Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 113. Die Einheit der Zoll- und Steuer-Gesetzgebung etc.
indem die Staaten innerhalb des von der Reichsgesetzgebung ge-
steckten Rahmens im Wege der Verordnung die Grundsätze über
Tarifirung, Klassifizirung, Veranlagung, Erhebung der Gefälle,
Kontrolirung u. s. w. in verschiedener Art und Richtung weiter
ausbilden könnten. Indem der Art. 35 der R.V. dem Reich aus-
schließlich die "Gesetzgebung" über das gesammte Zollwesen und
die 5 Verbrauchssteuern zuweist, will es vielmehr die Regelung
dieser Staatsthätigkeit der Kompetenz der Einzelstaaten entziehen
und dieselbe der Centralgewalt übertragen, ohne Unterschied ob
diese Regelung in der Form der Gesetzgebung oder in der Form
der Verordnung erfolgt 1).

Bei der Betrachtung des Zoll- und Steuerwesens zeigt sich
mit derselben Deutlichkeit wie bei allen andern Verwaltungszweigen,
daß die Unterscheidung der Gesetzgebung und Verordnung im for-
mellen Sinn sachlich inhaltslos ist. Denn einerseits enthalten die
Reichsgesetze über das Zoll- und Steuerwesen eine große Masse
von Vorschriften, welche nicht die Rechtssphäre der Individuen
gegenüber der Staatsgewalt, resp. der Einzelstaaten gegen das
Reich, abgrenzen, sondern welche lediglich die Organisation und
Thätigkeit der Zoll- und Steuerbehörden normiren, welche also
ihrem Inhalte nach Verwaltungsvorschriften sind 2); andererseits
begnügen sich die Reichsgesetze in sehr zahlreichen Beziehungen
damit, allgemeine Rechtsgrundsätze hinzustellen oder die Zulässig-
keit gewisser Abweichungen von der Rechtsregel anzuerkennen,
überlassen aber die Feststellung der näheren Durchführung der
Regel oder die Normirung der Voraussetzungen und Bedingungen
der zugelassenen Modifikationen, des Umfanges der letzteren u. s. w.,
also Vorschriften von Rechts inhalt, dem Verordnungswege 3).
Die Behauptung, daß die Rechtssätze über das Zoll- und
Steuerwesen in den Zoll- und Steuer gesetzen, die Verwal-
tungsregeln
über dieselben Materien in den Zoll- und Steuer-
Verordnungen enthalten seien, steht in offenkundigem Wider-
spruch mit dem wirklichen Inhalt dieser Gesetze und Verordnungen.
Wer diese Gesetze und Verordnungen kennt, muß zugeben, daß

1) Vgl. Bd. II S. 62 63.
2) Vgl. Bd. II S. 209 fg.
3) Vgl. Bd. II S. 68 und übereinstimmend Hänel Studien II S. 72.

§. 113. Die Einheit der Zoll- und Steuer-Geſetzgebung ꝛc.
indem die Staaten innerhalb des von der Reichsgeſetzgebung ge-
ſteckten Rahmens im Wege der Verordnung die Grundſätze über
Tarifirung, Klaſſifizirung, Veranlagung, Erhebung der Gefälle,
Kontrolirung u. ſ. w. in verſchiedener Art und Richtung weiter
ausbilden könnten. Indem der Art. 35 der R.V. dem Reich aus-
ſchließlich die „Geſetzgebung“ über das geſammte Zollweſen und
die 5 Verbrauchsſteuern zuweiſt, will es vielmehr die Regelung
dieſer Staatsthätigkeit der Kompetenz der Einzelſtaaten entziehen
und dieſelbe der Centralgewalt übertragen, ohne Unterſchied ob
dieſe Regelung in der Form der Geſetzgebung oder in der Form
der Verordnung erfolgt 1).

