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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches.
Fassung derselben schwer zu ermitteln. In den beiden ersten Kate-
gorien des Art. 7 ist das Object des Beschlusses angegeben, die
an den Reichstag zu bringende Vorlage oder die Genehmigung
oder Verwerfung des vom Reichstage gefaßten Beschlusses und die
zu erlassende Administrativ-Verordnung; bei der dritten Kategorie
ist das Motiv oder die Veranlassung des Beschlusses hervorge-
hoben. Denn der Bundesrath beschließt nicht die Mängel, welche
hervortreten, sondern er faßt einen Beschluß wegen der Mängel,
welche hervortreten. Auch die Abstellung dieser Mängel 1) ist nicht
der Inhalt, sondern der Zweck seines Beschlusses.

Werden die Mängel hervorgerufen durch ein Reichsgesetz selbst,
indem sich bei richtiger Anwendung desselben zeigt, daß es auf die
thatsächlich bestehenden Lebensverhältnisse nicht paßt, so kann nicht
anders abgeholfen werden als durch eine Abänderung des Gesetzes,
zu welcher die Genehmigung des Reichstages erforderlich ist. In-
halt des Bundesrathsbeschlußes ist demnach in diesem Falle eine
dem Reichstage zu machende Vorlage und ein solcher Beschluß fällt
mithin unter die erste Kategorie des Art. 7.

Wenn die Mängel aber hervorgerufen werden durch die zur
Ausführung des Gesetzes erlassenen Verordnungen oder durch das
Fehlen derselben, beziehentlich durch ihre Unvollständigkeit oder
Undeutlichkeit, so kann der Bundesrath Administrativ-Verordnungen
erlassen oder sie ändern, ergänzen, verbessern. Ein derartiger
Beschluß fällt unter die zweite Kategorie des Art. 7.

Soll die unter Ziffer 3 aufgeführte Kategorie nicht völlig
überflüssig und nichtssagend sein, so müssen dem Bundesrathe noch
weitergehende Befugnisse zustehen, als die durch Z. 1 und Z. 2
bereits gegebenen; er muß aus Anlaß von Mängeln noch andere
Beschlüsse zu fassen berechtigt sein, als Gesetzesvorlagen und Aus-
führungs-Verordnungen.

Von welcher Art diese Beschlüsse sein können, ergiebt sich nicht
aus dem Wortlaut des Art. 7, wohl aber aus seiner Entstehungs-
geschichte.

In der Verfassung des Norddeutschen Bundes fehlt ein ent-
sprechender Artikel. Dagegen gewährt diese Verfassung dem Bun-
desrath in Beziehung auf Zölle und Verbrauchssteuern eine eigen-

1) So umschreibt z. B. Riedel S. 24 diese Verfassungs-Bestimmung.

§. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches.
Faſſung derſelben ſchwer zu ermitteln. In den beiden erſten Kate-
gorien des Art. 7 iſt das Object des Beſchluſſes angegeben, die
an den Reichstag zu bringende Vorlage oder die Genehmigung
oder Verwerfung des vom Reichstage gefaßten Beſchluſſes und die
zu erlaſſende Adminiſtrativ-Verordnung; bei der dritten Kategorie
iſt das Motiv oder die Veranlaſſung des Beſchluſſes hervorge-
hoben. Denn der Bundesrath beſchließt nicht die Mängel, welche
hervortreten, ſondern er faßt einen Beſchluß wegen der Mängel,
welche hervortreten. Auch die Abſtellung dieſer Mängel 1) iſt nicht
der Inhalt, ſondern der Zweck ſeines Beſchluſſes.

Werden die Mängel hervorgerufen durch ein Reichsgeſetz ſelbſt,
indem ſich bei richtiger Anwendung deſſelben zeigt, daß es auf die
thatſächlich beſtehenden Lebensverhältniſſe nicht paßt, ſo kann nicht
anders abgeholfen werden als durch eine Abänderung des Geſetzes,
zu welcher die Genehmigung des Reichstages erforderlich iſt. In-
halt des Bundesrathsbeſchlußes iſt demnach in dieſem Falle eine
dem Reichstage zu machende Vorlage und ein ſolcher Beſchluß fällt
mithin unter die erſte Kategorie des Art. 7.

