Dies ist nicht in dem Sinne zu verstehen, als ob es in das will- kürliche Belieben des Kaisers gestellt wäre, die Geschäfte unter die Reichsbehörden zu vertheilen, oder nach Lust und Laune Ge- schäfte untergeordneter Art bald selbst zu erledigen bald sie Reichs- behörden zu überlassen. Die Reichsbehörden sind vielmehr von Rechtswegen dem Kaiser beigeordnet, damit er sich ihrer bei der Führung der Reichsgeschäfte bediene, so daß er die Geschäfte nicht anders als durch die vermittelnde Thätigkeit der Behörden führen kann und darf. Es ist ferner der Kreis derjenigen Geschäfte, welche die einzelnen Behörden zu erledigen haben, durch Rechts- Vorschriften abgegrenzt, so daß ihre Kompetenz-Bestimmung ein Theil der staatlichen Rechtsordnung ist, welche der Kaiser einseitig nicht ändern kann. Auch empfangen die Behörden die Anweisung, nach welchen Gesichtspunkten sie die zu ihrem Ressort gehörenden Geschäfte zu erledigen haben, zum größten Theil durch die Ge- setze des Reiches, und auch in den, nicht gesetzlich normirten Be- ziehungen nicht von dem persönlichen (privaten) Willen des Kaisers, sondern von dem in staatsrechtlichen Formen erklärten, (staatlichen) Willen desselben.
Aber die Behörden haben kein subjectives Recht darauf, daß ihnen die Erledigung und Führung von Geschäften des Reiches zustehe; ein solches Recht hat nur der Kaiser, welchem nach der R.-V. Art. 17 "die Ueberwachung der Ausführung der Reichsge- setze" zusteht. Dem Bundesrath und dem Reichstage gegenüber erscheint der Inbegriff aller Befugnisse, welche sämmtlichen Reichs- behörden zustehen, als ein Antheil des Kaisers an dem Verfassungs- leben des Reiches. Wenn andererseits in einem Reichsgesetze die Erledigung staatlicher Geschäfte oder der Erlaß von Anordnungen dem Kaiser zugeschrieben wird, so bedeutet dies die Erledigung dieser Geschäfte durch die Reichsbehörden, mit Ausschluß nicht nur der Einzelstaaten, sondern auch des Bundesrathes und des Reichstages.
In dieser Art sind alle den Reichsbehörden zustehenden Be- fugnisse enthalten und umschlossen von dem einheitlichen Rechte des Kaisers, der kaiserlichen Prärogative, und das Recht des Kaisers zur Geschäftsführung für das Reich kömmt anders nicht zur Erscheinung und Wirkung als in der Differenzirung durch
§. 32. Begriff und Syſtem der Reichsbehörden.
Dies iſt nicht in dem Sinne zu verſtehen, als ob es in das will- kürliche Belieben des Kaiſers geſtellt wäre, die Geſchäfte unter die Reichsbehörden zu vertheilen, oder nach Luſt und Laune Ge- ſchäfte untergeordneter Art bald ſelbſt zu erledigen bald ſie Reichs- behörden zu überlaſſen. Die Reichsbehörden ſind vielmehr von Rechtswegen dem Kaiſer beigeordnet, damit er ſich ihrer bei der Führung der Reichsgeſchäfte bediene, ſo daß er die Geſchäfte nicht anders als durch die vermittelnde Thätigkeit der Behörden führen kann und darf. Es iſt ferner der Kreis derjenigen Geſchäfte, welche die einzelnen Behörden zu erledigen haben, durch Rechts- Vorſchriften abgegrenzt, ſo daß ihre Kompetenz-Beſtimmung ein Theil der ſtaatlichen Rechtsordnung iſt, welche der Kaiſer einſeitig nicht ändern kann. Auch empfangen die Behörden die Anweiſung, nach welchen Geſichtspunkten ſie die zu ihrem Reſſort gehörenden Geſchäfte zu erledigen haben, zum größten Theil durch die Ge- ſetze des Reiches, und auch in den, nicht geſetzlich normirten Be- ziehungen nicht von dem perſönlichen (privaten) Willen des Kaiſers, ſondern von dem in ſtaatsrechtlichen Formen erklärten, (ſtaatlichen) Willen deſſelben.
