Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

der Zeit einen Gerber Kleon und derlei Hallunken gebar.

Nun war es, als ob an einem Wehr die Floßgasse geöffnet wäre und die Fluten donnernd über einander stürzten, so heftig brach in der Gesellschaft der Streit über die zujüngst aufgeworfene Frage aus. Da jedoch die Meisten künftige "Heuler" waren, so ereignete sich der sonderbare Umstand, daß Harmodios und Aristogiton, die armen Jungen, einst die Sterne der Jugend, jetzt aus politischen Rücksichten per majora verdonnert wurden. Die Minderzahl, muthmaßlich aus embryonischen "Wühlern" bestehend, gab sich alle Mühe sie zu retten und bot daher die ganze Kraft der Stimmen auf; allein dieses Vorbild wurde sogleich von der Mehrheit nachgeahmt, und so war bald vor lauter Hören gar nichts mehr zu vernehmen. Damals ruhte noch im Schoße der Zukunft die Wirksamkeit jenes berühmten rheinischen Kammerpräsidenten, der mit dem durchschlagenden Worte, das er in die Stürme der parlamentarischen Debatte schleuderte: "Meine Herren, es kann nur Einer zugleich sprechen!" bekanntlich seither allem und jedem Geschrei ein Ende gemacht hat.

Mitten in diesem Chaos und wilden Durcheinanderwogen der Elemente ereignete sich jedoch auf einmal ein höchst unerwartetes, ein wahrhaft herzbrechendes Schauspiel. Die beiden Pfarrer von A . . . berg und Y . . . burg hatten sich während der allgemeinen

der Zeit einen Gerber Kleon und derlei Hallunken gebar.

Nun war es, als ob an einem Wehr die Floßgasse geöffnet wäre und die Fluten donnernd über einander stürzten, so heftig brach in der Gesellschaft der Streit über die zujüngst aufgeworfene Frage aus. Da jedoch die Meisten künftige „Heuler“ waren, so ereignete sich der sonderbare Umstand, daß Harmodios und Aristogiton, die armen Jungen, einst die Sterne der Jugend, jetzt aus politischen Rücksichten per majora verdonnert wurden. Die Minderzahl, muthmaßlich aus embryonischen „Wühlern“ bestehend, gab sich alle Mühe sie zu retten und bot daher die ganze Kraft der Stimmen auf; allein dieses Vorbild wurde sogleich von der Mehrheit nachgeahmt, und so war bald vor lauter Hören gar nichts mehr zu vernehmen. Damals ruhte noch im Schoße der Zukunft die Wirksamkeit jenes berühmten rheinischen Kammerpräsidenten, der mit dem durchschlagenden Worte, das er in die Stürme der parlamentarischen Debatte schleuderte: „Meine Herren, es kann nur Einer zugleich sprechen!“ bekanntlich seither allem und jedem Geschrei ein Ende gemacht hat.

Mitten in diesem Chaos und wilden Durcheinanderwogen der Elemente ereignete sich jedoch auf einmal ein höchst unerwartetes, ein wahrhaft herzbrechendes Schauspiel. Die beiden Pfarrer von A . . . berg und Y . . . burg hatten sich während der allgemeinen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0113"/>
der Zeit einen Gerber Kleon und derlei Hallunken gebar.</p><lb/>
        <p>Nun war es, als ob an einem Wehr die Floßgasse geöffnet wäre und die Fluten donnernd                über einander stürzten, so heftig brach in der Gesellschaft der Streit über die                zujüngst aufgeworfene Frage aus. Da jedoch die Meisten künftige &#x201E;Heuler&#x201C; waren, so                ereignete sich der sonderbare Umstand, daß Harmodios und Aristogiton, die armen                Jungen, einst die Sterne der Jugend, jetzt aus politischen Rücksichten per majora                verdonnert wurden. Die Minderzahl, muthmaßlich aus embryonischen &#x201E;Wühlern&#x201C; bestehend,                gab sich alle Mühe sie zu retten und bot daher die ganze Kraft der Stimmen auf;                allein dieses Vorbild wurde sogleich von der Mehrheit nachgeahmt, und so war bald vor                lauter Hören gar nichts mehr zu vernehmen. Damals ruhte noch im Schoße der Zukunft                die Wirksamkeit jenes berühmten rheinischen Kammerpräsidenten, der mit dem                durchschlagenden Worte, das er in die Stürme der parlamentarischen Debatte                schleuderte: &#x201E;Meine Herren, es kann nur Einer zugleich sprechen!&#x201C; bekanntlich seither                allem und jedem Geschrei ein Ende gemacht hat.</p><lb/>
        <p>Mitten in diesem Chaos und wilden Durcheinanderwogen der Elemente ereignete sich                jedoch auf einmal ein höchst unerwartetes, ein wahrhaft herzbrechendes Schauspiel.                Die beiden Pfarrer von A . . . berg und Y . . . burg hatten sich während der                allgemeinen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0113] der Zeit einen Gerber Kleon und derlei Hallunken gebar. Nun war es, als ob an einem Wehr die Floßgasse geöffnet wäre und die Fluten donnernd über einander stürzten, so heftig brach in der Gesellschaft der Streit über die zujüngst aufgeworfene Frage aus. Da jedoch die Meisten künftige „Heuler“ waren, so ereignete sich der sonderbare Umstand, daß Harmodios und Aristogiton, die armen Jungen, einst die Sterne der Jugend, jetzt aus politischen Rücksichten per majora verdonnert wurden. Die Minderzahl, muthmaßlich aus embryonischen „Wühlern“ bestehend, gab sich alle Mühe sie zu retten und bot daher die ganze Kraft der Stimmen auf; allein dieses Vorbild wurde sogleich von der Mehrheit nachgeahmt, und so war bald vor lauter Hören gar nichts mehr zu vernehmen. Damals ruhte noch im Schoße der Zukunft die Wirksamkeit jenes berühmten rheinischen Kammerpräsidenten, der mit dem durchschlagenden Worte, das er in die Stürme der parlamentarischen Debatte schleuderte: „Meine Herren, es kann nur Einer zugleich sprechen!“ bekanntlich seither allem und jedem Geschrei ein Ende gemacht hat. Mitten in diesem Chaos und wilden Durcheinanderwogen der Elemente ereignete sich jedoch auf einmal ein höchst unerwartetes, ein wahrhaft herzbrechendes Schauspiel. Die beiden Pfarrer von A . . . berg und Y . . . burg hatten sich während der allgemeinen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:08:57Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:08:57Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/113
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Die beiden Tubus. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 149–277. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_tubus_1910/113>, abgerufen am 20.05.2024.