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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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kauft habe, sondern eher den Dienst aufgegeben als sich zum "Scha¬
tulliren" erniedrigt haben würde; aber eine innerliche Auffassung des
Lebensbildes, das die Untersuchung vor ihm entrollte, in den Acten
niederzulegen, war nicht seines Amtes, und gleich das erste Protokoll
zeigt, daß er Inquirent genug war, sich das überraschend freiwillige
Entgegenkommen seines Gefangenen -- dem er nicht so leicht beigekom¬
men wäre, wenn dieser nicht selbst, gebrochenen Gemüths, ihm seine
Seele in die Hände gelegt hätte --nach den Quadrangeln des Inqui¬
sitionsprocesses zurecht zu machen; ein Verfahren freilich, das ihm
weniger als seiner Zeit und seinem Amte angehört.

Der Oberamtmann hatte einen Sohn, der den Verbrecher täglich,
wenn er in's Verhör geführt wurde, sah, die allgemeine Theilnahme
der Stadt an den vielen freundlichen Seiten im Wesen des Unglück¬
lichen mitempfand und sich häufig mit ihm unterhielt. Die Familien¬
sage erzählt von ihm, daß er schon als Knabe, wie später noch im
Mannesalter, für Cato und Brutus, als die größten Männer, ge¬
schwärmt habe. Aus dem Munde dieses Knaben erfuhr der gefallene
Sohn des Volkes ohne Zweifel zum erstenmal in seinem Leben, daß
es in der Geschichte Bürger gegeben habe, welche die Retter oder
Verderber ihres Vaterlandes wurden. Als der Knabe ein Mann ge¬
worden war und an der hohen Schule seines Herzogs junge Männer
bilden half, erinnerte er sich des armen Friedrich Schwan und zeich¬
nete nach der Erinnerung seine Geschichte auf, wie er sie aus seinem
Munde und aus der Nacherzählung erwachsener Männer vernommen
hatte. Seine römischen Helden schwebten ihm auch bei dieser Auf¬
zeichnung vor, und er beginnt die ersten Zeilen derselben mit den
Worten, der junge Friedrich sei mit außerordentlichen Anlagen des
Geistes ausgestattet gewesen, habe den Keim jeder großen Tugend
und jedes großen Lasters in sich getragen, und nur von der äußer¬
lichen Lage habe es abgehangen, ob er Brutus oder Catilina werden
sollte. Ach, die äußerliche Lage war, wie auch die Umstände beschaffen
sein mochten, jedenfalls von der Art, daß er das Eine wie das Andere
nur in sehr beschränktem Sinne werden konnte. Auch in andern
Dingen ist diese Geschichte nach dem mangelhaften Geist und Ge¬
schmack der Zeit geschrieben; doch verhält sie sich zu den Acten wie
ein farbiges Gemälde zu einem grauen Umriß; und nur aus beiden

kauft habe, ſondern eher den Dienſt aufgegeben als ſich zum „Scha¬
tulliren“ erniedrigt haben würde; aber eine innerliche Auffaſſung des
Lebensbildes, das die Unterſuchung vor ihm entrollte, in den Acten
niederzulegen, war nicht ſeines Amtes, und gleich das erſte Protokoll
zeigt, daß er Inquirent genug war, ſich das überraſchend freiwillige
Entgegenkommen ſeines Gefangenen — dem er nicht ſo leicht beigekom¬
men wäre, wenn dieſer nicht ſelbſt, gebrochenen Gemüths, ihm ſeine
Seele in die Hände gelegt hätte —nach den Quadrangeln des Inqui¬
ſitionsproceſſes zurecht zu machen; ein Verfahren freilich, das ihm
weniger als ſeiner Zeit und ſeinem Amte angehört.