Wenn die Mängel aber hervorgerufen werden durch die zur
Ausführung des Geſetzes erlaſſenen Verordnungen oder durch das
Fehlen derſelben, beziehentlich durch ihre Unvollſtändigkeit oder
Undeutlichkeit, ſo kann der Bundesrath Adminiſtrativ-Verordnungen
erlaſſen oder ſie ändern, ergänzen, verbeſſern. Ein derartiger
Beſchluß fällt unter die zweite Kategorie des Art. 7.

Soll die unter Ziffer 3 aufgeführte Kategorie nicht völlig
überflüſſig und nichtsſagend ſein, ſo müſſen dem Bundesrathe noch
weitergehende Befugniſſe zuſtehen, als die durch Z. 1 und Z. 2
bereits gegebenen; er muß aus Anlaß von Mängeln noch andere
Beſchlüſſe zu faſſen berechtigt ſein, als Geſetzesvorlagen und Aus-
führungs-Verordnungen.

Von welcher Art dieſe Beſchlüſſe ſein können, ergiebt ſich nicht
aus dem Wortlaut des Art. 7, wohl aber aus ſeiner Entſtehungs-
geſchichte.

In der Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes fehlt ein ent-
ſprechender Artikel. Dagegen gewährt dieſe Verfaſſung dem Bun-
desrath in Beziehung auf Zölle und Verbrauchsſteuern eine eigen-

1) So umſchreibt z. B. Riedel S. 24 dieſe Verfaſſungs-Beſtimmung.
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[256/0276] §. 29. Der Bundesrath als Organ des Reiches. Faſſung derſelben ſchwer zu ermitteln. In den beiden erſten Kate- gorien des Art. 7 iſt das Object des Beſchluſſes angegeben, die an den Reichstag zu bringende Vorlage oder die Genehmigung oder Verwerfung des vom Reichstage gefaßten Beſchluſſes und die zu erlaſſende Adminiſtrativ-Verordnung; bei der dritten Kategorie iſt das Motiv oder die Veranlaſſung des Beſchluſſes hervorge- hoben. Denn der Bundesrath beſchließt nicht die Mängel, welche hervortreten, ſondern er faßt einen Beſchluß wegen der Mängel, welche hervortreten. Auch die Abſtellung dieſer Mängel 1) iſt nicht der Inhalt, ſondern der Zweck ſeines Beſchluſſes. Werden die Mängel hervorgerufen durch ein Reichsgeſetz ſelbſt, indem ſich bei richtiger Anwendung deſſelben zeigt, daß es auf die thatſächlich beſtehenden Lebensverhältniſſe nicht paßt, ſo kann nicht anders abgeholfen werden als durch eine Abänderung des Geſetzes, zu welcher die Genehmigung des Reichstages erforderlich iſt. In- halt des Bundesrathsbeſchlußes iſt demnach in dieſem Falle eine dem Reichstage zu machende Vorlage und ein ſolcher Beſchluß fällt mithin unter die erſte Kategorie des Art. 7. Wenn die Mängel aber hervorgerufen werden durch die zur Ausführung des Geſetzes erlaſſenen Verordnungen oder durch das Fehlen derſelben, beziehentlich durch ihre Unvollſtändigkeit oder Undeutlichkeit, ſo kann der Bundesrath Adminiſtrativ-Verordnungen erlaſſen oder ſie ändern, ergänzen, verbeſſern. Ein derartiger Beſchluß fällt unter die zweite Kategorie des Art. 7. Soll die unter Ziffer 3 aufgeführte Kategorie nicht völlig überflüſſig und nichtsſagend ſein, ſo müſſen dem Bundesrathe noch weitergehende Befugniſſe zuſtehen, als die durch Z. 1 und Z. 2 bereits gegebenen; er muß aus Anlaß von Mängeln noch andere Beſchlüſſe zu faſſen berechtigt ſein, als Geſetzesvorlagen und Aus- führungs-Verordnungen. Von welcher Art dieſe Beſchlüſſe ſein können, ergiebt ſich nicht aus dem Wortlaut des Art. 7, wohl aber aus ſeiner Entſtehungs- geſchichte. In der Verfaſſung des Norddeutſchen Bundes fehlt ein ent- ſprechender Artikel. Dagegen gewährt dieſe Verfaſſung dem Bun- desrath in Beziehung auf Zölle und Verbrauchsſteuern eine eigen- 1) So umſchreibt z. B. Riedel S. 24 dieſe Verfaſſungs-Beſtimmung.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/276>, abgerufen am 24.11.2024.