Bei der Betrachtung des Zoll- und Steuerweſens zeigt ſich
mit derſelben Deutlichkeit wie bei allen andern Verwaltungszweigen,
daß die Unterſcheidung der Geſetzgebung und Verordnung im for-
mellen Sinn ſachlich inhaltslos iſt. Denn einerſeits enthalten die
Reichsgeſetze über das Zoll- und Steuerweſen eine große Maſſe
von Vorſchriften, welche nicht die Rechtsſphäre der Individuen
gegenüber der Staatsgewalt, reſp. der Einzelſtaaten gegen das
Reich, abgrenzen, ſondern welche lediglich die Organiſation und
Thätigkeit der Zoll- und Steuerbehörden normiren, welche alſo
ihrem Inhalte nach Verwaltungsvorſchriften ſind 2); andererſeits
begnügen ſich die Reichsgeſetze in ſehr zahlreichen Beziehungen
damit, allgemeine Rechtsgrundſätze hinzuſtellen oder die Zuläſſig-
keit gewiſſer Abweichungen von der Rechtsregel anzuerkennen,
überlaſſen aber die Feſtſtellung der näheren Durchführung der
Regel oder die Normirung der Vorausſetzungen und Bedingungen
der zugelaſſenen Modifikationen, des Umfanges der letzteren u. ſ. w.,
alſo Vorſchriften von Rechts inhalt, dem Verordnungswege 3).
Die Behauptung, daß die Rechtsſätze über das Zoll- und
Steuerweſen in den Zoll- und Steuer geſetzen, die Verwal-
tungsregeln
über dieſelben Materien in den Zoll- und Steuer-
Verordnungen enthalten ſeien, ſteht in offenkundigem Wider-
ſpruch mit dem wirklichen Inhalt dieſer Geſetze und Verordnungen.
Wer dieſe Geſetze und Verordnungen kennt, muß zugeben, daß

