Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 54. Bundesglied und Reichsland.
Für die Entscheidung dieser Frage kommen folgende Erwägungen
in Betracht.

Nach der im Art. 7 und Art. 8 des Code civ. festgehaltenen
Unterscheidung zwischen droits civils und droits politiques steht
jeder Franzose im Genuß der droits civils, dagegen sind die
droits politiques abhängig: "de la qualite de citoyen, laquelle
ne s'acquiert et ne se conserve, que conformement a la loi
constitutionelle".
Nicht jeder Franzose ist zugleich citoyen; es
ist demgemäß "Francais" nicht "Staatsbürger", sondern "Inlän-
der" zu übersetzen. Die Vorschriften des Code civ. über Erwerb
und Verlust der Eigenschaft eines Franzosen (Elsaß-Lothringers)
haben bis zur Einführung des Reichsgesetzes vom 1. Juni 1870
im Reichsland in partikulärer Geltung gestanden; der Erwerb und
Verlust der Eigenschaft eines citoyen dagegen ist durch die fran-
zösischen Verfassungs-Gesetze normirt, welche bereits durch den
Friedensschluß mit Deutschland und die Abtretung des reichslän-
dischen Gebietes ihre Anwendbarkeit verloren haben. Ein Nicht-
Franzose
kann niemals die droits politiques ausüben, denn er
kann niemals citoyen sein; wohl aber kann er die droits civils
wie ein Franzose ausüben, wenn er mit Erlaubniß des Staates
seinen Wohnsitz in Frankreich hat und sich daselbst aufhält. Code
civ.
Art. 13. Das französische Recht setzt aber allerdings voraus,
daß jeder Franzose auch Unterthan des französischen Staates ist;
wer einem andern Staatsverbande beitritt, verliert nicht blos die
Eigenschaft eines französischen citoyen, sondern auch die Eigenschaft
eines Francais. Code civ. Art. 17 1).

Auch für das Reichsland ist demgemäß die Eigenschaft eines
Inländers davon abhängig, daß man ein Unterthan der im Reichs-
lande bestehenden Staatsgewalt ist. Daraus folgt aber keines-
wegs, daß es eine besondere elsaß-lothringische Staatsgewalt geben
müsse. Das Subject der Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen ist

1) Demgemäß hat die französ. Praxis stets angenommen, daß, wenn ein
Theil des französischen Gebietes an einen andern Staat abgetreten wird, die
Bewohner des abgetretenen Gebietes die Eigenschaft von Franzosen verlieren,
wenn sie ihren Wohnsitz in dem abgetretenen Gebiete beibehalten. Vgl. Dalloz
et Verge, Code civ. annote.
Nr. 97 ff zu Art. 17. (Vol. I. p. 65.) Ferner
Löning a. a. O. S. 197, woselbst zahlreiche Literatur-Nachweisungen ge-
geben sind.

§. 54. Bundesglied und Reichsland.
Für die Entſcheidung dieſer Frage kommen folgende Erwägungen
in Betracht.

Nach der im Art. 7 und Art. 8 des Code civ. feſtgehaltenen
Unterſcheidung zwiſchen droits civils und droits politiques ſteht
jeder Franzoſe im Genuß der droits civils, dagegen ſind die
droits politiques abhängig: »de la qualité de citoyen, laquelle
ne s’acquiert et ne se conserve, que conformément à la loi
constitutionelle«.
Nicht jeder Franzoſe iſt zugleich citoyen; es
iſt demgemäß »Français« nicht „Staatsbürger“, ſondern „Inlän-
der“ zu überſetzen. Die Vorſchriften des Code civ. über Erwerb
und Verluſt der Eigenſchaft eines Franzoſen (Elſaß-Lothringers)
haben bis zur Einführung des Reichsgeſetzes vom 1. Juni 1870
im Reichsland in partikulärer Geltung geſtanden; der Erwerb und
Verluſt der Eigenſchaft eines citoyen dagegen iſt durch die fran-
zöſiſchen Verfaſſungs-Geſetze normirt, welche bereits durch den
Friedensſchluß mit Deutſchland und die Abtretung des reichslän-
diſchen Gebietes ihre Anwendbarkeit verloren haben. Ein Nicht-
Franzoſe
kann niemals die droits politiques ausüben, denn er
kann niemals citoyen ſein; wohl aber kann er die droits civils
wie ein Franzoſe ausüben, wenn er mit Erlaubniß des Staates
ſeinen Wohnſitz in Frankreich hat und ſich daſelbſt aufhält. Code
civ.
Art. 13. Das franzöſiſche Recht ſetzt aber allerdings voraus,
daß jeder Franzoſe auch Unterthan des franzöſiſchen Staates iſt;
wer einem andern Staatsverbande beitritt, verliert nicht blos die
Eigenſchaft eines franzöſiſchen citoyen, ſondern auch die Eigenſchaft
eines Français. Code civ. Art. 17 1).

