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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Mutter! Sieh, ich bin dir die ärmste Creatur auf der ganzen Got¬
teswelt! Morgen soll der Verspruch sein, und das ist mein Tod. Ich
kann ihn nicht ansehen, er ist mir zu arg zuwider!

Soll ich ihn zerbrechen? fragte er grimmig durch die Zähne.

Um Gotteswillen, fang keine Händel an! Du würdest mich nur
aus dem Regen in die Traufe bringen. Sie schwieg eine Weile und
fuhr dann verzagend fort: Es gibt nur ein einziges Mittel, um aus
dem Jammer hinaus zu kommen.

Vermuthlich. Was denkst du?

Ich spring' in die Fils, und das noch heut' Nacht.

Friedrich lachte überlaut. Du arm's Närrle! Das müßtest du
künstlich angreifen bei dem niedern Wasserstand. Nein, das ist nicht
der Weg. Ich weiß einen andern -- und der wär' ganz sicher, so
bald man sich fest darauf verlassen könnte.

Du bist ein leidiger Tröster.

Ja sieh, Kind, es steht ganz bei dir und du hast's in der Hand,
ob das Mittel zuverlässig sein soll oder nicht. Kannst du dich auf
dich selbst verlassen?

Er sprach diese letzten Worte mit besonderer Stärke, und es lag
dabei etwas Geheimnißvolles in seiner Stimme, so daß seine Schwester
ihn verwundert ansah. Ich weiß nicht, wo du hinaus willst, sagte sie.

Der Mensch kann Alles was er will, hob er an. Heißt das, ich
hab' mich nicht ganz richtig ausgedrückt. Der Mensch kann nicht
Alles, was er will, denn ich mag wollen so viel ich will, so kann ich
z. B. nicht Tag aus Nacht machen. Er schwieg eine Weile, um seine
Gedanken auf der ungewohnten Spur zu sammeln.

Ja, das kann ich auch nicht, sagte Magdalene dazwischen, mit
einem Tone, welcher deutlich verrieth, daß ihr das eine brodlose Weis¬
heit dünke.

Wart' nur, ich bin noch nicht auf dem rechten Trumm. Ich hätt'
eigentlich sagen sollen: der Mensch kann Alles, was er nicht will.

Jetzt hör' auf! rief Magdalene unwillig. Du bist dem Narren
über's Säckle kommen. Wenn du mir keinen bessern Rath weißt als
solches Kauderwelsch, so muß ich ungetröstet ins Bett gehen.

Ich schwitz' wie ein Magister, sagte er. Ich möcht' dir das
Ding recht glatt eingeben und bring's nicht richtig heraus. Aber halt,

Mutter! Sieh, ich bin dir die ärmſte Creatur auf der ganzen Got¬
teswelt! Morgen ſoll der Verſpruch ſein, und das iſt mein Tod. Ich
kann ihn nicht anſehen, er iſt mir zu arg zuwider!

Soll ich ihn zerbrechen? fragte er grimmig durch die Zähne.

Um Gotteswillen, fang keine Händel an! Du würdeſt mich nur
aus dem Regen in die Traufe bringen. Sie ſchwieg eine Weile und
fuhr dann verzagend fort: Es gibt nur ein einziges Mittel, um aus
dem Jammer hinaus zu kommen.

Vermuthlich. Was denkſt du?

Ich ſpring' in die Fils, und das noch heut' Nacht.

Friedrich lachte überlaut. Du arm's Närrle! Das müßteſt du
künſtlich angreifen bei dem niedern Waſſerſtand. Nein, das iſt nicht
der Weg. Ich weiß einen andern — und der wär' ganz ſicher, ſo
bald man ſich feſt darauf verlaſſen könnte.

Du biſt ein leidiger Tröſter.

Ja ſieh, Kind, es ſteht ganz bei dir und du haſt's in der Hand,
ob das Mittel zuverläſſig ſein ſoll oder nicht. Kannſt du dich auf
dich ſelbſt verlaſſen?

