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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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ein Halt geboten hat. Selbst im Kriege, besonders wenn der Einzelne
dem Einzelnen gegenüber steht, wird es oft der mordgewohnten Hand
schwer, einen neuen Mord zu begehen. Nur die Henker sind von jener
inneren Macht so fürchterlich verlassen, daß sie mit kaltem Blute die
Rache der Gesellschaft an einem rohen Verletzer einer rohen Ordnung
vollziehen können. Und oft selbst diese nicht!

Kampf und Wuth und Schrecken umnebelten den Geist des aus¬
gestoßenen Sohnes der Gesellschaft, der sich vergebens beredete, daß er mit
kaltem Blute in dem Kriege, welcher gegen ihn geführt wurde, seinen
Feind niederschießen könne. Seine Rachegedanken waren ihm wüst und
unklar durch die Seele gegangen; sie schwanden hin und gänzliche Verwir¬
rung seiner Sinne blieb zurück, in welcher nichts von Haß und Rache,
nichts von Bewußtsein mehr war, in welcher nur jene dunkle Stimme
fort und fort flüsterte: Thu's! thu's! du mußt es thun!

Der Schuß krachte über das Thal hinüber, der Hirsch war mit
einem Satze verschwunden, und der Rauch, der von dem Gewehr auf¬
stieg, verhüllte den friedlich blauen Himmel einen Augenblick. Obgleich
von oben nach unten versendet, hatte der Schuß nicht gefehlt. Der
Mörder hörte und sah, während der Rauch sich verzog, wie sein Opfer
aus der gebückten Stellung sich aufrichtete, die Hand auf den Unter¬
leib drückte und ausrief: O du verfluchter Hund -- er hat mich ge¬
troffen! Der Gefährte des Fischers eilte hinzu und riß ihn, noch er¬
schrockener als der Getroffene, mit sich an den Weg hinab, auf welchem
er, beständig den Kopf geduckt haltend, mit ihm fortrannte. Der
Mörder schritt an seiner Bergsette weiter vor gegen das Thal hinaus
und sah mit stumpfer Theilnahme, mit einer seltsamen Art von Neu¬
gier aus der Höhe zu, wie die Beiden gegen das offene Thal hinaus¬
liefen, wie der Fischer, den seine Eingeweide zu brennen schienen, von
seinem Genossen unterstützt aus dem Bache trank, und wie den Zusammen¬
sinkenden ein draußen vorbeikommender Wagen aufnahm. Die Leute
liefen im Thale von den Feldern zusammen und er hörte in seiner
waldigen Höhe das Geschrei: Meuchelmord!

Es wurde still in dem engen Thal des Todes, so still, daß alle Hirsche
des Waldes sich darin hätten versammeln können. Nach einiger Zeit
kam eine Kuh langsam aus dem Walde den Weg daher. Sie mochte
sich von einer nahen, im Walde gelegenen Weide hierher verloren

ein Halt geboten hat. Selbſt im Kriege, beſonders wenn der Einzelne
dem Einzelnen gegenüber ſteht, wird es oft der mordgewohnten Hand
ſchwer, einen neuen Mord zu begehen. Nur die Henker ſind von jener
inneren Macht ſo fürchterlich verlaſſen, daß ſie mit kaltem Blute die
Rache der Geſellſchaft an einem rohen Verletzer einer rohen Ordnung
vollziehen können. Und oft ſelbſt dieſe nicht!

Kampf und Wuth und Schrecken umnebelten den Geiſt des aus¬
geſtoßenen Sohnes der Geſellſchaft, der ſich vergebens beredete, daß er mit
kaltem Blute in dem Kriege, welcher gegen ihn geführt wurde, ſeinen
Feind niederſchießen könne. Seine Rachegedanken waren ihm wüſt und
unklar durch die Seele gegangen; ſie ſchwanden hin und gänzliche Verwir¬
rung ſeiner Sinne blieb zurück, in welcher nichts von Haß und Rache,
nichts von Bewußtſein mehr war, in welcher nur jene dunkle Stimme
fort und fort flüſterte: Thu's! thu's! du mußt es thun!

