Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816.port der Eßwaaren) die Helden selbst viermahl überfuhren; einmahl, als sie sich auf der Rheininsel versammelten, dann zurück zur Jagd in den Wasgau, zum Essen kam man wieder auf die Insel, Siegfried mit dem Bären am Sattel, endlich fuhren sie mit Siegfrieds Leichnam wieder nach Worms; da doch das sehr ausführliche Lied nur zwei Überfahrten erwähnt. Übrigens ist jetzt bekannt, daß die zweite Ho- henemser Handschrift statt des Waskenwaldes wirklich den Odenwald gibt und noch eine merkwürdige Nach- richt von dem Orte, wo Siegfried erschlagen worden, hin- zufügt. In welchem Sinne meint aber J. Grimm (altdeut. Wälder ii. S. 180) bei diesem Irrthum, der auf alle Fälle nur auf eine Namensverwechselung der beiden Wälder hinausläuft, daß sich auch die Lesart Wasichenwald poetisch vertheidigen lasse? 71) Es darf niemand wundern, daß wir dem Ordner den Abschnitt von Kriemhildens Traum und doch zugleich auch diese Erzählung zuschreiben. Dort war es leicht eine schöne Sage edel und zart darzustellen, hier mußte der Vollständigkeit wegen eine Erzählung eingeschoben werden, die der Volksgesang als unnöthig hatte fallen lassen. 72) Wie die Deutsche Fabel durch die Vilkinasaga in den Norden verpflanzt wurde, so sind mit anderen Liedern von den sogenannten Bernerhelden auch die von Grim- hilds Rache ohne Zweifel aus norddeutschen Gesängen, die sich höher hinauf zogen, entstanden, ursprünglich viel- leicht, wie das Hildebrandslied, bloß übersetzt, dann aber einheimisch geworden und, wie die drei noch vorhandenen zeigen, auf mancherlei Art umgesungen. 73) So steht, nach Schlegels Anzeige, in der Pariser port der Eßwaaren) die Helden ſelbſt viermahl überfuhren; einmahl, als ſie ſich auf der Rheininſel verſammelten, dann zurück zur Jagd in den Wasgau, zum Eſſen kam man wieder auf die Inſel, Siegfried mit dem Bären am Sattel, endlich fuhren ſie mit Siegfrieds Leichnam wieder nach Worms; da doch das ſehr ausführliche Lied nur zwei Überfahrten erwähnt. Übrigens iſt jetzt bekannt, daß die zweite Ho- henemſer Handſchrift ſtatt des Waskenwaldes wirklich den Odenwald gibt und noch eine merkwürdige Nach- richt von dem Orte, wo Siegfried erſchlagen worden, hin- zufügt. In welchem Sinne meint aber J. Grimm (altdeut. Wälder ii. S. 180) bei dieſem Irrthum, der auf alle Fälle nur auf eine Namensverwechſelung der beiden Wälder hinausläuft, daß ſich auch die Lesart Waſichenwald poetiſch vertheidigen laſſe? 71) Es darf niemand wundern, daß wir dem Ordner den Abſchnitt von Kriemhildens Traum und doch zugleich auch dieſe Erzählung zuſchreiben. Dort war es leicht eine ſchöne Sage edel und zart darzuſtellen, hier mußte der Vollſtändigkeit wegen eine Erzählung eingeſchoben werden, die der Volksgeſang als unnöthig hatte fallen laſſen. 72) Wie die Deutſche Fabel durch die Vilkinaſaga in den Norden verpflanzt wurde, ſo ſind mit anderen Liedern von den ſogenannten Bernerhelden auch die von Grim- hilds Rache ohne Zweifel aus norddeutſchen Geſängen, die ſich höher hinauf zogen, entſtanden, urſprünglich viel- leicht, wie das Hildebrandslied, bloß überſetzt, dann aber einheimiſch geworden und, wie die drei noch vorhandenen zeigen, auf mancherlei Art umgeſungen. 73) So ſteht, nach Schlegels Anzeige, in der Pariſer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <note xml:id="en70-text" prev="#en70" place="end" n="70)"><pb facs="#f0116" n="108"/> port der Eßwaaren) die Helden ſelbſt viermahl überfuhren;<lb/> einmahl, als ſie ſich auf der Rheininſel verſammelten, dann<lb/> zurück zur Jagd in den Wasgau, zum Eſſen kam man wieder<lb/> auf die Inſel, Siegfried mit dem Bären am Sattel, endlich<lb/> fuhren ſie mit Siegfrieds Leichnam wieder nach Worms;<lb/> da doch das ſehr ausführliche Lied nur zwei Überfahrten<lb/> erwähnt. 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⁷⁰⁾ port der Eßwaaren) die Helden ſelbſt viermahl überfuhren;
einmahl, als ſie ſich auf der Rheininſel verſammelten, dann
zurück zur Jagd in den Wasgau, zum Eſſen kam man wieder
auf die Inſel, Siegfried mit dem Bären am Sattel, endlich
fuhren ſie mit Siegfrieds Leichnam wieder nach Worms;
da doch das ſehr ausführliche Lied nur zwei Überfahrten
erwähnt. Übrigens iſt jetzt bekannt, daß die zweite Ho-
henemſer Handſchrift ſtatt des Waskenwaldes wirklich
den Odenwald gibt und noch eine merkwürdige Nach-
richt von dem Orte, wo Siegfried erſchlagen worden, hin-
zufügt. In welchem Sinne meint aber J. Grimm (altdeut.
Wälder ii. S. 180) bei dieſem Irrthum, der auf alle Fälle
nur auf eine Namensverwechſelung der beiden Wälder
hinausläuft, daß ſich auch die Lesart Waſichenwald
poetiſch vertheidigen laſſe?
⁷¹⁾ Es darf niemand wundern, daß wir dem Ordner
den Abſchnitt von Kriemhildens Traum und doch zugleich
auch dieſe Erzählung zuſchreiben. Dort war es leicht eine
ſchöne Sage edel und zart darzuſtellen, hier mußte der
Vollſtändigkeit wegen eine Erzählung eingeſchoben werden,
die der Volksgeſang als unnöthig hatte fallen laſſen.
⁷²⁾ Wie die Deutſche Fabel durch die Vilkinaſaga in
den Norden verpflanzt wurde, ſo ſind mit anderen Liedern
von den ſogenannten Bernerhelden auch die von Grim-
hilds Rache ohne Zweifel aus norddeutſchen Geſängen,
die ſich höher hinauf zogen, entſtanden, urſprünglich viel-
leicht, wie das Hildebrandslied, bloß überſetzt, dann aber
einheimiſch geworden und, wie die drei noch vorhandenen
zeigen, auf mancherlei Art umgeſungen.
⁷³⁾ So ſteht, nach Schlegels Anzeige, in der Pariſer
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