Er ſprach dieſe letzten Worte mit beſonderer Stärke, und es lag
dabei etwas Geheimnißvolles in ſeiner Stimme, ſo daß ſeine Schweſter
ihn verwundert anſah. Ich weiß nicht, wo du hinaus willſt, ſagte ſie.

Der Menſch kann Alles was er will, hob er an. Heißt das, ich
hab' mich nicht ganz richtig ausgedrückt. Der Menſch kann nicht
Alles, was er will, denn ich mag wollen ſo viel ich will, ſo kann ich
z. B. nicht Tag aus Nacht machen. Er ſchwieg eine Weile, um ſeine
Gedanken auf der ungewohnten Spur zu ſammeln.

Ja, das kann ich auch nicht, ſagte Magdalene dazwiſchen, mit
einem Tone, welcher deutlich verrieth, daß ihr das eine brodloſe Weis¬
heit dünke.

Wart' nur, ich bin noch nicht auf dem rechten Trumm. Ich hätt'
eigentlich ſagen ſollen: der Menſch kann Alles, was er nicht will.

Jetzt hör' auf! rief Magdalene unwillig. Du biſt dem Narren
über's Säckle kommen. Wenn du mir keinen beſſern Rath weißt als
ſolches Kauderwelſch, ſo muß ich ungetröſtet ins Bett gehen.

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[43/0059] Mutter! Sieh, ich bin dir die ärmſte Creatur auf der ganzen Got¬ teswelt! Morgen ſoll der Verſpruch ſein, und das iſt mein Tod. Ich kann ihn nicht anſehen, er iſt mir zu arg zuwider! Soll ich ihn zerbrechen? fragte er grimmig durch die Zähne. Um Gotteswillen, fang keine Händel an! Du würdeſt mich nur aus dem Regen in die Traufe bringen. Sie ſchwieg eine Weile und fuhr dann verzagend fort: Es gibt nur ein einziges Mittel, um aus dem Jammer hinaus zu kommen. Vermuthlich. Was denkſt du? Ich ſpring' in die Fils, und das noch heut' Nacht. Friedrich lachte überlaut. Du arm's Närrle! Das müßteſt du künſtlich angreifen bei dem niedern Waſſerſtand. Nein, das iſt nicht der Weg. Ich weiß einen andern — und der wär' ganz ſicher, ſo bald man ſich feſt darauf verlaſſen könnte. Du biſt ein leidiger Tröſter. Ja ſieh, Kind, es ſteht ganz bei dir und du haſt's in der Hand, ob das Mittel zuverläſſig ſein ſoll oder nicht. Kannſt du dich auf dich ſelbſt verlaſſen? Er ſprach dieſe letzten Worte mit beſonderer Stärke, und es lag dabei etwas Geheimnißvolles in ſeiner Stimme, ſo daß ſeine Schweſter ihn verwundert anſah. Ich weiß nicht, wo du hinaus willſt, ſagte ſie. Der Menſch kann Alles was er will, hob er an. Heißt das, ich hab' mich nicht ganz richtig ausgedrückt. Der Menſch kann nicht Alles, was er will, denn ich mag wollen ſo viel ich will, ſo kann ich z. B. nicht Tag aus Nacht machen. Er ſchwieg eine Weile, um ſeine Gedanken auf der ungewohnten Spur zu ſammeln. Ja, das kann ich auch nicht, ſagte Magdalene dazwiſchen, mit einem Tone, welcher deutlich verrieth, daß ihr das eine brodloſe Weis¬ heit dünke. Wart' nur, ich bin noch nicht auf dem rechten Trumm. Ich hätt' eigentlich ſagen ſollen: der Menſch kann Alles, was er nicht will. Jetzt hör' auf! rief Magdalene unwillig. Du biſt dem Narren über's Säckle kommen. Wenn du mir keinen beſſern Rath weißt als ſolches Kauderwelſch, ſo muß ich ungetröſtet ins Bett gehen. Ich ſchwitz' wie ein Magiſter, ſagte er. Ich möcht' dir das Ding recht glatt eingeben und bring's nicht richtig heraus. Aber halt,

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/59>, abgerufen am 27.11.2024.