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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Das hätt' freilich den besten Mann verzürnen können, unterbrach
sie ihn begütigend.

Zuerst, fuhr er heftig fort, stecken sie mich um nichts und wieder
nichts auf anderthalb Jahr in's Zuchthaus. Wie ich das überstanden
hab' und in's bürgerliche Leben zurückkehren will, so nimmt kein Hund
mehr ein Stück Brod aus meiner Hand. Da hab' ich erst gesehen,
daß meine beide frühere Zuchthausstrafen für nichts geachtet worden
sind; aber die dritte, die hat dem Faß den Boden ausgeschlagen. In
meines Vaters Haus hab' ich mehr wie ein Vagabund auf dem Heu
und Stroh als wie ein Kind im anererbten Bett geschlafen. Mein
Mütterlich's, hat mir mein Pfleger mit Lachen gesagt, sei über den
Prozeß-, und Ersatz- und Zuchthauskosten drauf gegangen, und so hat
mir meine Volljährigkeit nichts mehr geholfen. Rechnung hat man
mir gar nicht abgelegt und mein Vater hat mich dabei im Stich ge¬
lassen: mein Pfleger, hat er gesagt, sei eben einmal ein Herr auf dem
Rathhaus, und mit diesem müsse man delicat verfahren. Ich hoff'
ihm noch eine besondere Delicatesse anzuthun. Die Metzger, bei denen
ich als Knecht hab' herum schaffen wollen, haben mehr oder weniger
deutlich das Kreuz vor mir geschlagen. Weil man mir nun von Haus
aus gar keinen Vorspann geleistet, vielmehr immer noch Fußangeln in
den Weg geworfen hat, so hab' ich um so mehr drauf pressirt, daß
es zwischen uns Beiden endlich zum Heirathen käme; denn abgesehen
davon, daß mir's ohnehin angelegen gewesen ist, so hab' ich gedenkt,
wenn die Leute sehen, daß ich gegen meinen Schatz ehrlich bin und
dem ledigen Leben mit seinen Lumpenstreichen Valet sage, so werden
sie mir nach und nach auch wieder Vertrauen schenken. Aber ich brauch'
dir ja nicht lang vorzumalen, wie uns das fehlgeschlagen hat. Der
alte Pfarrer, der Eiferer und Polterer, steht mir jetzt vergleichsweise als
ein Ehrenmann da: der neue aber, den ich bei meiner Zurückkunft
von Ludwigsburg angetroffen hab', ist vollends der ganz gemeine
Kanzelmelker, der bloß rechnet, wie viel Gulden und Kreuzer ihm das
Evangelium trägt und was er aus seinen Verrichtungen für Profit
herauspressen kann. Die dritte Proclamation haben wir mit Leichtig¬
keit von ihm erlangt -- um Geld und gute Worte; nur daß ich um
des spöttlich mitleidigen Tones willen, mit dem er unsre Namen ablas,
ihm das Gesangbuch hätt' an den Kopf werfen mögen. Dann aber

Das hätt' freilich den beſten Mann verzürnen können, unterbrach
ſie ihn begütigend.

Zuerſt, fuhr er heftig fort, ſtecken ſie mich um nichts und wieder
nichts auf anderthalb Jahr in's Zuchthaus. Wie ich das überſtanden
hab' und in's bürgerliche Leben zurückkehren will, ſo nimmt kein Hund
mehr ein Stück Brod aus meiner Hand. Da hab' ich erſt geſehen,
daß meine beide frühere Zuchthausſtrafen für nichts geachtet worden
ſind; aber die dritte, die hat dem Faß den Boden ausgeſchlagen. In
meines Vaters Haus hab' ich mehr wie ein Vagabund auf dem Heu
und Stroh als wie ein Kind im anererbten Bett geſchlafen. Mein
Mütterlich's, hat mir mein Pfleger mit Lachen geſagt, ſei über den
Prozeß-, und Erſatz- und Zuchthauskoſten drauf gegangen, und ſo hat
mir meine Volljährigkeit nichts mehr geholfen. Rechnung hat man
mir gar nicht abgelegt und mein Vater hat mich dabei im Stich ge¬
laſſen: mein Pfleger, hat er geſagt, ſei eben einmal ein Herr auf dem
Rathhaus, und mit dieſem müſſe man delicat verfahren. Ich hoff'
ihm noch eine beſondere Delicateſſe anzuthun. Die Metzger, bei denen
ich als Knecht hab' herum ſchaffen wollen, haben mehr oder weniger
deutlich das Kreuz vor mir geſchlagen. Weil man mir nun von Haus
aus gar keinen Vorſpann geleiſtet, vielmehr immer noch Fußangeln in
den Weg geworfen hat, ſo hab' ich um ſo mehr drauf preſſirt, daß
es zwiſchen uns Beiden endlich zum Heirathen käme; denn abgeſehen
davon, daß mir's ohnehin angelegen geweſen iſt, ſo hab' ich gedenkt,
wenn die Leute ſehen, daß ich gegen meinen Schatz ehrlich bin und
dem ledigen Leben mit ſeinen Lumpenſtreichen Valet ſage, ſo werden
ſie mir nach und nach auch wieder Vertrauen ſchenken. Aber ich brauch'
dir ja nicht lang vorzumalen, wie uns das fehlgeſchlagen hat. Der
alte Pfarrer, der Eiferer und Polterer, ſteht mir jetzt vergleichsweiſe als
ein Ehrenmann da: der neue aber, den ich bei meiner Zurückkunft
von Ludwigsburg angetroffen hab', iſt vollends der ganz gemeine
Kanzelmelker, der bloß rechnet, wie viel Gulden und Kreuzer ihm das
Evangelium trägt und was er aus ſeinen Verrichtungen für Profit
herauspreſſen kann. Die dritte Proclamation haben wir mit Leichtig¬
keit von ihm erlangt — um Geld und gute Worte; nur daß ich um
des ſpöttlich mitleidigen Tones willen, mit dem er unſre Namen ablas,
ihm das Geſangbuch hätt' an den Kopf werfen mögen. Dann aber