Aber die Behörden haben kein ſubjectives Recht darauf, daß ihnen die Erledigung und Führung von Geſchäften des Reiches zuſtehe; ein ſolches Recht hat nur der Kaiſer, welchem nach der R.-V. Art. 17 „die Ueberwachung der Ausführung der Reichsge- ſetze“ zuſteht. Dem Bundesrath und dem Reichstage gegenüber erſcheint der Inbegriff aller Befugniſſe, welche ſämmtlichen Reichs- behörden zuſtehen, als ein Antheil des Kaiſers an dem Verfaſſungs- leben des Reiches. Wenn andererſeits in einem Reichsgeſetze die Erledigung ſtaatlicher Geſchäfte oder der Erlaß von Anordnungen dem Kaiſer zugeſchrieben wird, ſo bedeutet dies die Erledigung dieſer Geſchäfte durch die Reichsbehörden, mit Ausſchluß nicht nur der Einzelſtaaten, ſondern auch des Bundesrathes und des Reichstages.
In dieſer Art ſind alle den Reichsbehörden zuſtehenden Be- fugniſſe enthalten und umſchloſſen von dem einheitlichen Rechte des Kaiſers, der kaiſerlichen Prärogative, und das Recht des Kaiſers zur Geſchäftsführung für das Reich kömmt anders nicht zur Erſcheinung und Wirkung als in der Differenzirung durch
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§. 32. Begriff und Syſtem der Reichsbehörden.
Dies iſt nicht in dem Sinne zu verſtehen, als ob es in das will-
kürliche Belieben des Kaiſers geſtellt wäre, die Geſchäfte unter
die Reichsbehörden zu vertheilen, oder nach Luſt und Laune Ge-
ſchäfte untergeordneter Art bald ſelbſt zu erledigen bald ſie Reichs-
behörden zu überlaſſen. Die Reichsbehörden ſind vielmehr von
Rechtswegen dem Kaiſer beigeordnet, damit er ſich ihrer bei der
Führung der Reichsgeſchäfte bediene, ſo daß er die Geſchäfte nicht
anders als durch die vermittelnde Thätigkeit der Behörden führen
kann und darf. Es iſt ferner der Kreis derjenigen Geſchäfte,
welche die einzelnen Behörden zu erledigen haben, durch Rechts-
Vorſchriften abgegrenzt, ſo daß ihre Kompetenz-Beſtimmung ein
Theil der ſtaatlichen Rechtsordnung iſt, welche der Kaiſer einſeitig
nicht ändern kann. Auch empfangen die Behörden die Anweiſung,
nach welchen Geſichtspunkten ſie die zu ihrem Reſſort gehörenden
Geſchäfte zu erledigen haben, zum größten Theil durch die Ge-
ſetze des Reiches, und auch in den, nicht geſetzlich normirten Be-
ziehungen nicht von dem perſönlichen (privaten) Willen des Kaiſers,
ſondern von dem in ſtaatsrechtlichen Formen erklärten, (ſtaatlichen)
Willen deſſelben.
Aber die Behörden haben kein ſubjectives Recht darauf, daß
ihnen die Erledigung und Führung von Geſchäften des Reiches
zuſtehe; ein ſolches Recht hat nur der Kaiſer, welchem nach der
R.-V. Art. 17 „die Ueberwachung der Ausführung der Reichsge-
ſetze“ zuſteht. Dem Bundesrath und dem Reichstage gegenüber
erſcheint der Inbegriff aller Befugniſſe, welche ſämmtlichen Reichs-
behörden zuſtehen, als ein Antheil des Kaiſers an dem Verfaſſungs-
leben des Reiches. Wenn andererſeits in einem Reichsgeſetze die
Erledigung ſtaatlicher Geſchäfte oder der Erlaß von Anordnungen
dem Kaiſer zugeſchrieben wird, ſo bedeutet dies die Erledigung
dieſer Geſchäfte durch die Reichsbehörden, mit Ausſchluß nicht
nur der Einzelſtaaten, ſondern auch des Bundesrathes und des
Reichstages.
In dieſer Art ſind alle den Reichsbehörden zuſtehenden Be-
fugniſſe enthalten und umſchloſſen von dem einheitlichen Rechte
des Kaiſers, der kaiſerlichen Prärogative, und das Recht des
Kaiſers zur Geſchäftsführung für das Reich kömmt anders nicht
zur Erſcheinung und Wirkung als in der Differenzirung durch
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/319>, abgerufen am 29.07.2024.
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