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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 51. Formelle Ordnung der Reichstags-Geschäfte.
einer solchen Besprechung aber nicht zu 1). Auch aus der Fassung
des Art 22 Abs. 2, welcher von Berichten über Verhandlungen
"in den öffentlichen Sitzungen" des Reichstages spricht, läßt sich
nicht das argumentum e contrario herleiten, daß es auch "nicht
öffentliche Sitzungen des Reichstages" gebe. Denn theils bilden
den Gegensatz zu den "öffentlichen Sitzungen des Reichstages" die
"nicht öffentlichen Sitzungen der Reichstags-Kommissionen und Ab-
theilungen" 2), theils ist die Fassung des Abs. 2 dem Preuß. Preß-
gesetz vom 12. Mai 1851 §. 38 entnommen und es ist bereits
hervorgehoben worden, daß in Preußen allerdings auch nicht öffent-
liche Sitzungen der beiden Häuser des Landtages zulässig sind.
Abs. 1 u. Abs. 2 des Art. 22 würden miteinander in directem
Widerspruch stehen, wenn Abs. 2 auch nicht öffentliche Sitzungen
des Reichstages als zulässig voraussetzen würde.

2) Ueber die Beschlußfassung des Reichstages enthält
Art. 28 der R.-V. zwei Rechtssätze:

a) "Der Reichstag beschließt nach absoluter Stimmenmehr-
heit". Dadurch ist der Stichentscheid des Präsidenten ausge-
schlossen; im Falle der Stimmengleichheit ist der Antrag abge-
lehnt 3).


1) Vrgl. Hiersemenzel S. 85. Seydel S. 146. Wenn Seydel
aber glaubt, daß ein in geheimer Sitzung gefaßter Beschluß deshalb nicht als
nichtig anzusehen sei, weil Art. 22 diese Folge nicht ausdrücklich aus-
spreche, vielmehr eine lex imperfecta sei, so ist dies unrichtig. Ein in gehei-
mer Sitzung von Reichstags-Mitgliedern gefaßter Beschluß ist überhaupt kein
"Reichstags-Beschluß" im Sinne der Verfassung, sondern ein Beschluß von
Privatpersonen. Auch Hiersemenzel geht nicht weit genug, wenn er aus
dem Art. 22 nur folgert, daß ein in geheimer Schluß-Berathung gefaßter
Plenar-Beschluß des Reichstags ungültig sein würde. Denn Art. 22
schreibt die Oeffentlichkeit nicht blos für die Beschlußfassung, sondern allgemein
für die Verhandlungen des Reichstages vor. Eine unter Ausschluß der
Oeffentlichkeit abgehaltene Besprechung ist nur eine Verhandlung von Reichs-
tags-Mitgliedern, aber keine Verhandlung des Reichstags im Sinne der Ver-
fassung. Die entgegengesetzte Ansicht vertreten Thudichum S. 192, Riedel
S. 112. v. Rönne S. 176. v. Pözl S. 132. Auf die nach Art. 27 dem
Reichstage zustehende Autonomie kann aber der §. 27 der Gesch.-Ordn. nicht
gestützt werden, weil autonomische Festsetzungen Verfassungssätze nicht aufheben
können.
2) Vgl. auch v. Mohl Zeitschr. f. Staatswissensch. Bd. 31 S. 61.
3) Gesch.-Ordn. §. 48 a. E. Auf Wahlen, die der Reichstag vorzunehmen

§. 51. Formelle Ordnung der Reichstags-Geſchäfte.
einer ſolchen Beſprechung aber nicht zu 1). Auch aus der Faſſung
des Art 22 Abſ. 2, welcher von Berichten über Verhandlungen
„in den öffentlichen Sitzungen“ des Reichstages ſpricht, läßt ſich
nicht das argumentum e contrario herleiten, daß es auch „nicht
öffentliche Sitzungen des Reichstages“ gebe. Denn theils bilden
den Gegenſatz zu den „öffentlichen Sitzungen des Reichstages“ die
„nicht öffentlichen Sitzungen der Reichstags-Kommiſſionen und Ab-
theilungen“ 2), theils iſt die Faſſung des Abſ. 2 dem Preuß. Preß-
geſetz vom 12. Mai 1851 §. 38 entnommen und es iſt bereits
hervorgehoben worden, daß in Preußen allerdings auch nicht öffent-
liche Sitzungen der beiden Häuſer des Landtages zuläſſig ſind.
Abſ. 1 u. Abſ. 2 des Art. 22 würden miteinander in directem
Widerſpruch ſtehen, wenn Abſ. 2 auch nicht öffentliche Sitzungen
des Reichstages als zuläſſig vorausſetzen würde.

2) Ueber die Beſchlußfaſſung des Reichstages enthält
Art. 28 der R.-V. zwei Rechtsſätze:

a) „Der Reichstag beſchließt nach abſoluter Stimmenmehr-
heit“. Dadurch iſt der Stichentſcheid des Präſidenten ausge-
ſchloſſen; im Falle der Stimmengleichheit iſt der Antrag abge-
lehnt 3).


