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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880.

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§. 88. Die gesetzliche Wehrpflicht.
ist es unerheblich, ob der Heerespflichtige durch lange Abwesenheit
vou Deutschland die Reichsangehörigkeit wirklich eingebüßt hat oder
nicht und ob er eine fremde Staatsangehörigkeit erworben hat
oder nicht. Kehrt er in das Bundesgebiet zurück, so kann er zur
Strafe gezogen werden, wofern die Strafverfolgung noch nicht ver-
jährt ist 1). Von diesem Grundsatz ist eine Ausnahme nur aner-
kannt, wenn ein Angehöriger des Deutschen Reiches, der sich seiner
Dienstpflicht durch Auswanderung entzogen hat, in Nordamerika
naturalisirt worden ist und dann nach Deutschland zurückkehrt; in-
dem Art. 2 des Vertrages des Nordd. Bundes v. 22. Febr. 1868
(B.G.B. S. 228) und der entsprechenden Verträge der Nordameri-
nischen Union mit Bayern, Württemberg, Baden und Hessen vom
Jahre 1868 bestimmt, daß der zurückkehrende Auswanderer nur
wegen solcher Handlungen, welche er vor seiner Auswanderung
verübt hat, zur Strafe gezogen werden könne 2).


1) Die Frage, wenn die Verjährungsfrist beginnt, ist nicht ohne Schwie-
rigkeit. Es sind hier verschiedene Fälle zu unterscheiden. Das Verbrechen
kann nicht länger verübt, d. h. fortgesetzt werden, als die Dienstpflicht dauert.
Verliert der Auswanderer also die Reichsangehörigkeit, so beginnt mit diesem
Moment
die Verjährung; bleibt er aber reichsangehörig, so beginnt die Ver-
jährung erst mit dem Aufhören der Dienstpflicht. Als dieser Zeitpunkt
kann aber nicht der 1. Januar des Jahres, in dem der Wehrpflichtige sein
27. Lebensjahr vollendet, wegen §. 6 des Wehrgesetzes angenommen werden,
wie dies die herrschende Ansicht ist -- vgl. v. Martitz in Hirth's Annalen
1875 S. 1154 und die das. Note 3 angeführten Criminalisten; denn dieses
Gesetz sagt nicht, daß die Verpflichtung zum Dienst im stehenden Heere in
allen Fällen mit diesem Zeitpunkt endet, auch dann, wenn der Wehrpflich-
tige sich der Erfüllung dieser Pflicht entzieht. Wer durch seine Schuld den
Eintritt in das Heer verzögert, der rückt dadurch auch den Termin hinaus, in
dem die Dienstverpflichtung endet. Wer also durch Entfernung aus dem Reichs-
gebiet sich dem Dienst entzieht, dessen Dienstpflicht hört erst auf mit dem Ende
der Militairpflicht (siehe unter II). Dadurch erledigt sich der von
v. Martitz a. a. O. angenommene Widerspruch zwischen dem Strafrecht und
dem Militair-Verwaltungsrecht.
2) Hierdurch sollte die Bestrafung eines durch die Auswanderung etwa
verübten Delicts ausgeschlossen werden. Ausdrücklich ist dies erklärt im Protok.
v. 26. Mai 1868 Ziff. II zum Bayr. Vertrage. Für Norddeutschland hat der
Bundeskommissar im Reichstage (Stenogr. Berichte 1868 S. 43) den Vertrag
in diesem Sinne interpretirt. Vgl. über diesen Vertrag die Verhandlungen des
Reichstags vom 16. April 1874 (Stenogr. Ber. S. 844 ff.) und v. Martitz
a. a. O. S. 794 ff.

§. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht.
iſt es unerheblich, ob der Heerespflichtige durch lange Abweſenheit
vou Deutſchland die Reichsangehörigkeit wirklich eingebüßt hat oder
nicht und ob er eine fremde Staatsangehörigkeit erworben hat
oder nicht. Kehrt er in das Bundesgebiet zurück, ſo kann er zur
Strafe gezogen werden, wofern die Strafverfolgung noch nicht ver-
jährt iſt 1). Von dieſem Grundſatz iſt eine Ausnahme nur aner-
kannt, wenn ein Angehöriger des Deutſchen Reiches, der ſich ſeiner
Dienſtpflicht durch Auswanderung entzogen hat, in Nordamerika
naturaliſirt worden iſt und dann nach Deutſchland zurückkehrt; in-
dem Art. 2 des Vertrages des Nordd. Bundes v. 22. Febr. 1868
(B.G.B. S. 228) und der entſprechenden Verträge der Nordameri-
niſchen Union mit Bayern, Württemberg, Baden und Heſſen vom
Jahre 1868 beſtimmt, daß der zurückkehrende Auswanderer nur
wegen ſolcher Handlungen, welche er vor ſeiner Auswanderung
verübt hat, zur Strafe gezogen werden könne 2).