Auch für das Reichsland iſt demgemäß die Eigenſchaft eines
Inländers davon abhängig, daß man ein Unterthan der im Reichs-
lande beſtehenden Staatsgewalt iſt. Daraus folgt aber keines-
wegs, daß es eine beſondere elſaß-lothringiſche Staatsgewalt geben
müſſe. Das Subject der Staatsgewalt in Elſaß-Lothringen iſt

1) Demgemäß hat die franzöſ. Praxis ſtets angenommen, daß, wenn ein
Theil des franzöſiſchen Gebietes an einen andern Staat abgetreten wird, die
Bewohner des abgetretenen Gebietes die Eigenſchaft von Franzoſen verlieren,
wenn ſie ihren Wohnſitz in dem abgetretenen Gebiete beibehalten. Vgl. Dalloz
et Vergé, Code civ. annoté.
Nr. 97 ff zu Art. 17. (Vol. I. p. 65.) Ferner
Löning a. a. O. S. 197, woſelbſt zahlreiche Literatur-Nachweiſungen ge-
geben ſind.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0619" n="599"/><fw place="top" type="header">§. 54. Bundesglied und Reichsland.</fw><lb/>
Für die Ent&#x017F;cheidung die&#x017F;er Frage kommen folgende Erwägungen<lb/>
in Betracht.</p><lb/>
          <p>Nach der im Art. 7 und Art. 8 des <hi rendition="#aq">Code civ.</hi> fe&#x017F;tgehaltenen<lb/>
Unter&#x017F;cheidung zwi&#x017F;chen <hi rendition="#aq">droits civils</hi> und <hi rendition="#aq">droits politiques</hi> &#x017F;teht<lb/><hi rendition="#g">jeder Franzo&#x017F;e</hi> im Genuß der <hi rendition="#aq">droits civils,</hi> dagegen &#x017F;ind die<lb/><hi rendition="#aq">droits politiques</hi> abhängig: <hi rendition="#aq">»de la qualité de <hi rendition="#g">citoyen</hi>, laquelle<lb/>
ne s&#x2019;acquiert et ne se conserve, que conformément à la loi<lb/>
constitutionelle«.</hi> Nicht jeder Franzo&#x017F;e i&#x017F;t zugleich <hi rendition="#aq">citoyen;</hi> es<lb/>
i&#x017F;t demgemäß <hi rendition="#aq">»Français«</hi> nicht &#x201E;Staatsbürger&#x201C;, &#x017F;ondern &#x201E;Inlän-<lb/>
der&#x201C; zu über&#x017F;etzen. Die Vor&#x017F;chriften des <hi rendition="#aq">Code civ.</hi> über Erwerb<lb/>
und Verlu&#x017F;t der Eigen&#x017F;chaft eines Franzo&#x017F;en (El&#x017F;aß-Lothringers)<lb/>
haben bis zur Einführung des Reichsge&#x017F;etzes vom 1. Juni 1870<lb/>
im Reichsland in partikulärer Geltung ge&#x017F;tanden; der Erwerb und<lb/>
Verlu&#x017F;t der Eigen&#x017F;chaft eines <hi rendition="#aq">citoyen</hi> dagegen i&#x017F;t durch die fran-<lb/>&#x017F;i&#x017F;chen Verfa&#x017F;&#x017F;ungs-Ge&#x017F;etze normirt, welche bereits durch den<lb/>
Friedens&#x017F;chluß mit Deut&#x017F;chland und die Abtretung des reichslän-<lb/>
di&#x017F;chen Gebietes ihre Anwendbarkeit verloren haben. Ein <hi rendition="#g">Nicht-<lb/>
Franzo&#x017F;e</hi> kann niemals die <hi rendition="#aq">droits politiques</hi> ausüben, denn er<lb/>
kann niemals <hi rendition="#aq">citoyen</hi> &#x017F;ein; wohl aber kann er die <hi rendition="#aq">droits civils</hi><lb/>
wie ein Franzo&#x017F;e ausüben, wenn er mit Erlaubniß des Staates<lb/>
&#x017F;einen Wohn&#x017F;itz in Frankreich hat und &#x017F;ich da&#x017F;elb&#x017F;t aufhält. <hi rendition="#aq">Code<lb/>
civ.</hi> Art. 13. Das franzö&#x017F;i&#x017F;che Recht &#x017F;etzt aber allerdings voraus,<lb/>
daß jeder Franzo&#x017F;e auch Unterthan des franzö&#x017F;i&#x017F;chen Staates i&#x017F;t;<lb/>
wer einem andern Staatsverbande beitritt, verliert nicht blos die<lb/>
Eigen&#x017F;chaft eines franzö&#x017F;i&#x017F;chen <hi rendition="#aq">citoyen,</hi> &#x017F;ondern auch die Eigen&#x017F;chaft<lb/>
eines <hi rendition="#aq">Français. Code civ.</hi> Art. 17 <note place="foot" n="1)">Demgemäß hat die franzö&#x017F;. Praxis &#x017F;tets angenommen, daß, wenn ein<lb/>