1) Vrgl. Hierſemenzel S. 85. Seydel S. 146. Wenn Seydel
aber glaubt, daß ein in geheimer Sitzung gefaßter Beſchluß deshalb nicht als
nichtig anzuſehen ſei, weil Art. 22 dieſe Folge nicht ausdrücklich aus-
ſpreche, vielmehr eine lex imperfecta ſei, ſo iſt dies unrichtig. Ein in gehei-
mer Sitzung von Reichstags-Mitgliedern gefaßter Beſchluß iſt überhaupt kein
„Reichstags-Beſchluß“ im Sinne der Verfaſſung, ſondern ein Beſchluß von
Privatperſonen. Auch Hierſemenzel geht nicht weit genug, wenn er aus
dem Art. 22 nur folgert, daß ein in geheimer Schluß-Berathung gefaßter
Plenar-Beſchluß des Reichstags ungültig ſein würde. Denn Art. 22
ſchreibt die Oeffentlichkeit nicht blos für die Beſchlußfaſſung, ſondern allgemein
für die Verhandlungen des Reichstages vor. Eine unter Ausſchluß der
Oeffentlichkeit abgehaltene Beſprechung iſt nur eine Verhandlung von Reichs-
tags-Mitgliedern, aber keine Verhandlung des Reichstags im Sinne der Ver-
faſſung. Die entgegengeſetzte Anſicht vertreten Thudichum S. 192, Riedel
S. 112. v. Rönne S. 176. v. Pözl S. 132. Auf die nach Art. 27 dem
Reichstage zuſtehende Autonomie kann aber der §. 27 der Geſch.-Ordn. nicht
geſtützt werden, weil autonomiſche Feſtſetzungen Verfaſſungsſätze nicht aufheben
können.
2) Vgl. auch v. Mohl Zeitſchr. f. Staatswiſſenſch. Bd. 31 S. 61.
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[562/0582] §. 51. Formelle Ordnung der Reichstags-Geſchäfte. einer ſolchen Beſprechung aber nicht zu 1). Auch aus der Faſſung des Art 22 Abſ. 2, welcher von Berichten über Verhandlungen „in den öffentlichen Sitzungen“ des Reichstages ſpricht, läßt ſich nicht das argumentum e contrario herleiten, daß es auch „nicht öffentliche Sitzungen des Reichstages“ gebe. Denn theils bilden den Gegenſatz zu den „öffentlichen Sitzungen des Reichstages“ die „nicht öffentlichen Sitzungen der Reichstags-Kommiſſionen und Ab- theilungen“ 2), theils iſt die Faſſung des Abſ. 2 dem Preuß. Preß- geſetz vom 12. Mai 1851 §. 38 entnommen und es iſt bereits hervorgehoben worden, daß in Preußen allerdings auch nicht öffent- liche Sitzungen der beiden Häuſer des Landtages zuläſſig ſind. Abſ. 1 u. Abſ. 2 des Art. 22 würden miteinander in directem Widerſpruch ſtehen, wenn Abſ. 2 auch nicht öffentliche Sitzungen des Reichstages als zuläſſig vorausſetzen würde. 2) Ueber die Beſchlußfaſſung des Reichstages enthält Art. 28 der R.-V. zwei Rechtsſätze: a) „Der Reichstag beſchließt nach abſoluter Stimmenmehr- heit“. Dadurch iſt der Stichentſcheid des Präſidenten ausge- ſchloſſen; im Falle der Stimmengleichheit iſt der Antrag abge- lehnt 3). 1) Vrgl. Hierſemenzel S. 85. Seydel S. 146. Wenn Seydel aber glaubt, daß ein in geheimer Sitzung gefaßter Beſchluß deshalb nicht als nichtig anzuſehen ſei, weil Art. 22 dieſe Folge nicht ausdrücklich aus- ſpreche, vielmehr eine lex imperfecta ſei, ſo iſt dies unrichtig. Ein in gehei- mer Sitzung von Reichstags-Mitgliedern gefaßter Beſchluß iſt überhaupt kein „Reichstags-Beſchluß“ im Sinne der Verfaſſung, ſondern ein Beſchluß von Privatperſonen. Auch Hierſemenzel geht nicht weit genug, wenn er aus dem Art. 22 nur folgert, daß ein in geheimer Schluß-Berathung gefaßter Plenar-Beſchluß des Reichstags ungültig ſein würde. Denn Art. 22 ſchreibt die Oeffentlichkeit nicht blos für die Beſchlußfaſſung, ſondern allgemein für die Verhandlungen des Reichstages vor. Eine unter Ausſchluß der Oeffentlichkeit abgehaltene Beſprechung iſt nur eine Verhandlung von Reichs- tags-Mitgliedern, aber keine Verhandlung des Reichstags im Sinne der Ver- faſſung. Die entgegengeſetzte Anſicht vertreten Thudichum S. 192, Riedel S. 112. v. Rönne S. 176. v. Pözl S. 132. Auf die nach Art. 27 dem Reichstage zuſtehende Autonomie kann aber der §. 27 der Geſch.-Ordn. nicht geſtützt werden, weil autonomiſche Feſtſetzungen Verfaſſungsſätze nicht aufheben können. 2) Vgl. auch v. Mohl Zeitſchr. f. Staatswiſſenſch. Bd. 31 S. 61. 3) Geſch.-Ordn. §. 48 a. E. Auf Wahlen, die der Reichstag vorzunehmen

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 562. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/582>, abgerufen am 22.11.2024.