Der Oberamtmann hatte einen Sohn, der den Verbrecher täglich,
wenn er in's Verhör geführt wurde, ſah, die allgemeine Theilnahme
der Stadt an den vielen freundlichen Seiten im Weſen des Unglück¬
lichen mitempfand und ſich häufig mit ihm unterhielt. Die Familien¬
ſage erzählt von ihm, daß er ſchon als Knabe, wie ſpäter noch im
Mannesalter, für Cato und Brutus, als die größten Männer, ge¬
ſchwärmt habe. Aus dem Munde dieſes Knaben erfuhr der gefallene
Sohn des Volkes ohne Zweifel zum erſtenmal in ſeinem Leben, daß
es in der Geſchichte Bürger gegeben habe, welche die Retter oder
Verderber ihres Vaterlandes wurden. Als der Knabe ein Mann ge¬
worden war und an der hohen Schule ſeines Herzogs junge Männer
bilden half, erinnerte er ſich des armen Friedrich Schwan und zeich¬
nete nach der Erinnerung ſeine Geſchichte auf, wie er ſie aus ſeinem
Munde und aus der Nacherzählung erwachſener Männer vernommen
hatte. Seine römiſchen Helden ſchwebten ihm auch bei dieſer Auf¬
zeichnung vor, und er beginnt die erſten Zeilen derſelben mit den
Worten, der junge Friedrich ſei mit außerordentlichen Anlagen des
Geiſtes ausgeſtattet geweſen, habe den Keim jeder großen Tugend
und jedes großen Laſters in ſich getragen, und nur von der äußer¬
lichen Lage habe es abgehangen, ob er Brutus oder Catilina werden
ſollte. Ach, die äußerliche Lage war, wie auch die Umſtände beſchaffen
ſein mochten, jedenfalls von der Art, daß er das Eine wie das Andere
nur in ſehr beſchränktem Sinne werden konnte. Auch in andern
Dingen iſt dieſe Geſchichte nach dem mangelhaften Geiſt und Ge¬
ſchmack der Zeit geſchrieben; doch verhält ſie ſich zu den Acten wie
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[445/0461] kauft habe, ſondern eher den Dienſt aufgegeben als ſich zum „Scha¬ tulliren“ erniedrigt haben würde; aber eine innerliche Auffaſſung des Lebensbildes, das die Unterſuchung vor ihm entrollte, in den Acten niederzulegen, war nicht ſeines Amtes, und gleich das erſte Protokoll zeigt, daß er Inquirent genug war, ſich das überraſchend freiwillige Entgegenkommen ſeines Gefangenen — dem er nicht ſo leicht beigekom¬ men wäre, wenn dieſer nicht ſelbſt, gebrochenen Gemüths, ihm ſeine Seele in die Hände gelegt hätte —nach den Quadrangeln des Inqui¬ ſitionsproceſſes zurecht zu machen; ein Verfahren freilich, das ihm weniger als ſeiner Zeit und ſeinem Amte angehört. Der Oberamtmann hatte einen Sohn, der den Verbrecher täglich, wenn er in's Verhör geführt wurde, ſah, die allgemeine Theilnahme der Stadt an den vielen freundlichen Seiten im Weſen des Unglück¬ lichen mitempfand und ſich häufig mit ihm unterhielt. Die Familien¬ ſage erzählt von ihm, daß er ſchon als Knabe, wie ſpäter noch im Mannesalter, für Cato und Brutus, als die größten Männer, ge¬ ſchwärmt habe. Aus dem Munde dieſes Knaben erfuhr der gefallene Sohn des Volkes ohne Zweifel zum erſtenmal in ſeinem Leben, daß es in der Geſchichte Bürger gegeben habe, welche die Retter oder Verderber ihres Vaterlandes wurden. Als der Knabe ein Mann ge¬ worden war und an der hohen Schule ſeines Herzogs junge Männer bilden half, erinnerte er ſich des armen Friedrich Schwan und zeich¬ nete nach der Erinnerung ſeine Geſchichte auf, wie er ſie aus ſeinem Munde und aus der Nacherzählung erwachſener Männer vernommen hatte. Seine römiſchen Helden ſchwebten ihm auch bei dieſer Auf¬ zeichnung vor, und er beginnt die erſten Zeilen derſelben mit den Worten, der junge Friedrich ſei mit außerordentlichen Anlagen des Geiſtes ausgeſtattet geweſen, habe den Keim jeder großen Tugend und jedes großen Laſters in ſich getragen, und nur von der äußer¬ lichen Lage habe es abgehangen, ob er Brutus oder Catilina werden ſollte. Ach, die äußerliche Lage war, wie auch die Umſtände beſchaffen ſein mochten, jedenfalls von der Art, daß er das Eine wie das Andere nur in ſehr beſchränktem Sinne werden konnte. Auch in andern Dingen iſt dieſe Geſchichte nach dem mangelhaften Geiſt und Ge¬ ſchmack der Zeit geſchrieben; doch verhält ſie ſich zu den Acten wie ein farbiges Gemälde zu einem grauen Umriß; und nur aus beiden

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/461>, abgerufen am 22.11.2024.