chriſtliches
Verzeihen ihm fremd und fern zu ſein ſchien — was war das Alles gegen
einen Mörderſtreich? Stolz und Zorn — dies ſagte ihm die innere
Stimme mehr oder minder klar — hatten ihn in einem Augenblicke
zu dem Gegentheil von dem gemacht, was er den Augenblick vorher
zu ſein ſich vermeſſen hatte.

Indeſſen blieb ihm wenig Zeit, ſolchen Gedanken nachzuhängen.
Der Lärm vor dem Hauſe wurde ſtärker und die Anzahl der Stim¬
men mehrte ſich. Er hörte den Knecht, deſſen Betäubung allmählich
in Wuth überzugehen ſchien, aus den andern Stimmen heraus brüllen:
Er iſt nicht bloß ein Mörder, er iſt auch ein Dieb! ſein eigener Vater
hat ihn 'n Dieb geheißen! — Ja, ſchrie die gellende Stimme der Sonnen¬
wirthin, er hat ſeinem Vater Frucht geſtohlen und an ſein Menſch
gehängt. — Man muß ſeiner habhaft werden! rief eine neue Stimme,
an welcher er den Amtmann erkannte. — Ja! gellte die Stimme der
Sonnenwirthin, kriegen muß man ihn, und wenn man das Haus an¬
zünden müßt'! — Bald konnte er auch durch die offen gebliebene Thüre
Tritte im Hausgang und auf dem untern Treppenabſatz vernehmen.
Die Verfolger kamen. Das Bewußtſein, daß er es mit aufgebrachten,
wüthenden Menſchen zu thun habe, entflammte auch in ihm, der kaum

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[259/0275] ja, ja! 's iſt recht, iſt ganz recht. — Er wiederholte dieſe Worte wohl ein Dutzendmal, während er langſam aus der Stube ging und erſt jetzt daran dachte, ſeinen verwundeten Arm mit der andern Hand zuſammenzuhalten. Friedrich blieb allein und wie verhext in der Stube zurück. Er blickte auf den Tiſch, der ſo eben noch voll Menſchen geweſen war, dann auf das Meſſer in ſeiner Hand, dann auf das Bild des Ge¬ kreuzigten, zu dem er vorhin emporgedeutet und dem er nachzufolgen gelobt hatte. War das eine Nachfolge? ſagte eine Stimme in ihm. Er hatte gelobt, jede Schmähung zu dulden, die nur über ihn ſelbſt ausgeſchüttet würde, und dieſer Arme hatte nicht einmal ihn, geſchweige Chriſtinen geſchmäht. Wenn auch ſeine Zunge vielleicht Schmähworte beherbergt hatte, die nur durch den Stoß des Meſſers abgeſchnitten worden waren, wenn auch der herausfordernde überlegene Ton, womit er ihm Entwaffnung geboten, ſich, wie ſeine nachherigen Worte zu zei¬ gen ſchienen, auf eine Gefälligkeit berufen wollte, die zwar eine Ver¬ pflichtung, aber keine Abhängigkeit begründet, wenn auch ein chriſtliches Verzeihen ihm fremd und fern zu ſein ſchien — was war das Alles gegen einen Mörderſtreich? Stolz und Zorn — dies ſagte ihm die innere Stimme mehr oder minder klar — hatten ihn in einem Augenblicke zu dem Gegentheil von dem gemacht, was er den Augenblick vorher zu ſein ſich vermeſſen hatte. Indeſſen blieb ihm wenig Zeit, ſolchen Gedanken nachzuhängen. Der Lärm vor dem Hauſe wurde ſtärker und die Anzahl der Stim¬ men mehrte ſich. Er hörte den Knecht, deſſen Betäubung allmählich in Wuth überzugehen ſchien, aus den andern Stimmen heraus brüllen: Er iſt nicht bloß ein Mörder, er iſt auch ein Dieb! ſein eigener Vater hat ihn 'n Dieb geheißen! — Ja, ſchrie die gellende Stimme der Sonnen¬ wirthin, er hat ſeinem Vater Frucht geſtohlen und an ſein Menſch gehängt. — Man muß ſeiner habhaft werden! rief eine neue Stimme, an welcher er den Amtmann erkannte. — Ja! gellte die Stimme der Sonnenwirthin, kriegen muß man ihn, und wenn man das Haus an¬ zünden müßt'! — Bald konnte er auch durch die offen gebliebene Thüre Tritte im Hausgang und auf dem untern Treppenabſatz vernehmen. Die Verfolger kamen. Das Bewußtſein, daß er es mit aufgebrachten, wüthenden Menſchen zu thun habe, entflammte auch in ihm, der kaum 17 *

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/275>, abgerufen am 22.11.2024.