Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.§. 59. Die Verordnungen des Reichs. nungen, welche man als Verordnungen mit interimistischer Gesetzes-kraft und Ausführungs-Verordnungen einander gegenüberstellt. Der begriffliche Gegensatz zwischen denselben beruht darauf, daß die ersteren gesetzlich sanctionirte Rechtsvorschriften zu suspendiren oder aufzuheben vermögen, die letzteren dagegen nur innerhalb der in den Gesetzen aufgestellten allgemeinen Rechtsgrundsätze speziellere Bestimmungen treffen dürfen, durch welche untergeordnetere Punkte geregelt, Rechtsvorschriften von geringerer Wichtigkeit und Bedeu- tung gegeben werden. Durch die ersteren würde, wenn sie unbe- dingt zulässig wären, die Mitwirkung der Volksvertretung an der Gesetzgebung zu einer werthlosen Förmlichkeit herabgemindert; sie sind deshalb überall nur gestattet unter der Resolutiv-Bedingung, daß das demnächst zusammentretende Parlament sie genehmigt. Die letzteren lassen die unter Theilnahme der Volksvertretung er- lassenen Rechtsvorschriften unangetastet, sie halten sich innerhalb des von ihnen gezogenen Rahmens und haben deshalb dauernde Geltung. Ausführungs-Verordnungen in dem hier entwickelten §. 59. Die Verordnungen des Reichs. nungen, welche man als Verordnungen mit interimiſtiſcher Geſetzes-kraft und Ausführungs-Verordnungen einander gegenüberſtellt. Der begriffliche Gegenſatz zwiſchen denſelben beruht darauf, daß die erſteren geſetzlich ſanctionirte Rechtsvorſchriften zu ſuſpendiren oder aufzuheben vermögen, die letzteren dagegen nur innerhalb der in den Geſetzen aufgeſtellten allgemeinen Rechtsgrundſätze ſpeziellere Beſtimmungen treffen dürfen, durch welche untergeordnetere Punkte geregelt, Rechtsvorſchriften von geringerer Wichtigkeit und Bedeu- tung gegeben werden. Durch die erſteren würde, wenn ſie unbe- dingt zuläſſig wären, die Mitwirkung der Volksvertretung an der Geſetzgebung zu einer werthloſen Förmlichkeit herabgemindert; ſie ſind deshalb überall nur geſtattet unter der Reſolutiv-Bedingung, daß das demnächſt zuſammentretende Parlament ſie genehmigt. Die letzteren laſſen die unter Theilnahme der Volksvertretung er- laſſenen Rechtsvorſchriften unangetaſtet, ſie halten ſich innerhalb des von ihnen gezogenen Rahmens und haben deshalb dauernde Geltung. Ausführungs-Verordnungen in dem hier entwickelten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0084" n="70"/><fw place="top" type="header">§. 59. Die Verordnungen des Reichs.</fw><lb/> nungen, welche man als Verordnungen mit interimiſtiſcher Geſetzes-<lb/> kraft und Ausführungs-Verordnungen einander gegenüberſtellt. 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§. 59. Die Verordnungen des Reichs.
nungen, welche man als Verordnungen mit interimiſtiſcher Geſetzes-
kraft und Ausführungs-Verordnungen einander gegenüberſtellt. Der
begriffliche Gegenſatz zwiſchen denſelben beruht darauf, daß die
erſteren geſetzlich ſanctionirte Rechtsvorſchriften zu ſuſpendiren oder
aufzuheben vermögen, die letzteren dagegen nur innerhalb der
in den Geſetzen aufgeſtellten allgemeinen Rechtsgrundſätze ſpeziellere
Beſtimmungen treffen dürfen, durch welche untergeordnetere Punkte
geregelt, Rechtsvorſchriften von geringerer Wichtigkeit und Bedeu-
tung gegeben werden. Durch die erſteren würde, wenn ſie unbe-
dingt zuläſſig wären, die Mitwirkung der Volksvertretung an der
Geſetzgebung zu einer werthloſen Förmlichkeit herabgemindert; ſie
ſind deshalb überall nur geſtattet unter der Reſolutiv-Bedingung,
daß das demnächſt zuſammentretende Parlament ſie genehmigt.
Die letzteren laſſen die unter Theilnahme der Volksvertretung er-
laſſenen Rechtsvorſchriften unangetaſtet, ſie halten ſich innerhalb des
von ihnen gezogenen Rahmens und haben deshalb dauernde Geltung.
Ausführungs-Verordnungen in dem hier entwickelten
Sinne ſind Ergänzungen der Geſetze; „Ausführung“ der geſetz-
lichen Regeln hat den Sinn von Detaillirung, Entwicklung, Ent-
faltung, ſo wie man von der Ausführung eines ſkizzirten Gemäldes
oder eines kurz angedeuteten Gedankens ſpricht. Der Ausdruck
„Ausführung eines Geſetzes“ kann aber auch die Anwendung oder
Handhabung deſſelben bedeuten, ſo wie man die Erfüllung eines
Befehls oder Auftrages die Ausführung deſſelben nennt. Es er-
giebt ſich hieraus der Doppelſinn, welchen das Wort „Ausfüh-
rungs-Verordnung“ haben kann; es kann einerſeits bedeuten den
Erlaß von Rechtsvorſchriften zur Ergänzung oder Detaillirung von
Geſetzesregeln und es kann andererſeits bedeuten den Erlaß von
Anweiſungen an die Behörden über die von ihnen zu entfaltende
Thätigkeit, um die Anordnungen eines Geſetzes zur Ausführung
zu bringen. In dem erſteren Falle enthält die Ausführungs-Ver-
ordnung Rechtsregeln und fällt unter den Begriff der Geſetzge-
bung im materiellen Sinne, im letzteren Fall enthält ſie Verwal-
tungs-Vorſchriften und hat mit der Regelung der Rechtsordnung
Nichts zu thun. Die an dieſer Stelle zu beantwortende Frage iſt
demnach die, ob es nach der Reichsverfaſſung zuläſſig iſt, daß
Rechtsvorſchriften zur Ergänzung und Detaillirung von Reichsge-
ſetzen im Wege der Verordnung erlaſſen werden.
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