Theil des franzö&#x017F;i&#x017F;chen Gebietes an einen andern Staat abgetreten wird, die<lb/>
Bewohner des abgetretenen Gebietes die Eigen&#x017F;chaft von Franzo&#x017F;en verlieren,<lb/>
wenn &#x017F;ie ihren Wohn&#x017F;itz in dem abgetretenen Gebiete beibehalten. Vgl. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Dalloz</hi><lb/>
et <hi rendition="#g">Vergé</hi>, Code civ. annoté.</hi> Nr. 97 ff zu Art. 17. (<hi rendition="#aq">Vol. I. p.</hi> 65.) Ferner<lb/><hi rendition="#g">Löning</hi> a. a. O. S. 197, wo&#x017F;elb&#x017F;t zahlreiche Literatur-Nachwei&#x017F;ungen ge-<lb/>
geben &#x017F;ind.</note>.</p><lb/>
          <p>Auch für das Reichsland i&#x017F;t demgemäß die Eigen&#x017F;chaft eines<lb/>
Inländers davon abhängig, daß man ein Unterthan der im Reichs-<lb/>
lande be&#x017F;tehenden Staatsgewalt i&#x017F;t. Daraus folgt aber keines-<lb/>
wegs, daß es eine be&#x017F;ondere el&#x017F;aß-lothringi&#x017F;che Staatsgewalt geben<lb/>&#x017F;&#x017F;e. Das Subject der Staatsgewalt in El&#x017F;aß-Lothringen i&#x017F;t<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[599/0619] §. 54. Bundesglied und Reichsland. Für die Entſcheidung dieſer Frage kommen folgende Erwägungen in Betracht. Nach der im Art. 7 und Art. 8 des Code civ. feſtgehaltenen Unterſcheidung zwiſchen droits civils und droits politiques ſteht jeder Franzoſe im Genuß der droits civils, dagegen ſind die droits politiques abhängig: »de la qualité de citoyen, laquelle ne s’acquiert et ne se conserve, que conformément à la loi constitutionelle«. Nicht jeder Franzoſe iſt zugleich citoyen; es iſt demgemäß »Français« nicht „Staatsbürger“, ſondern „Inlän- der“ zu überſetzen. Die Vorſchriften des Code civ. über Erwerb und Verluſt der Eigenſchaft eines Franzoſen (Elſaß-Lothringers) haben bis zur Einführung des Reichsgeſetzes vom 1. Juni 1870 im Reichsland in partikulärer Geltung geſtanden; der Erwerb und Verluſt der Eigenſchaft eines citoyen dagegen iſt durch die fran- zöſiſchen Verfaſſungs-Geſetze normirt, welche bereits durch den Friedensſchluß mit Deutſchland und die Abtretung des reichslän- diſchen Gebietes ihre Anwendbarkeit verloren haben. Ein Nicht- Franzoſe kann niemals die droits politiques ausüben, denn er kann niemals citoyen ſein; wohl aber kann er die droits civils wie ein Franzoſe ausüben, wenn er mit Erlaubniß des Staates ſeinen Wohnſitz in Frankreich hat und ſich daſelbſt aufhält. Code civ. Art. 13. Das franzöſiſche Recht ſetzt aber allerdings voraus, daß jeder Franzoſe auch Unterthan des franzöſiſchen Staates iſt; wer einem andern Staatsverbande beitritt, verliert nicht blos die Eigenſchaft eines franzöſiſchen citoyen, ſondern auch die Eigenſchaft eines Français. Code civ. Art. 17 1). Auch für das Reichsland iſt demgemäß die Eigenſchaft eines Inländers davon abhängig, daß man ein Unterthan der im Reichs- lande beſtehenden Staatsgewalt iſt. Daraus folgt aber keines- wegs, daß es eine beſondere elſaß-lothringiſche Staatsgewalt geben müſſe. Das Subject der Staatsgewalt in Elſaß-Lothringen iſt 1) Demgemäß hat die franzöſ. Praxis ſtets angenommen, daß, wenn ein Theil des franzöſiſchen Gebietes an einen andern Staat abgetreten wird, die Bewohner des abgetretenen Gebietes die Eigenſchaft von Franzoſen verlieren, wenn ſie ihren Wohnſitz in dem abgetretenen Gebiete beibehalten. Vgl. Dalloz et Vergé, Code civ. annoté. Nr. 97 ff zu Art. 17. (Vol. I. p. 65.) Ferner Löning a. a. O. S. 197, woſelbſt zahlreiche Literatur-Nachweiſungen ge- geben ſind.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/619
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/619>, abgerufen am 21.11.2024.