1) Vgl. Bd. II S. 62 63.
2) Vgl. Bd. II S. 209 fg.
3) Vgl. Bd. II S. 68 und übereinſtimmend Hänel Studien II S. 72.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0289" n="279"/><fw place="top" type="header">§. 113. Die Einheit der Zoll- und Steuer-Ge&#x017F;etzgebung &#xA75B;c.</fw><lb/>
indem die Staaten innerhalb des von der Reichsge&#x017F;etzgebung ge-<lb/>
&#x017F;teckten Rahmens im Wege der Verordnung die Grund&#x017F;ätze über<lb/>
Tarifirung, Kla&#x017F;&#x017F;ifizirung, Veranlagung, Erhebung der Gefälle,<lb/>
Kontrolirung u. &#x017F;. w. in ver&#x017F;chiedener Art und Richtung weiter<lb/>
ausbilden könnten. Indem der Art. 35 der R.V. dem Reich aus-<lb/>
&#x017F;chließlich die &#x201E;Ge&#x017F;etzgebung&#x201C; über das ge&#x017F;ammte Zollwe&#x017F;en und<lb/>
die 5 Verbrauchs&#x017F;teuern zuwei&#x017F;t, will es vielmehr die <hi rendition="#g">Regelung</hi><lb/>
die&#x017F;er Staatsthätigkeit der Kompetenz der Einzel&#x017F;taaten entziehen<lb/>
und die&#x017F;elbe der Centralgewalt übertragen, ohne Unter&#x017F;chied ob<lb/>
die&#x017F;e Regelung in der Form der Ge&#x017F;etzgebung oder in der Form<lb/>
der Verordnung erfolgt <note place="foot" n="1)">Vgl. Bd. <hi rendition="#aq">II</hi> S. 62 63.</note>.</p><lb/>
                <p>Bei der Betrachtung des Zoll- und Steuerwe&#x017F;ens zeigt &#x017F;ich<lb/>
mit der&#x017F;elben Deutlichkeit wie bei allen andern Verwaltungszweigen,<lb/>
daß die Unter&#x017F;cheidung der Ge&#x017F;etzgebung und Verordnung im for-<lb/>
mellen Sinn &#x017F;achlich inhaltslos i&#x017F;t. Denn einer&#x017F;eits enthalten die<lb/>
Reichsge&#x017F;etze über das Zoll- und Steuerwe&#x017F;en eine große Ma&#x017F;&#x017F;e<lb/>
von Vor&#x017F;chriften, welche nicht die Rechts&#x017F;phäre der Individuen<lb/>
gegenüber der Staatsgewalt, re&#x017F;p. der Einzel&#x017F;taaten gegen das<lb/>
Reich, abgrenzen, &#x017F;ondern welche lediglich die Organi&#x017F;ation und<lb/>
Thätigkeit der Zoll- und Steuerbehörden normiren, welche al&#x017F;o<lb/>
ihrem Inhalte nach Verwaltungsvor&#x017F;chriften &#x017F;ind <note place="foot" n="2)">Vgl. Bd. <hi rendition="#aq">II</hi> S. 209 fg.</note>; anderer&#x017F;eits<lb/>
begnügen &#x017F;ich die Reichsge&#x017F;etze in &#x017F;ehr zahlreichen Beziehungen<lb/>
damit, allgemeine Rechtsgrund&#x017F;ätze hinzu&#x017F;tellen oder die Zulä&#x017F;&#x017F;ig-<lb/>
keit gewi&#x017F;&#x017F;er Abweichungen von der Rechtsregel anzuerkennen,<lb/>
überla&#x017F;&#x017F;en aber die Fe&#x017F;t&#x017F;tellung der näheren Durchführung der<lb/>
Regel oder die Normirung der Voraus&#x017F;etzungen und Bedingungen<lb/>
der zugela&#x017F;&#x017F;enen Modifikationen, des Umfanges der letzteren u. &#x017F;. w.,<lb/>
al&#x017F;o Vor&#x017F;chriften von <hi rendition="#g">Rechts</hi> inhalt, dem Verordnungswege <note place="foot" n="3)">Vgl. Bd. <hi rendition="#aq">II</hi> S. 68 und überein&#x017F;timmend <hi rendition="#g">Hänel</hi> Studien <hi rendition="#aq">II</hi> S. 72.</note>.<lb/>
Die Behauptung, daß die <hi rendition="#g">Rechts&#x017F;ätze</hi> über das Zoll- und<lb/>
Steuerwe&#x017F;en in den Zoll- und Steuer <hi rendition="#g">ge&#x017F;etzen</hi>, die <hi rendition="#g">Verwal-<lb/>
tungsregeln</hi> über die&#x017F;elben Materien in den Zoll- und Steuer-<lb/><hi rendition="#g">Verordnungen</hi> enthalten &#x017F;eien, &#x017F;teht in offenkundigem Wider-<lb/>
&#x017F;pruch mit dem wirklichen Inhalt die&#x017F;er Ge&#x017F;etze und Verordnungen.<lb/>
Wer die&#x017F;e Ge&#x017F;etze und Verordnungen kennt, muß zugeben, daß<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[279/0289] §. 113. Die Einheit der Zoll- und Steuer-Geſetzgebung ꝛc. indem die Staaten innerhalb des von der Reichsgeſetzgebung ge- ſteckten Rahmens im Wege der Verordnung die Grundſätze über Tarifirung, Klaſſifizirung, Veranlagung, Erhebung der Gefälle, Kontrolirung u. ſ. w. in verſchiedener Art und Richtung weiter ausbilden könnten. Indem der Art. 35 der R.V. dem Reich aus- ſchließlich die „Geſetzgebung“ über das geſammte Zollweſen und die 5 Verbrauchsſteuern zuweiſt, will es vielmehr die Regelung dieſer Staatsthätigkeit der Kompetenz der Einzelſtaaten entziehen und dieſelbe der Centralgewalt übertragen, ohne Unterſchied ob dieſe Regelung in der Form der Geſetzgebung oder in der Form der Verordnung erfolgt 1). Bei der Betrachtung des Zoll- und Steuerweſens zeigt ſich mit derſelben Deutlichkeit wie bei allen andern Verwaltungszweigen, daß die Unterſcheidung der Geſetzgebung und Verordnung im for- mellen Sinn ſachlich inhaltslos iſt. Denn einerſeits enthalten die Reichsgeſetze über das Zoll- und Steuerweſen eine große Maſſe von Vorſchriften, welche nicht die Rechtsſphäre der Individuen gegenüber der Staatsgewalt, reſp. der Einzelſtaaten gegen das Reich, abgrenzen, ſondern welche lediglich die Organiſation und Thätigkeit der Zoll- und Steuerbehörden normiren, welche alſo ihrem Inhalte nach Verwaltungsvorſchriften ſind 2); andererſeits begnügen ſich die Reichsgeſetze in ſehr zahlreichen Beziehungen damit, allgemeine Rechtsgrundſätze hinzuſtellen oder die Zuläſſig- keit gewiſſer Abweichungen von der Rechtsregel anzuerkennen, überlaſſen aber die Feſtſtellung der näheren Durchführung der Regel oder die Normirung der Vorausſetzungen und Bedingungen der zugelaſſenen Modifikationen, des Umfanges der letzteren u. ſ. w., alſo Vorſchriften von Rechts inhalt, dem Verordnungswege 3). Die Behauptung, daß die Rechtsſätze über das Zoll- und Steuerweſen in den Zoll- und Steuer geſetzen, die Verwal- tungsregeln über dieſelben Materien in den Zoll- und Steuer- Verordnungen enthalten ſeien, ſteht in offenkundigem Wider- ſpruch mit dem wirklichen Inhalt dieſer Geſetze und Verordnungen. Wer dieſe Geſetze und Verordnungen kennt, muß zugeben, daß 1) Vgl. Bd. II S. 62 63. 2) Vgl. Bd. II S. 209 fg. 3) Vgl. Bd. II S. 68 und übereinſtimmend Hänel Studien II S. 72.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/289
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/289>, abgerufen am 21.11.2024.