1) Die Frage, wenn die Verjährungsfriſt beginnt, iſt nicht ohne Schwie-
rigkeit. Es ſind hier verſchiedene Fälle zu unterſcheiden. Das Verbrechen
kann nicht länger verübt, d. h. fortgeſetzt werden, als die Dienſtpflicht dauert.
Verliert der Auswanderer alſo die Reichsangehörigkeit, ſo beginnt mit dieſem
Moment
die Verjährung; bleibt er aber reichsangehörig, ſo beginnt die Ver-
jährung erſt mit dem Aufhören der Dienſtpflicht. Als dieſer Zeitpunkt
kann aber nicht der 1. Januar des Jahres, in dem der Wehrpflichtige ſein
27. Lebensjahr vollendet, wegen §. 6 des Wehrgeſetzes angenommen werden,
wie dies die herrſchende Anſicht iſt — vgl. v. Martitz in Hirth’s Annalen
1875 S. 1154 und die daſ. Note 3 angeführten Criminaliſten; denn dieſes
Geſetz ſagt nicht, daß die Verpflichtung zum Dienſt im ſtehenden Heere in
allen Fällen mit dieſem Zeitpunkt endet, auch dann, wenn der Wehrpflich-
tige ſich der Erfüllung dieſer Pflicht entzieht. Wer durch ſeine Schuld den
Eintritt in das Heer verzögert, der rückt dadurch auch den Termin hinaus, in
dem die Dienſtverpflichtung endet. Wer alſo durch Entfernung aus dem Reichs-
gebiet ſich dem Dienſt entzieht, deſſen Dienſtpflicht hört erſt auf mit dem Ende
der Militairpflicht (ſiehe unter II). Dadurch erledigt ſich der von
v. Martitz a. a. O. angenommene Widerſpruch zwiſchen dem Strafrecht und
dem Militair-Verwaltungsrecht.
2) Hierdurch ſollte die Beſtrafung eines durch die Auswanderung etwa
verübten Delicts ausgeſchloſſen werden. Ausdrücklich iſt dies erklärt im Protok.
v. 26. Mai 1868 Ziff. II zum Bayr. Vertrage. Für Norddeutſchland hat der
Bundeskommiſſar im Reichstage (Stenogr. Berichte 1868 S. 43) den Vertrag
in dieſem Sinne interpretirt. Vgl. über dieſen Vertrag die Verhandlungen des
Reichstags vom 16. April 1874 (Stenogr. Ber. S. 844 ff.) und v. Martitz
a. a. O. S. 794 ff.
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[143/0153] §. 88. Die geſetzliche Wehrpflicht. iſt es unerheblich, ob der Heerespflichtige durch lange Abweſenheit vou Deutſchland die Reichsangehörigkeit wirklich eingebüßt hat oder nicht und ob er eine fremde Staatsangehörigkeit erworben hat oder nicht. Kehrt er in das Bundesgebiet zurück, ſo kann er zur Strafe gezogen werden, wofern die Strafverfolgung noch nicht ver- jährt iſt 1). Von dieſem Grundſatz iſt eine Ausnahme nur aner- kannt, wenn ein Angehöriger des Deutſchen Reiches, der ſich ſeiner Dienſtpflicht durch Auswanderung entzogen hat, in Nordamerika naturaliſirt worden iſt und dann nach Deutſchland zurückkehrt; in- dem Art. 2 des Vertrages des Nordd. Bundes v. 22. Febr. 1868 (B.G.B. S. 228) und der entſprechenden Verträge der Nordameri- niſchen Union mit Bayern, Württemberg, Baden und Heſſen vom Jahre 1868 beſtimmt, daß der zurückkehrende Auswanderer nur wegen ſolcher Handlungen, welche er vor ſeiner Auswanderung verübt hat, zur Strafe gezogen werden könne 2). 1) Die Frage, wenn die Verjährungsfriſt beginnt, iſt nicht ohne Schwie- rigkeit. Es ſind hier verſchiedene Fälle zu unterſcheiden. Das Verbrechen kann nicht länger verübt, d. h. fortgeſetzt werden, als die Dienſtpflicht dauert. Verliert der Auswanderer alſo die Reichsangehörigkeit, ſo beginnt mit dieſem Moment die Verjährung; bleibt er aber reichsangehörig, ſo beginnt die Ver- jährung erſt mit dem Aufhören der Dienſtpflicht. Als dieſer Zeitpunkt kann aber nicht der 1. Januar des Jahres, in dem der Wehrpflichtige ſein 27. Lebensjahr vollendet, wegen §. 6 des Wehrgeſetzes angenommen werden, wie dies die herrſchende Anſicht iſt — vgl. v. Martitz in Hirth’s Annalen 1875 S. 1154 und die daſ. Note 3 angeführten Criminaliſten; denn dieſes Geſetz ſagt nicht, daß die Verpflichtung zum Dienſt im ſtehenden Heere in allen Fällen mit dieſem Zeitpunkt endet, auch dann, wenn der Wehrpflich- tige ſich der Erfüllung dieſer Pflicht entzieht. Wer durch ſeine Schuld den Eintritt in das Heer verzögert, der rückt dadurch auch den Termin hinaus, in dem die Dienſtverpflichtung endet. Wer alſo durch Entfernung aus dem Reichs- gebiet ſich dem Dienſt entzieht, deſſen Dienſtpflicht hört erſt auf mit dem Ende der Militairpflicht (ſiehe unter II). Dadurch erledigt ſich der von v. Martitz a. a. O. angenommene Widerſpruch zwiſchen dem Strafrecht und dem Militair-Verwaltungsrecht. 2) Hierdurch ſollte die Beſtrafung eines durch die Auswanderung etwa verübten Delicts ausgeſchloſſen werden. Ausdrücklich iſt dies erklärt im Protok. v. 26. Mai 1868 Ziff. II zum Bayr. Vertrage. Für Norddeutſchland hat der Bundeskommiſſar im Reichstage (Stenogr. Berichte 1868 S. 43) den Vertrag in dieſem Sinne interpretirt. Vgl. über dieſen Vertrag die Verhandlungen des Reichstags vom 16. April 1874 (Stenogr. Ber. S. 844 ff.) und v. Martitz a. a. O. S. 794 ff.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0301_1880/153>, abgerufen am 24.11.2024.