Der Schuß krachte über das Thal hinüber, der Hirſch war mit
einem Satze verſchwunden, und der Rauch, der von dem Gewehr auf¬
ſtieg, verhüllte den friedlich blauen Himmel einen Augenblick. Obgleich
von oben nach unten verſendet, hatte der Schuß nicht gefehlt. Der
Mörder hörte und ſah, während der Rauch ſich verzog, wie ſein Opfer
aus der gebückten Stellung ſich aufrichtete, die Hand auf den Unter¬
leib drückte und ausrief: O du verfluchter Hund — er hat mich ge¬
troffen! Der Gefährte des Fiſchers eilte hinzu und riß ihn, noch er¬
ſchrockener als der Getroffene, mit ſich an den Weg hinab, auf welchem
er, beſtändig den Kopf geduckt haltend, mit ihm fortrannte. Der
Mörder ſchritt an ſeiner Bergſette weiter vor gegen das Thal hinaus
und ſah mit ſtumpfer Theilnahme, mit einer ſeltſamen Art von Neu¬
gier aus der Höhe zu, wie die Beiden gegen das offene Thal hinaus¬
liefen, wie der Fiſcher, den ſeine Eingeweide zu brennen ſchienen, von
ſeinem Genoſſen unterſtützt aus dem Bache trank, und wie den Zuſammen¬
ſinkenden ein draußen vorbeikommender Wagen aufnahm. Die Leute
liefen im Thale von den Feldern zuſammen und er hörte in ſeiner
waldigen Höhe das Geſchrei: Meuchelmord!

Es wurde ſtill in dem engen Thal des Todes, ſo ſtill, daß alle Hirſche
des Waldes ſich darin hätten verſammeln können. Nach einiger Zeit
kam eine Kuh langſam aus dem Walde den Weg daher. Sie mochte
ſich von einer nahen, im Walde gelegenen Weide hierher verloren

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[438/0454] ein Halt geboten hat. Selbſt im Kriege, beſonders wenn der Einzelne dem Einzelnen gegenüber ſteht, wird es oft der mordgewohnten Hand ſchwer, einen neuen Mord zu begehen. Nur die Henker ſind von jener inneren Macht ſo fürchterlich verlaſſen, daß ſie mit kaltem Blute die Rache der Geſellſchaft an einem rohen Verletzer einer rohen Ordnung vollziehen können. Und oft ſelbſt dieſe nicht! Kampf und Wuth und Schrecken umnebelten den Geiſt des aus¬ geſtoßenen Sohnes der Geſellſchaft, der ſich vergebens beredete, daß er mit kaltem Blute in dem Kriege, welcher gegen ihn geführt wurde, ſeinen Feind niederſchießen könne. Seine Rachegedanken waren ihm wüſt und unklar durch die Seele gegangen; ſie ſchwanden hin und gänzliche Verwir¬ rung ſeiner Sinne blieb zurück, in welcher nichts von Haß und Rache, nichts von Bewußtſein mehr war, in welcher nur jene dunkle Stimme fort und fort flüſterte: Thu's! thu's! du mußt es thun! Der Schuß krachte über das Thal hinüber, der Hirſch war mit einem Satze verſchwunden, und der Rauch, der von dem Gewehr auf¬ ſtieg, verhüllte den friedlich blauen Himmel einen Augenblick. Obgleich von oben nach unten verſendet, hatte der Schuß nicht gefehlt. Der Mörder hörte und ſah, während der Rauch ſich verzog, wie ſein Opfer aus der gebückten Stellung ſich aufrichtete, die Hand auf den Unter¬ leib drückte und ausrief: O du verfluchter Hund — er hat mich ge¬ troffen! Der Gefährte des Fiſchers eilte hinzu und riß ihn, noch er¬ ſchrockener als der Getroffene, mit ſich an den Weg hinab, auf welchem er, beſtändig den Kopf geduckt haltend, mit ihm fortrannte. Der Mörder ſchritt an ſeiner Bergſette weiter vor gegen das Thal hinaus und ſah mit ſtumpfer Theilnahme, mit einer ſeltſamen Art von Neu¬ gier aus der Höhe zu, wie die Beiden gegen das offene Thal hinaus¬ liefen, wie der Fiſcher, den ſeine Eingeweide zu brennen ſchienen, von ſeinem Genoſſen unterſtützt aus dem Bache trank, und wie den Zuſammen¬ ſinkenden ein draußen vorbeikommender Wagen aufnahm. Die Leute liefen im Thale von den Feldern zuſammen und er hörte in ſeiner waldigen Höhe das Geſchrei: Meuchelmord! Es wurde ſtill in dem engen Thal des Todes, ſo ſtill, daß alle Hirſche des Waldes ſich darin hätten verſammeln können. Nach einiger Zeit kam eine Kuh langſam aus dem Walde den Weg daher. Sie mochte ſich von einer nahen, im Walde gelegenen Weide hierher verloren

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/454>, abgerufen am 22.11.2024.