Wolf hatte sich nämlich von der wissenschaftlichen Erkenntniß keinen andern Begriff gemacht, als daß darinn alles müsse aus Gründen erwiesen wer- den. Er setzte demnach die Vorzüge der wissenschaft- lichen Erkenntniß in die Ueberzeugung und Ge- wißheit, die daraus entsteht. Wir müssen aber noch mehrere beyfügen, damit man sehe, was man zu suchen habe, wenn die Grundlehre wissenschaftlich gemacht werden soll. Jede Wissenschaft soll näm- lich dahin führen, daß man in jedem vorkom- menden Falle, wo sie anwendbar ist, aus der geringsten Anzahl gegebener Stücke die übri- gen finden könne, die dadurch bestimmt oder damit in Verhältniß sind. Nun soll die Grund- lehre in allen übrigen Theilen der menschlichen Er- kenntniß anwendbar seyn (§. 3.). Man findet aber darinn von diesem Vorzuge noch sehr wenige Bey- spiele. Jn der ganzen Mathesi aber macht man sich ein Gesetz daraus, weder zu viel noch zu wenig Data anzunehmen, und aus den Datis zu bestimmen, was zugleich mit gegeben ist, oder daraus gefunden wer- den kann. Jn der Trigonometrie sind alle Fälle ab- gezählet, wie man aus drey Stücken eines Triangels die drey übrigen finden könne. Soll dieser Vorzug, den Wolf selbst als ein Muster der Vollkommenheit erhebt, auch in der Grundlehre vorkommen, so wer- den darinnen die Forderungen, die Abzählung zusammengehörender Begriffe und Dinge, und die allgemeine Theorie und Abzählung der Ver- bindungen und Verhältnisse unentbehrlich.
§. 16.
Da ferner die Ontologie aller Orten anwendbar seyn soll, so muß darinnen, wie in jeden andern
Wissen-
einer wiſſenſchaftlichen Grundlehre.
§. 15.
Wolf hatte ſich naͤmlich von der wiſſenſchaftlichen Erkenntniß keinen andern Begriff gemacht, als daß darinn alles muͤſſe aus Gruͤnden erwieſen wer- den. Er ſetzte demnach die Vorzuͤge der wiſſenſchaft- lichen Erkenntniß in die Ueberzeugung und Ge- wißheit, die daraus entſteht. Wir muͤſſen aber noch mehrere beyfuͤgen, damit man ſehe, was man zu ſuchen habe, wenn die Grundlehre wiſſenſchaftlich gemacht werden ſoll. Jede Wiſſenſchaft ſoll naͤm- lich dahin fuͤhren, daß man in jedem vorkom- menden Falle, wo ſie anwendbar iſt, aus der geringſten Anzahl gegebener Stuͤcke die uͤbri- gen finden koͤnne, die dadurch beſtimmt oder damit in Verhaͤltniß ſind. Nun ſoll die Grund- lehre in allen uͤbrigen Theilen der menſchlichen Er- kenntniß anwendbar ſeyn (§. 3.). Man findet aber darinn von dieſem Vorzuge noch ſehr wenige Bey- ſpiele. Jn der ganzen Matheſi aber macht man ſich ein Geſetz daraus, weder zu viel noch zu wenig Data anzunehmen, und aus den Datis zu beſtimmen, was zugleich mit gegeben iſt, oder daraus gefunden wer- den kann. Jn der Trigonometrie ſind alle Faͤlle ab- gezaͤhlet, wie man aus drey Stuͤcken eines Triangels die drey uͤbrigen finden koͤnne. Soll dieſer Vorzug, den Wolf ſelbſt als ein Muſter der Vollkommenheit erhebt, auch in der Grundlehre vorkommen, ſo wer- den darinnen die Forderungen, die Abzaͤhlung zuſammengehoͤrender Begriffe und Dinge, und die allgemeine Theorie und Abzaͤhlung der Ver- bindungen und Verhaͤltniſſe unentbehrlich.
§. 16.