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[292/0308] Das hätt' freilich den beſten Mann verzürnen können, unterbrach ſie ihn begütigend. Zuerſt, fuhr er heftig fort, ſtecken ſie mich um nichts und wieder nichts auf anderthalb Jahr in's Zuchthaus. Wie ich das überſtanden hab' und in's bürgerliche Leben zurückkehren will, ſo nimmt kein Hund mehr ein Stück Brod aus meiner Hand. Da hab' ich erſt geſehen, daß meine beide frühere Zuchthausſtrafen für nichts geachtet worden ſind; aber die dritte, die hat dem Faß den Boden ausgeſchlagen. In meines Vaters Haus hab' ich mehr wie ein Vagabund auf dem Heu und Stroh als wie ein Kind im anererbten Bett geſchlafen. Mein Mütterlich's, hat mir mein Pfleger mit Lachen geſagt, ſei über den Prozeß-, und Erſatz- und Zuchthauskoſten drauf gegangen, und ſo hat mir meine Volljährigkeit nichts mehr geholfen. Rechnung hat man mir gar nicht abgelegt und mein Vater hat mich dabei im Stich ge¬ laſſen: mein Pfleger, hat er geſagt, ſei eben einmal ein Herr auf dem Rathhaus, und mit dieſem müſſe man delicat verfahren. Ich hoff' ihm noch eine beſondere Delicateſſe anzuthun. Die Metzger, bei denen ich als Knecht hab' herum ſchaffen wollen, haben mehr oder weniger deutlich das Kreuz vor mir geſchlagen. Weil man mir nun von Haus aus gar keinen Vorſpann geleiſtet, vielmehr immer noch Fußangeln in den Weg geworfen hat, ſo hab' ich um ſo mehr drauf preſſirt, daß es zwiſchen uns Beiden endlich zum Heirathen käme; denn abgeſehen davon, daß mir's ohnehin angelegen geweſen iſt, ſo hab' ich gedenkt, wenn die Leute ſehen, daß ich gegen meinen Schatz ehrlich bin und dem ledigen Leben mit ſeinen Lumpenſtreichen Valet ſage, ſo werden ſie mir nach und nach auch wieder Vertrauen ſchenken. Aber ich brauch' dir ja nicht lang vorzumalen, wie uns das fehlgeſchlagen hat. Der alte Pfarrer, der Eiferer und Polterer, ſteht mir jetzt vergleichsweiſe als ein Ehrenmann da: der neue aber, den ich bei meiner Zurückkunft von Ludwigsburg angetroffen hab', iſt vollends der ganz gemeine Kanzelmelker, der bloß rechnet, wie viel Gulden und Kreuzer ihm das Evangelium trägt und was er aus ſeinen Verrichtungen für Profit herauspreſſen kann. Die dritte Proclamation haben wir mit Leichtig¬ keit von ihm erlangt — um Geld und gute Worte; nur daß ich um des ſpöttlich mitleidigen Tones willen, mit dem er unſre Namen ablas, ihm das Geſangbuch hätt' an den Kopf werfen mögen. Dann aber

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/308>, abgerufen am 22.11.2024.