Da ferner die Ontologie aller Orten anwendbar ſeyn ſoll, ſo muß darinnen, wie in jeden andern
Wiſſen-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0049"n="13"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">einer wiſſenſchaftlichen Grundlehre.</hi></fw><lb/><divn="3"><head>§. 15.</head><lb/><p><hirendition="#fr">Wolf</hi> hatte ſich naͤmlich von der wiſſenſchaftlichen<lb/>
Erkenntniß keinen andern Begriff gemacht, als <hirendition="#fr">daß<lb/>
darinn alles muͤſſe aus Gruͤnden erwieſen wer-<lb/>
den.</hi> Er ſetzte demnach die Vorzuͤge der wiſſenſchaft-<lb/>
lichen Erkenntniß in die <hirendition="#fr">Ueberzeugung</hi> und <hirendition="#fr">Ge-<lb/>
wißheit,</hi> die daraus entſteht. Wir muͤſſen aber<lb/>
noch mehrere beyfuͤgen, damit man ſehe, was man<lb/>
zu ſuchen habe, wenn die Grundlehre wiſſenſchaftlich<lb/>
gemacht werden ſoll. <hirendition="#fr">Jede Wiſſenſchaft ſoll naͤm-<lb/>
lich dahin fuͤhren, daß man in jedem vorkom-<lb/>
menden Falle, wo ſie anwendbar iſt, aus der<lb/>
geringſten Anzahl gegebener Stuͤcke die uͤbri-<lb/>
gen finden koͤnne, die dadurch beſtimmt oder<lb/>
damit in Verhaͤltniß ſind.</hi> Nun ſoll die Grund-<lb/>
lehre in allen uͤbrigen Theilen der menſchlichen Er-<lb/>
kenntniß anwendbar ſeyn (§. 3.). Man findet aber<lb/>
darinn von dieſem Vorzuge noch ſehr wenige Bey-<lb/>ſpiele. Jn der ganzen Matheſi aber macht man ſich<lb/>
ein Geſetz daraus, weder zu viel noch zu wenig <hirendition="#aq">Data</hi><lb/>
anzunehmen, und aus den <hirendition="#aq">Datis</hi> zu beſtimmen, was<lb/>
zugleich mit gegeben iſt, oder daraus gefunden wer-<lb/>
den kann. Jn der Trigonometrie ſind alle Faͤlle ab-<lb/>
gezaͤhlet, wie man aus drey Stuͤcken eines Triangels<lb/>
die drey uͤbrigen finden koͤnne. Soll dieſer Vorzug,<lb/>
den <hirendition="#fr">Wolf</hi>ſelbſt als ein Muſter der Vollkommenheit<lb/>
erhebt, auch in der Grundlehre vorkommen, <hirendition="#fr">ſo wer-<lb/>
den darinnen die Forderungen, die Abzaͤhlung<lb/>
zuſammengehoͤrender Begriffe und Dinge, und<lb/>
die allgemeine Theorie und Abzaͤhlung der Ver-<lb/>
bindungen und Verhaͤltniſſe unentbehrlich.</hi></p></div><lb/><divn="3"><head>§. 16.</head><lb/><p>Da ferner die Ontologie aller Orten anwendbar<lb/>ſeyn ſoll, <hirendition="#fr">ſo muß darinnen, wie in jeden andern</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">Wiſſen-</hi></fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[13/0049]
einer wiſſenſchaftlichen Grundlehre.
§. 15.
Wolf hatte ſich naͤmlich von der wiſſenſchaftlichen
Erkenntniß keinen andern Begriff gemacht, als daß
darinn alles muͤſſe aus Gruͤnden erwieſen wer-
den. Er ſetzte demnach die Vorzuͤge der wiſſenſchaft-
lichen Erkenntniß in die Ueberzeugung und Ge-
wißheit, die daraus entſteht. Wir muͤſſen aber
noch mehrere beyfuͤgen, damit man ſehe, was man
zu ſuchen habe, wenn die Grundlehre wiſſenſchaftlich
gemacht werden ſoll. Jede Wiſſenſchaft ſoll naͤm-
lich dahin fuͤhren, daß man in jedem vorkom-
menden Falle, wo ſie anwendbar iſt, aus der
geringſten Anzahl gegebener Stuͤcke die uͤbri-
gen finden koͤnne, die dadurch beſtimmt oder
damit in Verhaͤltniß ſind. Nun ſoll die Grund-
lehre in allen uͤbrigen Theilen der menſchlichen Er-
kenntniß anwendbar ſeyn (§. 3.). Man findet aber
darinn von dieſem Vorzuge noch ſehr wenige Bey-
ſpiele. Jn der ganzen Matheſi aber macht man ſich
ein Geſetz daraus, weder zu viel noch zu wenig Data
anzunehmen, und aus den Datis zu beſtimmen, was
zugleich mit gegeben iſt, oder daraus gefunden wer-
den kann. Jn der Trigonometrie ſind alle Faͤlle ab-
gezaͤhlet, wie man aus drey Stuͤcken eines Triangels
die drey uͤbrigen finden koͤnne. Soll dieſer Vorzug,
den Wolf ſelbſt als ein Muſter der Vollkommenheit
erhebt, auch in der Grundlehre vorkommen, ſo wer-
den darinnen die Forderungen, die Abzaͤhlung
zuſammengehoͤrender Begriffe und Dinge, und
die allgemeine Theorie und Abzaͤhlung der Ver-
bindungen und Verhaͤltniſſe unentbehrlich.
§. 16.
Da ferner die Ontologie aller Orten anwendbar
ſeyn ſoll, ſo muß darinnen, wie in jeden andern
Wiſſen-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/49>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.